Kostenlos und wöchentlich

Anzeigenzeitungen mischen den Markt auf

Der Kampf auf dem Zeitungsmarkt wird härter, aber er macht sich für die finanzstarken Verleger bezahlt. Besonders mit Blick auf die Leser am Sonntag. Der Markt der kostenlosen Anzeigenblätter boomt.

Das Rauschen im Blätterwald vor der Jahrtausendwende ist gewaltig. Der Wind bläst ganz besonders verschlafenen Herausgebern, ihrem trägen Hofstaat und Verlegern in finanzträchtigen Städten wie Regionen mächtig ins Gesicht. Unter den Platzhirschen geht die berechtigte Angst um, sich den ungewissen Machtkämpfen der risikobereiten Herausforderer zu stellen und möglicherweise größere Teile des angestammten Reviers zu verlieren. Hinter den Verlagskulissen herrscht längst nicht mehr bloß Kalter Krieg, es herrschten Kaufgier, Fusionsfieber, der Gedanke der Marktsicherung und knallharter Verdrängungswettbewerb.

Das Ringen um größere Marktanteile im Pressedschungel wird erbittert geführt. Der Grund: Die von vielen (sogar einigen eigenen) Verlegern, aber auch etlichen Journalisten oft müde belächelten kostenlosen, Woche für Woche erscheinenden Anzeigenzeitungen mischen die Printmedienlandschaft seit über einem Jahr wieder gehörig auf. Sie boomen. Um 4,5 Prozent stieg der Jahresumsatz ’98 laut dem Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter im Vergleich zum Vorjahr. Das sind knapp 150 Millionen Mark mehr. Der Gesamtumsatz ’98 wird vom Verband auf 3,43 Milliarden Mark beziffert.

Interessant ist die Tatsache, daß die Printmedien generell im vergangenen Jahr wieder mehr Werbegelder eingenommen haben als die elektronischen Medien. Laut einer Erhebung von AC Nielsen Werbeforschung S+P stieg der Werbeumsatz bei Zeitungen ‘98 im Vergleich zu ‘97 von 5920,2 Millionen auf 6876,1 Millionen Mark. Publi-kums-, wie die „Bild am Sonntag“, und Fachpresse werden mit 6882,3 Millionen (‘97: 6547,8) und 877,0 Millionen Mark (‘97: 837,2) extra angegeben. Von dem Werbekuchen wollen sich die angestammten und neu gegründete (Tochter-)Verlage ein möglichst großes Stück abschneiden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird am Markt aggressiv attackiert.

Tummelplatz Karlsruhe

Jahrzehnte hielten sich die angestammten Pressefürsten an die untereinander getroffenen Gebietsaufteilungen. Sie ruhten sich auf ihrem scheinbar unantastbaren Monopol aus. Daß dieser Dornröschenschlaf nicht nur überheblich ist, sondern still und heimlich Konkurrenten auf den Plan ruft, das zeigt sich ganz deutlich in Karlsruhe. Die Residenz des Rechts ist derzeit aus Sicht der Anzeigenblattmacher die spannendste Ecke der Republik. Leben wie die Made im Speck und andere außerhalb des abgesteckten Gebiets leben lassen, das Motto gilt hier nichts mehr. Seit wenigen Wochen teilen sich drei Sonntagszeitungen mit zwei angestammten Anzeigenblättern, die unter der Woche erscheinen, den Markt der kostenlosen Titel.

„Boulevard Baden“ erscheint unter dem Dach des Telefonbuchverlags Rudolf Röser. „Der Sonntag“ kommt aus dem Haus der „Badischen Neuesten Nachrichten“ (BNN) und der Großverlag Gruner+Jahr gibt gemeinsam mit dem Freiburger Verleger Michael Zäh die „Zeitung zum Sonntag“ heraus.

Das „Freiburger Modell“ ist mit seinem überregionalen und lokalen Teil aus journalistischer Sicht das interessanteste Sonntagsprojekt zur Zeit in Baden und wohl im Bundesgebiet. Auch bei den Lesern findet das Blatt Anklang. Beim Blick auf das Anzeigenvolumen müssen einem allerdings Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Zeitung kommen. Zumal, das wird Woche für Woche deutlich, der junge Verlag in Karlsruhe mit erheblichen Vertriebsproblemen zu kämpfen hat. Zuverlässige Austräger wechseln, davon können auch andere Verlage ein Lied singen, nur schwer ihren Auftraggeber. Erschwerend kommt noch hinzu, daß die Konkurrenzverlage keine Anzeigen veröffentlichen, die ihnen die eigenen Mitarbeiter abwerben. Ähnlich verhält es sich auch bei Journalisten mit regionalen Kenntnissen, wie ein Blick ins Impressum der Medienneulinge in Karlsruhe verrät.

Der Kampf um die Anzeigen

Dreh- und Angelpunkt für die jungen Karlsruher Blätter ist das Anzeigenaufkommen. Durch Kombipreis für Anzeigen in Wochen- und Tageszeitung versucht die BNN, ihre Kunden zu halten und den Werbestamm angesichts der neuen Konkurrenz auszubauen. Über das Anzeigenblatt „Der Kurier“, das ebenfalls zu den BNN gehört, soll den Herausforderern ebenfalls der Schneid abgekauft werden. Von den neuen Blättern hingegen setzt jeder für sich auf seinen Anzeigenverbund. Die „Zeitung zum Sonntag“ hat sich zum Ziel gesetzt, in 40 Städten in Deutschland zu erscheinen, und so einen eigenen Verbund aufzubauen. In Freiburg, Karlsruhe und Heilbronn ist der Plan bislang Realitität. Die Macher von „Boulevard Baden“ hingegen haben sich einem Verbund erfahrener Mediennachbarn angeschlossen.

Während die Macher aus den BNN-Reihen ihre Sonntagszeitung als „bessere Magazinbeilage im Vergleich zur Samstagsausgabe“ der Tageszeitung auf den Markt bringen, setzen der Röser-Verlag auf eine pfiffige und ansprechendere Boulevard-Erscheinung beziehungsweise die „Zeitung zum Sonntag“ auf die optisch und auch inhaltlich angelehnte Kopie das renommierten bundesweit erscheinenden Blattes „Die Woche“.

Zukunftschance?

Für engagierte Journalisten ist das Wachrütteln der Presselandschaft und die Unruhe in den Chefetagen der Verlage eine weitere Zukunftschance neben dem Internet. Doch Vorsicht: Chefredakteure und altgediente Redaktionsmitglieder, die urplötzlich in einer Konkurrenzsituation aufwachen, reagieren panisch. Sie setzen freien Mitarbeitern die Pistole auf die Brust, um sie zu halten oder erteilen ihnen Hausverbot. Der Leistungsdruck in den Redaktionen steigt. Gewinner sind in erster Linie die Leser aufgrund des steigenden Angebots. Aber auch die Anzeigenkunden. Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft. Oder anders gesagt: Sie drückt gehörig die Anzeigenpreise.

Nicht ganz außer Acht sollte beim Blick auf Anzeigenzeitungen, insbesondere mit dem auf die kostenlosen Sonntagstitel, der Springer Verlag gelassen werden. Zahlen, insbesondere Werbeumsätze, sprechen in Verlegerkreisen letztlich eine deutliche Sprache. Die AC Nielsen Werbeforschung S+P vermeldete, daß „Bild“ bundesweit seine Einnahmen um 4,4 Prozent auf 317 Millionen Mark steigerte. Daß aber die deutlichsten Einbußen in Ostdeutschland und Baden-Württemberg mit minus 14,9 beziehungsweise 37 Prozent zu verzeichnen seien. Wie stark hier die kostenlosen Titel der „Bild am Sonntag“ Konkurrenz machten, ist aus der Statistik nicht zu ersehen. Aber der 9. November ’97 wird im Kalender von Springer sicher mit einem dicken schwarzen Kreuz markiert sein. An dem Tag erschien nämlich zum ersten Mal das Blatt, das den Anzeigenmarkt in seinem sonntäglichen Frieden und seinen Grundfesten tief erschüttert hat. Am 9. November ‘97 erschien die erste kostenlose Ausgabe der „Zeitung zum Sonntag“ in Freiburg. Wenngleich ihre Zukunft ungewiß ist – bis Ende 2000 soll sie in ihrer Gründerstadt Gewinn abwerfen -, kein anderer Printtitel hat in den vergangenen Jahren für soviel Wirbel gesorgt, wie das von vielen Verlegern unterschätzte Gratisblatt aus dem Schwarzwald.

Machtkampf!

Im vergangenen Jahr kletterte die Zahl der kostenlosen Anzeigenblätter nach Mitteilung des Bundesverbands auf 1331. Außerdem wuchs die Zahl der Anzeigenzeitungen am Sonntag um 39 Titel auf 161. So der Stand im Januar ’99. Damit erhöhte sich deren Auflage von 10,4 Millionen innerhalb eines Jahres auf 15,2 Millionen ’98. Insgesamt stieg die gesamte Auflage der Anzeigenzeitungen im selben Zeitraum um 4,2 Millionen auf 88,2 Millionen Exemplare. Sollte sich das „Freiburger Modell“ durchsetzen, werden die etablierten Zeitungsverlage ähnlich wie in Freiburg, Karlsruhe und Heilbronn mit eigenen Sonntagsausgaben versuchen, die hungrigen Wölfe von ihrer Schafherde fernzuhalten. Dieser Machtkampf bleibt spannend. Für Verleger, Gewerkschaften, Journalisten und das Bundeskartellamt.


 

Der Autor Werner Herkert lebt und arbeitet als freier Journalist in Karlsruhe.

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