Umstrittenes Anzeigenblatt sucht Journalisten für Mini-Bezahlung
Die Situation freier Journalisten ist auch in Thüringen oft prekär. Für manche könnte deshalb das Jobangebot des Arnstädter Stadtechos durchaus attraktiv sein – trotz Dumpinglohn. Der Haken: Das Anzeigenblatt ist heftig umstritten.
Ein Jobangebot wie viele andere? Ende 2010 suchte das Arnstädter Stadtecho auf der Internet-Börse der Arbeitsagentur einen Journalisten. Mit eigenem Pkw sollte er „zur Kundenbetreuung und zur Erreichung der Terminorte“ (Originaltext der Anzeige) zu Presseterminen fahren, recherchieren, Artikel verfassen und fotografieren. Die Stelle war als geringfügige Beschäftigung oder Mini-Job mit 20 Stunden pro Woche ausgewiesen und mit einem Stundenlohn von fünf Euro dotiert.
Lohndumping oder ein Missverständnis – Herausgeber Stefan Buchtzik hat dazu einiges zu sagen, will jedoch nicht zitiert werden. Die Arbeitsagentur bestreitet ein Versehen. Der zuständige Mitarbeiter habe sich genau an eine E-Mail des Arbeitgebers gehalten, bekräftigt Agentur-Sprecherin Lydia Gebauer. Allerdings hätte ihm bei der Dateneingabe auffallen müssen, dass Anforderung und Entlohnung nicht zusammenpassen, räumt sie ein.
Unterbezahlungen gehören für freie Journalisten in Thüringen oft zum Alltag, Honorare von 15 Cent pro Druckzeile und zehn Euro pro Foto sind nicht ungewöhnlich. Den Tageszeitungs-Markt teilen sich im Freistaat die Verlagsgesellschaften Hof-Coburg-Suhl und die WAZ-Mediengruppe, die je drei der sechs Tageszeitungen herausgeben. Bei beiden ist es üblich, Texte und Fotos titelübergreifend in Print- und Onlineausgaben zu nutzen – die Freien erhalten dafür keinen Cent. Wenn sie überhaupt einen Auftrag ergattern, denn der Markt ist eng. Ein 20-Stunden-Job könnte da ein sicheres zweites Standbein sein, vor allem für Quereinsteiger, denen Veröffentlichungen oft wichtiger sind als eine tarifgerechte Bezahlung.
Doch hinter der Jobanzeige steckt mehr. Das Arnstädter Stadtecho gilt als Sprachrohr der nationalen und erzkonservativen Wählergemeinschaft „Pro Arnstadt“. Seit 1996 stellt sie in der 25.000-Einwohner-Stadt den Bürgermeister. Auch Herausgeber Buchtzik sitzt für „Pro Arnstadt“ im Stadtrat und fungiert zudem als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Das Stadtecho versteht sich als „Stadt- und Heimatzeitung für Arnstadt und Umgebung“, so der Untertitel. Einmal monatlich landen 20.000 Exemplare kostenlos und ungefragt in den Arnstädter Briefkästen. Gewerbetreibende und soziale Einrichtungen der Stadt werben in der Zeitung oder präsentieren sich in redaktionellen Beiträgen und Interviews – trotz eines Boykottaufrufes von Linken und Antifaschisten. Allerdings ist dem Blatt, ebenso wie Bürgermeister Hans-Christian Köllmer, offener Rechtsextremismus nicht nachzuweisen. Vielmehr bewegt es sich in einer Grauzone, benutzt immer wieder Versatzstücke aus Rechtspopulismus, Heimattümelei, Geschichtsrevisionismus und steht fragwürdigen Personen, Organisationen und Ansichten nah. Analysen auf der jüdischen Internetseite hagalil oder dem NPD-Infoblog des Journalisten Patrick Gensing bestätigen diesen Eindruck.
Da wäre die Nähe zur Bürgerbewegung „Pro Deutschland“, einer rechtspopulistischen Gruppierung. 2007 stellte das Verwaltungsgericht Hamburg klar, dass „hinreichend wichtige Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die Vereinigung Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung entfaltet“. Die Pro-Bewegung habe sich „im internationalen Kontext der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten als aktiver Partner der europaweiten ‚Anti-Islamisierungskampagne’ etablieren können“, beantwortete die Bundesregierung im Oktober 2010 eine kleine Anfrage der SPD.
Im März 2010 lag dem Stadtecho eine vierseitige „Sonderbeilage zu den Vorwürfen gegen Pro Arnstadt und Bürgermeister Köllmer“ bei, die als Anzeige deklariert war. Vorausgegangen war ein Versuch von SPD und Linke im Stadtrat, den Bürgermeister abzuwählen. Sie enthält einen auch von Köllmer unterzeichneten offenen Brief an Thilo Sarrazin. Darin dankt die Gruppierung Sarrazin für sein „starkes Rückgrat“, verurteilt das „An den Pranger stellen“ durch „Möchtegernpolitiker und die linke Presse“ sowie die „Gleichschaltung der Medien“. Ebenfalls in dieser Ausgabe: das Programm von „Pro Deutschland“.
Im Internet kursiert eine Video-Aufzeichnung mit weiteren Hinweisen. Die sechs Youtube-Clips zeigen den langjährigen Stadtecho-Herausgeber, Hans-Joachim König, bei einem Pro-Deutschland-Stammtisch im Februar 2010 in Berlin. Bundesvorsitzender Manfred Rouhs bescheinigt dem Stadtecho darin, einen „wesentlichen Beitrag“ zur „politischen Bewusstseinsbildung in Arnstadt“ zu leisten. Antifaschisten machen zudem Kontakte aus zu bekannten Arnstädter Neonazis und zur „neuen Rechten“, wie dem Publizisten Joachim Siegerist, der häufig für das Stadtecho schreibt.