Digital-TV ist (noch) ein teures Vergnügen

Schnäppchen-Angeboten für Decoder folgt bis Jahresende eine Flut neuer Programme

„Woll’n se mal Zukunftsfernsehen testen?“, fragt der junge Mann an der Wohnungstür. Unter dem Arm hat er einen Decoder, Marke d-box von Nokia, des Hamburger Abonnement-Senders Premiere. Auch bei Saturn und anderen großen Elektronik-Händlern in Berlin läuft noch eine Sonderaktion: die d-box für nur 499 DM. Dort ist allerdings der auf unter die Hälfte gesenkte Preis mit einem Jahresabo für die Münchner Abo-Plattform DF1 gekoppelt.

Was wie der harte Konkurrenzkampf zweier Konkurrenzsender aussieht, ist tatsächlich eine konzertierte Promotionsaktion für das digitale Zukunftsfernsehen. Mit rund einer Million Abonnenten ist es bislang in Deutschland nicht so recht in Schwung gekommen. Im Zuge der Übernahme von Premiere durch die Kirch-Gruppe vor einigen Wochen ist der Vertrieb schon weitgehend nach München umgezogen.

Eilig werkeln Arbeitsgruppen an der Zusammenlegung und Restrukturierung des künftig gemeinsamen Angebots Premiere/DF1. Der neue Chef Markus Tellenbach will nach der Internationalen Funkausstellung ’99 Anfang September in Berlin durchstarten. 25 Programme für deutlich unter 50 Mark soll das neue Angebot kosten. Der Preis für die Basisversion liegt samt Decoder-Miete bei 20 DM monatlich. Auch das Einzelabo bestimmter Programme (Erotik, Sport) ist künftig weiterhin möglich.

Abgesehen von den Berliner Schnäppchen-Aktionen kosten DF1- oder Premiere-Abos derzeit auch um die 50 Mark monatlich. DF1 bietet mit seinen Gästen zwar mehr Vielfalt (s. Kasten) und ein paar Extras wie Formel-1 aus fünf Perspektiven sowie zwei Erotik- und 30 Musikprogramme. Dafür laufen bei Premiere mehr Kinohits und Fußball-Highlights. Wozu also jetzt einsteigen? Schließlich gibt es ja noch die kostenlosen Angebote wie ARD.digital und ZDF.vision …

Außerdem ist da noch die Kritik an der d-box. Den angeblich veralteten Decoder – gemietet oder gekauft – braucht man, damit der übliche Analog-Fernseher überhaupt die bis zu acht in einen Kanal gepreßten TV-Programme entschlüsselt und „entpreßt“ sichtbar macht. Von der Nokia-d-box gibt es Kabel- und Satellitenversionen. Philips und Sagem werden mit einer Münchner Lizenz demnächst nachziehen. Und die Telekom setzt beim Kabel ohnehin voll auf die d-box-Technik, deren Software via Satelliteneinspiel von Zeit zu Zeit erneuert wird. Zuletzt wurde vor vier Wochen eine neue Kindersperre eingespielt.

Andere Hersteller wie Galaxis und TechniSat bieten auch verschiedene Boxen an, jedoch auf Open-TV-Basis. Damit kann man nicht digitales Abo-TV sehen, dafür aber den ARD-Programmführer EPG mit seiner Vernetzungsfunktion nutzen – die d-box ermöglicht nur den Empfang der Einzelprogramme der Free-TV-Bouquets. Zur Zeit läuft bei den Öffentlich-Rechtlichen die Anpassung – beim ZDF laut Produktionschef Albrecht Ziemer mit „Hochdruck“, bei der ARD eher verhalten. Dort will man sich im Verein Free Universe Network (F.U.N.) mit der Konkurrenz eine Alternative offen halten. Panasonic hat einen F.U.N.-Decoder angekündigt, der als Kabel- und Satellitenversion auch wie die d-box die Pay-TV-Programme sichtbar macht.

Hat man sich für die d-box entschieden, gibt es von den Abo-Sendern noch monatlich eine extra Programmzeitschrift, die im Abo-Preis mit drin ist. Vielseher macht die Programmflut zu Totalsehern, wählerischen TV-Konsumenten erleichtert sie eher in Kombination mit der einfachen Programmierung (der Videorecorder wird gleich mit gesteuert) die gezielte Fernsehnutzung.

Schon jetzt gibt es manch Exklusives an Filmen und Sport zu sehen. Das soll künftig noch mehr werden – andere Anbieter stehen schon in den Startlöchern. @TV wird dann mit einem Dutzend Programmen im regulären Betrieb laufen. Auch wenn die Champions League der neuen Saison nur bei tm3 im Free-TV läuft: Kloiber und Murdoch als Sender-Besitzer und Rechtekäufer bereiten zusammen mindestens sechs eigene Digitalprogramme als Pay-TV vor. Disney startet im Herbst ein eigenes Digitalprogramm auf DF1/Premiere. Und Universal Networks will sein Programm 13th Street durch einen zweiten Spielfilmkanal ergänzen.

Für die Kunden ist das vorerst kein billiges Vergnügen, auch wenn man derzeit bei DF1 und Premiere ein Schnäppchen machen kann. Die richtigen „Jäger“ warten auf die Zeit nach der Berliner Funkausstellung, wenn im September/Oktober die Weihnachtsoffensive aller Veranstalter einsetzt. Dann will das Digitalfernsehen, vor allem das Pay-TV, endgültig die Weichen für seinen Durchbruch stellen. Spätestens 2010 wird sowieso von analog auf digital umgestellt, wurde noch in Bonn regierungsamtlich geplant.

Weitere aktuelle Beiträge

Danica Bensmail: „Widerstände spornen an“

Danica Bensmail hat am ersten März das Amt der dju-Bundesgeschäftsführung übernommen. Ein Gespräch mit „der Neuen“ über kaltes Wasser, die Bedeutung von Paarhufern für Diversity in den Medien und Treppengeländer. Danica Bensmail ist erst wenige Wochen im Amt – eine kleine Ewigkeit und ein Wimpernschlag zugleich. „Die ersten 48 Stunden waren ein wenig wie der sprichwörtliche Wurf ins kalte Wasser“, sagt Danica und lacht. Aber alles halb so wild, so eine Abkühlung belebe schließlich die Sinne.
mehr »

dju fordert Presseauskunftsrecht

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert, in den laufenden Koalitionsverhandlungen endlich das längst überfällige Bundespresseauskunftsgesetz zu beschließen. Danach sieht es gegenwärtig allerdings nicht aus. Bestehende konstruktive parlamentarische Vorlagen zu einem entsprechenden Gesetzentwurf habe die CDU/CSU in der Vergangenheit blockiert, moniert dju-Co-Vorsitzender Peter Freitag. Wie schon die letzte Große Koalition unter Angela Merkel setzte aber auch die soeben abgetretene Ampel-Regierung ein entsprechendes Vorhaben nicht um.
mehr »

Mehr Vielfalt statt Einfalt im TV

Die vielfach ausgezeichnete Britcom „We Are Lady Parts“ über eine islamische Mädchen-Punkband in London ist eines der vielen Beispiele von „Diversity“-Formaten, die in der Coronazeit einen regelrechten Boom erlebten. Die neue zweite Staffel der Comedy war vor kurzem für den renommierten Diversify TV Awards nominiert. Deutsche Anwärter waren diesmal nicht vertreten.
mehr »

Rassismus in den Kommentarspalten

Wenn Redaktionen in ihren Social-Media-Posts mit reißerischen Fragen und Generalisierungen arbeiten, kommen aus der Leserschaft häufiger rassistische Kommentare als wenn die Journalist*innen Kontext liefern. Das ist ein zentrales Ergebnis des Monitoring-Projekts „Better Post“, das die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) im September 2021 mit ihren Partnern im „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ starteten, denn: „Rassismus darf kein Clickbait sein“.
mehr »