Wenn man mal keine Lust zum Recherchieren hat und alles so schwierig ist, und man doch gerne mal seine eigene Meinung loswerden will, die immer niemand hören will und man sagt auch nicht so furchtbar gerne „ich meine“ (manche sagen „ich denke“, aber das glaubt ihnen ja auch keiner), also dann erfindet man als Journalistin ja gerne mal „Experten“.
„Wie Experten sagen“ macht sich immer prima. In Kriegszeiten beobachte ich nun die massenhafte Vermehrung von „Beobachtern“: Keine Nachricht ohne „Beobachter“. Die „gehen davon aus“, „schätzen ein“ und „sagen übereinstimmend“. Diese Beobachter faszinieren mich: Wer sind sind sie, wo gehen sie von was aus, wie schätzen sie wen und und was ein und wieviele sind es jeweils, wenn sie dann noch übereinstimmen? Sitzen sie in dunklen Bunkern, schätzen wild rum und erzielen dann eine Übereinstimmung bei Bombenstimmung? Sind es Journalisten, Geheimdienstler, meine Nachbarinnen, die Busschaffner, Diplomaten? Gibt es sie überhaupt? Rufen sie bei den Rundfunkanstalten an und sagen: „Hier sind die Beobachter, wir haben drei zu sieben abgestimmt, daß wir das so und so übereinstimmend einschätzen und jetzt gehen wir davon aus?“ Wo beobachten sie wen? Ich sehe Beobachter mit Ferngläsern in Hubschraubern über Belgrad kreisen und übereinstimmend schätzen, daß ziemlich viele Bomben fallen, sehe sie über Hügel robben, in Flüchtlingszelte kriechen, das Handy rupfen und flüstern: „Hier sind die Beobachterkreise?“ Beobachter rotten sich nämlich zunehmend zu „Beobachterkreisen“ zusammen, aus denen dann was „verlautet“. Ich soll und will hier ja eine Glosse schreiben, aber ich frage laut, innerlich zerrissen, wie man jetzt sein muß, wer mir hilft, denjenigen zu finden, der jeden zweiten Tag die Meldung schreibt, daß „aus Beobachterkreisen verlautet“? Beobachter sind immer männlich, was bei den ehemals so verehrten „gut unterrichteten Kreisen“ noch anders war, jedenfalls im Plural. Es heißt nämlich „die Kreise“. Aber, um mit Felix Dahn zu sprechen, der schlecht, aber einfach dichtete: „Das Schwert ist Mannes eigen! Wo Männer fechten, hat das Weib zu schweigen“. Tut es dann ja auch, weil man nur redet, wenn man gefragt wird. Gefragt werden Beobachter und Experten. Fragen stellen dürfen auch Frauen und bekommen dann von Beobachtern gesagt, was die wiederum von der übereinstimmenden Einschätzung von Beobachtern zu erzählen haben. Die besagten „gut unterrichteten Kreise“ sind irgendwie ganz verschwunden. Das kommt daher (bzw. gehe ich davon aus, weil Beobachter mir sagen, daß man davon ausgeht), daß derzeit alle ganz schlecht unterrichtet sind und schwätzen und schreiben und senden und senden, obwohl es gar keine gut unterrichteten Kreise mehr gibt, sondern allenfalls noch „NATO-Kreise“, die offensichtlich nicht gut unterrichtet sind. (Aus „NATO-Kreisen“ ist auch die neue Spezies des „NATO-Politikers“ entsprungen, den sie mir jetzt verkaufen und den ich überhaupt nicht gewählt habe!!!) „Vor Ort“ gibt es manchmal auch weibliche Reporter, aber daß man vor Ort, nämlich unter Tage, überhaupt nichts mehr sieht, ist wohl bekannt. Besonders gerne behaupten die Beobachter vor Ort derzeit deshalb, alles sei „überschattet“. Das erinnert mich immer an jenen Satz über die „dunklen Jahre Deutschlands“, in denen auch vor lauter dunkler Überschattung niemand nix richtig sehen konnte. Da steigt der Clinton bei strahlendem Sonnenschein in der Eifel aus dem Flugzeug, dankt seinen Soldaten dafür, daß sie viele, viele Bomben auf Belgrad schmeißen, und der Reporter erklärt mir, dieses Event sei „überschattet“ vom Tod zweier Bomberpiloten. Sehe ich nichts davon, alle sehen glücklich aus. Der Reporter hat aber bestimmt seine Beobachter vorher gefragt, und die haben die Überschattung übereinstimmend eingeschätzt. Auch der NATO-Geburtstag war in allen Nachrichtensendungen „überschattet“. Nein, nein, nicht von der Rüstungsindustrie, die ihn bezahlt hatte (was die meisten Beobachtern nur so schattenhaft ausmachen konnten, daß sie uns damit nicht belästigen wollten, bei gutem Licht konnte man es aber nachlesen). Nein, „überschattet“ wurde die Geburtstagsfete von der „Kosovo-Krise“. Was bei diffusem Licht herauskommt, konnten die Beobachter später auch nur mühsam entziffern. Wie die übergreifende Überschattung damit zusammenpaßt, daß die Bomber nur bei wolkenlosem Himmel fliegen, gehört zu den vielen Fragen, die mir in diesen schattigen Tagen kein Beobachter beantwortet. Dafür erzählt man mir dauernd, Beobachter gingen von „Schritten in die richtige Richtung“ aus. Was dabei rauskommt, wenn man im Schatten Schritte macht, dürfen wir uns dann selber zusammenreimen.