Was soll an Seifenopern bloß feministisch sein?

Eine interdisziplinäre Tagung in Arnoldshain zum Thema „Privates und Intimes“ in den Medien

Ist es der alte Slogan der Frauenbewegung der 70er Jahre „Das Private ist politisch“ wert, wieder aus der Mottenkiste hervorgekramt zu werden? Oder sollte man diese Devise nun wirklich verschämt im Kruschtelkasten auf dem Dachboden versenken, wie so vieles andere, von dem ehemalige 68er heutzutage nicht mehr gern hören? Gehört etwa vielmehr der angestaubte Dualismus des Privaten und des Öffentlichen gegeißelt, der aktuell durch die Medien befördert wird? Motto: Das Seriöse wird als männliche Form gefeiert – das als Kaffeeklatsch trivialisierte sogenannte Private gilt als typisch weibliche Lesart! Oder sollte es gar ein Fortschritt im feministischen Sinn sein, wenn in Daily Talks, von Fliege über Arabella bis zu Bärbel Schäfer, Intimstes an die Oberfläche gezerrt wird?

Eine ambivalente Haltung gegenüber der zunehmenden Aufgeschlossenheit der elektronischen Medien, sich privaten Problemen zu widmen, vertrat Elisabeth Klaus (Universität Göttingen). Sogenannte „Frauenöffentlichkeiten“ spielten zunehmend eine Rolle. Deren Grundlage sei jedoch das historisch ungleiche Geschlechterverhältnis und der damit verbundene Ausschluß aus der Öffentlichkeit, erläuterte die Professorin am Fachbereich Publizistik. Dennoch stellte Klaus die provokative Frage, ob nicht etwa auch Tupperdosen-Partys oder Frauenkreise, die sich zum Kauf von Schmuck oder Unterwäsche-Kollektionen treffen, kommunikative Zwecke erfüllten – trotz aller Vermarktungsstrategien. Sie zitierte Mary Ellen Brown, die anhand von Gesprächen mit Soap-Opera-Fans ausgemacht haben will, daß infolge dieser Sendungen grundlegende Erkenntnisse über die eigene Situation entstünden.

Frauenöffentlichkeit

Seifenopern – eine neue Form von Frauenöffentlichkeit? Und was in aller Welt hat der Verkauf von Plastiktöpfen bloß mit Emanzipation zu tun? Sollte die gezielte mediale Suche nach neuen Konsumentengruppen etwa als unbeabsichtigte Nebenwirkung haben, daß sich zum Ende des Jahrhunderts etwa tatsächlich etwas bewegt? Oder werden auf diese Weise im Gegenteil alte Vorurteile gegen Frauen stabilisiert, wirken die Medien auf ihre Weise an der Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz mit?

Rund 60 Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen tauschten sich bei einer interdisziplinären Tagung kritisch über Formen des Privaten in Funk und Fernsehen und Printmedien aus. „Tabubruch als Programm – Privates und Intimes in den Medien“, so der Titel der gemeinsamen Veranstaltung der Evangelischen Medienakademie (cpa), der Fachgruppe Frauen in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikation (DGPUK), der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm (GSJP) und des Journalistinnenbunds (JB). Bei den Beteiligten stieß die Veranstaltung auf ungeteilte Begeisterung. Eine Chance, sich „aus seinem eigenen Hamsterrad herauszubewegen“ und „Wellness für den Geist“ zu pflegen, wie die freie Journalistin Ursula Ott bemerkte.

Wellness für den Geist

Vor allem ging es darum, journalistische Qualitätsstandards für den Umgang mit Privatheit und Intimität festzulegen und die neue Dominanz des Privaten als gesellschaftliches Phänomen einzuordnen und zu werten. Ob das allerdings gelungen ist oder eine Aufwertung von Althergebrachtem darstellt, darüber kann man sich streiten. Auch Irmela Schneider (Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftlerin in Köln) traf – Bezug nehmend auf die Theorien von Richard Sennett und Antony Giddens – überraschende Feststellungen: Die Dominanz des Intimen in den Medien sei nicht angemessen bewertet, wenn man sie moralisierend als bloße Geschmacklosigkeit bezeichne. Vielmehr handele es sich um grundlegende soziale Veränderungen, historisch als Protest gegen den Viktorianismus zu werten. Die neue Entwicklung sei also, so Schneider, als Gewinn zu sehen und keineswegs als Verlust von Moral, Anstand und Sitte. Schneiders Vorstellungen, wie Intimes und Privates in den Medien verhandelt werden sollte: Zwischenmenschliche Beziehungen seien aktuell stets neu auszuhandeln und nicht, wie so häufig, als Tauschbeziehungen vorauszusetzen: „Die Medien sollten ihre Aufgabe darin sehen, sich an der Demokratisierung des Intimen und Privaten zu beteiligen.“ Die Wissenschaftlerin zog freilich keine bahnbrechend neuen Schlüsse. Aufgrund ihrer Sozialisation seien Frauen auf diesem Gebiet kompetenter als Männer. Demzufolge sollten sie sich an die Spitze der Bewegung setzen. Eine Idee, die allerdings die Verleger und Programmverantwortlichen auch schon hatten. Die Familienseiten in den Zeitungen sind längst fest in Frauenhand, die Daily Talks im Fernsehen ebenfalls mehrheitlich.

Bettina Fromm, freiberufliche Medienpsychologin, will in ihrer neuen Studie „Privatgespräche vor Millionen, Fernsehauftritte aus psychologischer Sicht“ – beruhend auf einer Untersuchung von drei-ßig Einzelbefragungen – den „Daily Talk“ gar als orientierungsstiftend ausgemacht haben. Zitat: „Im Zuge des Bedeutungsverlustes traditioneller Institutionen (z.B. Kirche und Familie) und aufgrund neuer Sinnorientierungen (z.B. Konsum, Erlebnis, Selbstverwirklichung) hat sich das Fernsehen zu einem Institutionsäquivalent entwickelt, in dem Bekenntnisse abgelegt und Identitäten festgestellt oder zu verändern versucht werden.“

Susanne Keunecke (Uni Münster), die einen Vortrag über geschlechtstypische Umgangsweisen Jugendlicher mit Daily Talks hielt, kam – ebenfalls auf Basis einer empirischen Studie – zu ähnlichen Ergebnissen. Sie gestand ein, daß ihre Ergebnisse zwar für das Fernsehgenre wohl aufwertend erscheinen mögen, doch dies sei die „ermittelte Wirklichkeit“. Wohl doch nach der Devise Winston Churchills „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“.

Dieser wissenschaftliche Diskurs über Talks, der weitgehend positive Utopien zu eröffnen suchte, wurde folglich auch bisweilen von ebenso desillusionierten wie desillusionierenden Kommentaren der anwesenden Journalistinnen unterbrochen. So etwa der ernüchternde Einwand der Ex-WDR-Redakteurin und Buchautorin Inge von Bönninghausen: „Daily Talks“ seien reine Inszenierungen, bei denen alles andere als ernsthafte Gesprächskultur im Vordergrund stehe. Die Moderatorin oder der Moderator habe einen Knopf im Ohr und reagiere auf Regie-Anweisungen. Print-Journalistinnen berichteten, wie miß-trauisch Informanten durch schlechte Erfahrungen mit den boulevarigen Fernseh-Formaten geworden seien. Dies erschwere ihre eigene Arbeit ungemein: „Wir berichten im Schatten der Daily Talks“.

Phänomenologie des „Ichs“

Auch der subjektive Stil in den Printmedien, das in seriösen Zeitungen eher verpönte „Journalisten-Ich“, das bisweilen durch Texte führt, wurde in einem Workshop kritischen Blickes gewürdigt. Zwar wurde angestrengt nach guten Gründen Ausschau gehalten, das „Ich“ in journalistischen Texten zu legitimieren – die Ausbeute war jedoch eher mager. Infolgedessen wurde ungemein kreativ eine Phänomenologie der „Ichs“ im Journalismus erstellt. Die interessante Schlußfolgerung: Der subjektive Ansatz ist keineswegs immer weiblichen Ursprungs und zudem nicht grundsätzlich politisch motiviert.

  • Erstens: Das „Wichtigtuer-Ich“, als eitel, arrogant und geschwätzig eingeschätzt. Ein Beispiel wurde in einem Artikel der Zeit vom 7. Oktober 1999 gesichtet. In seinem Bericht „Der Fall Lafontaine“ teilte Gunter Hofmann den Lesern mit: „Unsereins als Journalist hat diesen Oskar Lafontaine, 56 Jahre alt, nun schon in vielen Lebenslagen erlebt.“
  • Zweitens: Das „Trendsetter-Ich“. In einer Reportage in „Die Woche“ (1996) tat die freie Journalistin Ursula Ott unter der Überschrift die „Ehe ist out“ kund: Sie selbst – Trend hin, Trend her – schaue stets gern tröstlich auf „ihren Designerring am rechten Finger“, wenn sie sich langweile. Zugleich gab sie zu bedenken, daß ein Laptop mit Internet-Anschluß oder das Jahresabo im Fitneß-Club nicht glücklich mache. Auch dieses Ich setzt sich zum Maßstab aller Dinge.
  • Drittens: „Das Vermarktungs-Ich“. Erlebnisse im Alltag werden zur schnellen Mark. Jeder Elternabend im Kinderladen, jeder Kneipenabend ist eine Geschichte wert. Der Vorteil: Es muß nicht recherchiert werden, eine enorme Zeitersparnis. Und Zeit ist ja bekanntlich Geld.
  • Viertens: Das „Betroffenheits-Ich“: Über Mütter darf nur schreiben, wer selbst eine ist. Und wer sich noch nie eine Spritze gesetzt hat, sollte keinen Drogenreport verfassen.
  • Fünftens: Das „Nähevermeidungs-Ich“: Besonders bei Volontären und Auszubildenden gefragt. Weil man Angst hat, sich nah an andere heranzuwagen und neugierig zu fragen, zieht man es vor, sich selbst darzustellen. Ein Mangel an Professionalität.
  • Sechstens: Das „Selbstversuchs-Ich“: Wallraff ist wohl das bekannteste Beispiel. Doch auch der Journalist, der sich in den Rollstuhl setzt und versucht, auf diese Weise die Wirklichkeit der Behinderten zu erfahren, fällt unter diese Gattung.
  • Siebtens: Das „heimliche Ich“: Es ist kein Geheimnis und außerdem eine oft und gern gebrauchte Methode, ohne ein einziges Mal das Wort „Ich“ zu erwähnen, seine ureigenste Auffassung der Dinge zu verbreiten. Die Auswahl der von Journalisten übermittelten Fakten und derer, die nicht der Rede wert scheinen, sprechen Bände.

Die seriöse Variante

Nur wenige „anständige“ journalistisch „Ichs“ konnten ermittelt werden.

    • Erstens: Das „Zeitzeugen-Ich“. Die freie Journalistin Ulrike Helwerth erinnert sich in einem Rundfunk-Beitrag über Ulrike Meinhof an das Graffity „Ulrike lebt“ als Botschaft ihrer frühen Kreuzberger Tage. Will heißen: Ulrike Meinhof lebte in den Köpfen derer weiter, die sie kannten, jedoch auch als „linker Wiederauferstehungsmythos“. Helwerth erinnert sich zudem an den Tag, als ein Mann in die Fabrik stürmte, in der sie damals arbeitete: „Die Meinhof ist tot“. Sie beschreibt die Stimmung: Lärmende Äußerungen wie „Gut, daß sie endlich tot ist“ habe es gegeben. Nur sie selbst und eine kleine Gruppe anderer Lehrlinge habe geschwiegen. Angst habe geherrscht, als Sympathisanten abgestempelt zu werden. Der Beitrag war als Kooperation vom Saarländischen Rundfunk und Deutschlandfunk geplant. Wurde jedoch nur vom Saarländischen Rundfunk gesendet. Ob dies jedoch an dem kleinen Wörtchen „Ich“ liegt? Vielleicht habe den Rundfunkoberen mißfallen, daß mit diesem Beitrag Herrschafts-Geschichtsklischees durchbrochen wurden, mutmaßten die Journalistinnen im Workshop.
    • Zweitens: Das „exemplarische Ich“. Die freie Journalistin Ursula Ott schreibt öfter in der „Woche“ über sich selbst. In diesem Fall über die Schwierigkeiten, einen Platz für ihr Kind in der Kinderkrippe zu ergattern. Sie stellt sich selbst als Exempel vor, um auf einen politischen Mißstand hinzuweisen. Sie macht auf diese Weise darauf aufmerksam, daß man kein Sozialfall sein muß, um Opfer staatlicher Fehlplanung zu werden. n Drittens: Das „Transparenz-Ich“. Um Quellen offenzulegen, ist es ehrlicher, wenn man den eigenen Erfahrungshintergrund offen legt. Dies sei allemal besser, als vorzuspiegeln, der Journalist sei eine tatsächlich unabhängige und damit unangreifbare Wahrnehmungs-Instanz.
    • Viertens: Das „politische Ich“. Kleine ironische Anmerkung einer Journalistin: „Darauf warten wir noch.“

Ob das Private tatsächlich politisch ist, konnte bei der Tagung nicht wirklich abschließend geklärt werden, jedoch wurde deutlich, wie anregend es sein kann, sich über Standards gemeinsam zu verständigen. Und ob der Seifen-Talk – ein Unterhaltungsgenre! – weil er hauptsächlich von Frauen geschaut wird, es auch verdient, von ihnen ernstgenommen zu werden, ist wohl nach wie vor umstritten. Zusammenfassend konstatierte Petra Schmitz (Journalistinnenbund) trocken: Nicht die Frauen seien das Rätsel, sondern die Männer. Schließlich säßen sie endlos vor dem Fernseher, guckten Sport und Horrorfilme. Und wer macht sich eigentlich Gedanken über die gesellschaftliche Wertigkeit dieses Phänomens? Ein wildes, freies Feld, das es endlich einmal wissenschaftlich zu beackern gilt.

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