„Nationalismus bringt Auflage“

Konfliktlösung und Prävention waren Thema einer internationalen Medientagung in Mazedonien

Sie ist ein Wahnbild, aber sie hat dennoch nicht wenige Verfechter. Populistische Politiker haben sie auf ihr Panier geschrieben, wiewohl sie millionenfach Leid gebracht hat. Kommentatoren in Medien auf dem Balkan erheben sie, weil sich damit Auflage bzw. Quote machen läßt: Die Forderung nach „ethnischer Reinheit“.

Gerade wird der Kosovo tatsächlich „ethnisch rein“. Zwar sind viele Flüchtlinge zurückgekehrt, aber jetzt können Serben und Roma dort kaum noch leben. 150000 Serben und 20000 Roma haben die Provinz seit Ende Juni verlassen. Die dort stationierten Truppen sind nicht in der Lage, sie zu schützen. Dadurch, daß die Kosovo-Provinz jetzt fast ausschließlich albanisch wird, bekommen Nationalisten auf beiden Seiten erneut Auftrieb. In Belgrad, weil man die Befürchtungen vor einem Großalbanien bestätigt sieht, in Pristina, weil der militant nationalistische Flügel der UCK die Stunde gekommen sieht, nun lautstark die Vereinigung mit Albanien und mit den mehrheitlich albanischen Gebieten im Norden von Mazedonien zu fordern. Mit anderen Worten: Der nächste Konflikt ist schon in Vorbereitung.

„Ethnisch rein“ ist jetzt auch Srebrenica. Dort leben zu hundert Prozent Serben. Früher waren drei Viertel der Bevölkerung Muslime. Ethnisch „gesäubert“ wurde die kroatische Krajina: Die dort lebenden Serben wurden ab 1991 vertrieben. Sie leben, obwohl ihnen mit dem Dayton-Abkommen die Rückkehr in ihre Vorkriegswohnorte versprochen worden war, immer noch in Lagern in Jugoslawien oder in der serbischen Teilrepublik in Bosnien-Herzegowina. Eine Million Flüchtlinge bzw. Vertriebene aus dem Bosnienkrieg warten bis heute darauf, in ihre Heimatwohnorte zurückkehren zu können. Sie können es zumeist deshalb nicht, weil diese Gebiete „ethnisch rein“ geworden sind.

„Ethnisch rein“ – man muß sich erst einmal vergegenwärtigen, was das in einer Region bedeutet, in der überall Minderheiten leben. In der Vojvodina in der heutigen Republik Jugoslawien gibt es viele Ungarn und Rumänen. In Rumänien leben Roma und Ungarn, in Bulgarien Türken und Roma, in der Slowakei behauptet sich eine ungarische Minderheit. Nur: in keinem Land gibt es eine ethnisch homogene Bevölkerung.

Welche Rolle spielen Medien dabei, wenn Konflikte zwischen ethnischen Gruppen entstehen und wenn sie zu Kriegen eskalieren? Und welche Rolle könnten Medien bei der Konfliktprävention und Lösung von Konflikten spielen? Damit befaßte sich eine Tagung mit Journalistinnen und Journalisten, Herausgebern und Experten aus 15 Ländern unmittelbar nach der Beendigung der Bombardierung in Jugoslawien. Tagungsort war Ohrid in Mazedonien, etwa vier Autostunden von der Hauptstadt Skopje entfernt. Ohrid liegt direkt an der Grenze zu Albanien und nah an der zum Kosovo, aber auch unweit Griechenlands und Montenegros.

Unabhängigkeit und Vielfalt

„Was sich gut verkauft, ist eben Nationalismus“, sagt Domnica Macri aus Bukarest lakonisch, „und nicht ein multikulturelles Programm“. Etliche Massenmedien auf dem Balkan, wenn auch nicht alle Medien, unterbinden die Wahrnehmung ethnischer Vielfalt. Nicht nur staatliche Medien, sondern ebenso private Medien beteiligen sich an nationalistischer Propaganda. Vorurteile, Stereotypen und Mythen zu produzieren und immer wieder zu reproduzieren, gehört zum Medienalltag. Geschichte wird in einer Weise interpretiert, die Vielfalt der Kulturen und Andersartigkeit von Ethnien ausschließt. Minderheiten haben keinen Platz in dieser einseitigen Interpretation. Weil es in den Balkanländern nur eine sehr fragile demokratische Kultur gibt, spielen Medien bei der Verfestigung von intoleranten nationalen Ideologien eine fundamentale Rolle.

Was aber kann unternommen werden, damit sich das ändert? Für die Konferenzteilnehmer ist vor allem wichtig, dafür zu sorgen, daß sich Journalisten nicht instrumentalisieren lassen, daß unabhängiger Journalismus gefördert wird und eine von Vielfalt geprägte demokratische Medienkultur in der Region entsteht. Wenn sich jetzt Journalisten nicht vor den nationalistischen Karren spannen lassen wollen, dann haben sie mit Kündigung oder Auftragsverlust zu rechnen. Deshalb sind starke und repräsentative Journalistengewerkschaften eine Voraussetzung für unabhängigen Journalismus. Aber die gibt es noch nicht. Die Qualifizierung von Medienschaffenden, Verantwortungsbewußtsein und ethische Standards zu entwickeln, Professionalität zu fördern, in der Tarifpolitik die Voraussetzungen für qualitätsvollen Journalismus zu schaffen, sind weitere Aufgaben. Nicht zuletzt geht es auch darum, unabhängige Systeme der Selbstkontrolle der Medien zu etablieren, die gerade auch ihre Aufmerksamkeit darauf legen, daß Diskriminierungen bestraft werden und die Pressefreiheit nicht verletzt wird. Solche und andere Essentials trugen Tagungsteilnehmer als Fazit zusammen.

„Weltfremd und praxisfern“

Aber genau das, journalistische Ethik und Verantwortung einzufordern, hält Dr. György Kakuk, Chef des Auslandsressorts des größten ungarischen privaten Fernsehsenders, für absolut weltfremd und vollkommen praxisfern. Derartiges könne vielleicht ein frischgebackener Absolvent einer Journalistenschule noch erwarten, der von der Realität der Berichterstattung aus Konfliktregionen keinen blassen Schimmer habe. Ein Kameramann in einem Kriegsgebiet habe eben „draufzuhalten“ und die Bilder zu liefern, die der Sender wünsche, so direkt und so nah wie möglich. „Ich bin nicht für Krieg, aber in der Realität verdiene ich mein Geld damit“, pflichtet ihm eine rumänische Kollegin bei. Wer da an der nationalistischen Schraube nicht mitdrehen würde, der werde gefeuert. So einfach sei das. Und ein Journalist aus Sarajewo sagt: Man habe ja nichts gegen qualitätsvolle Medien, die auch der Vielfalt der Ethnien Raum geben, nur was solle man denn machen, wenn der Markt keine Qualität wolle?

Ein Kollege aus Banja Luka erzählt, seine Zeitung habe eine Serie über Kriegsverbrechen in Srebrenica angefangen, dann sei die Auflage um 40 Prozent gesunken. Daraufhin habe man die Serie schleunigst abgesetzt.

Qualifizierte Journalisten zu finden, ist für Branko Geroski, Chefredakteur und einer von acht Herausgebern der Tageszeitung „Devnik“ aus Skopje das größte Problem. Journalisten, die jahrzehntelang Regierungsverlautbarungen nachgedruckt haben, gibt es viele. Neue Leute sind nicht ausgebildet. Insofern ergreifen im Moment auch journalistische Glücksritter ihre Chance, die professionelles Arbeiten nicht gelernt haben. Gerade ist Geroski dabei, eine kleine Handreichung mit minimalen journalistischen Qualitätsstandards wie beispielsweise Trennung von Kommentar und Nachricht für seine Redaktion zu entwerfen.

Voraussetzungen: Gute Ausbildung, Rückhalt durch starke Gewerkschaft

Zeljko Ivanovic von der unabhängigen Tageszeitung „Vijesti“ aus der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica arbeitete für die kritische Wochenzeitung „Monitor“, seit 1997 ist er bei „Vijesti“. Medien können den Haß auf Bevölkerungsgruppen weiter schüren, so lang bis beide aufeinander losgehen. Das hänge aber davon ab, ob Journalisten einfach das schrieben, was die Regierungspropaganda vorgibt oder ob sie versuchen würden, unabhängig zu sein. Unabhängigkeit habe aber eine gute Ausbildung zur Voraussetzung, ebenso eine wirtschaftliche Absicherung und daß Journalisten drittens couragiert genug sein müßten, um Vorgesetzten oder Geldgebern zu widersprechen, sagt Filip Cakuli aus Tirana. Aber dafür wäre eine Journalistengewerkschaft nötig, die ihren Mitgliedern den Rücken stärkt. Zwar ist damit zu rechnen, daß die Europäische Union Gelder in Qualifizierungsprogramme für Journalisten steckt, den Aufbau einer Journalistengewerkschaft aber unterstützt niemand.

Bilder-Beispiel

Noch ein Nachtrag zu deutschem Journalismus: Auf dem Rückflug von Skopje erzählten zwei Rot-Kreuz-Mitarbeiter, ein Student aus Aachen und eine Krankenschwester aus Dortmund ihre Sicht zu einem Foto, das Ende Mai in vielen Tageszeitungen erschien. Das Foto zeigte einen Jungen, der in Müllcontainern vor dem Lager Stenkovec herumstockerte. Die Bildunterschrift lautete sinngemäß: Ausgehunderter Flüchtlingsjunge sucht im Mull nach Eßbarem. Die Kinder haben dort wirklich im Müll herumgesucht, sagen die Rot-Kreuz-Helfer, aber nicht weil sie Hunger hatten, sondern weil ihnen langweilig war. Sie suchten nach Papier, Pappe oder Holz, um ein Lagerfeuer anzuzünden. Die Versorgungslage in Stenkovec sei so gut gewesen, daß manchmal sogar Lebensmittel verdorben seien. Diese Version klingt freilich weit weniger sensationell.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »