„Sachamanta“

Es muss nicht immer das Internet sein. Für Menschen mit keiner oder schlechter Schulbildung eignet sich das Radio wohl sogar besser als soziales Netzwerk: Man muss nicht schreiben und lesen können, um Nachrichten zu verbreiten. Jeder kann sich zu Wort melden. Nur eines gilt es für den Laien vielleicht zu überwinden: die Scheu, ins Mikrofon zu sprechen. Dass eine solche Hürde zu schaffen ist, hat 2009 schon Susanne Jägers kraftvoller Dokumentarfilm „Dschungelradio“ belegt. Seine Heldinnen, darunter auch etliche Analphabetinnen, haben sich aus eigener Kraft eine Frauenradiostation in Nicaragua aufgebaut, die ihnen eine große Stütze ist im Kampf gegen den alltäglichen Machismo und sexuelle Gewalt.

Arg. / De 2012, Regie: V. Uriona. 50 Min. Spanisch mit deutschen Untertiteln.

Der Film ist im Oktober (2012)  in verschiedenen deutschen Städten zu sehen. Termine unter www.kameradisten.de

Mit „Sachamanta“ kommt nun ein berührender globalisierungskritischer Beitrag aus Argentinien ins Kino. Es ist ein weiteres Zeugnis eines regelrechten Booms an kleinen, unabhängigen Sendern in Zentral- und Südamerika. Die Filmemacherin und Radioaktivistin Viviana Uriona porträtiert bäuerliche und indigene Gemeinschaften des nördlichen Argentiniens, die sich in der Bewegung „Movimiento Campesino Santiago del Estero“ organisiert und zusammengetan haben, um sich gegen Unterdrückung und Landraub zur Wehr zu setzen.
Im Jahr 2000 haben sie fünf eigene Radiostationen aufgebaut, sehr schlicht und keineswegs mit europäischen Standards vergleichbar, aber immerhin! Damit steht den Landwirten ein Sprachrohr zur Verfügung, das ihre Schicksale nicht ignoriert oder verfälscht wie in den Massenmedien, sondern ein Gemeinschaftsgefühl schafft. Endlich können die Campesinos unzensiert Botschaften austauschen und ihre Musik verbreiten. Urionas Film versprüht viel Energie, weil er dem unermüdlichen Kampfesgeist, dem Mut und der Ausdauer dieser Rebellen Raum gibt. Ihre Protagonisten reden offen und mit einfachen Metaphern über ihre Ängste, Probleme und Visionen. Es sind starke Persönlichkeiten, deren ausdrucksstarke Gesichter wie Landschaften wirken, zerfurcht von Mühsal und Wut, aber auch umfangen von Humor, Güte und Entschlossenheit. Dazu passen die unspektakulären Bilder in Schwarzweiß von Gehöften, Radiostudios, Menschen und Tieren.

Ein wenig zu kurz kommen nur die politischen Hintergründe für den wirtschaftlichen Überlebenskampf der Bauern: Um zu verstehen, wie es zu dem Landraub und der Entrechtung kommen kann, muss man wissen, dass die meisten argentinischen Kleinbauern über keinen Nachweis wie etwa einem Grundbuchauszug über ihr Eigentum verfügen. Deshalb kann es vorkommen, dass der Staat „ihr“ Land als „herrenlos“ den einflussreichen Großbauern verkauft. Da Politik, Polizei und Justiz zu den Mächtigen halten, bleibt den Geprellten nur, sich selbst zu organisieren. Gelingt es den Bauern nicht, ihr Land zu behalten, müssen sie in der Stadt Arbeit suchen. Nicht selten landen sie dann in den „Villas miserias“, den Slums am Rande der Großstädte Argentiniens. Alles in allem aber ist „Sachamanta“ ein eindrückliches Plädoyer gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. – Ein Film, der Mut macht, gemeinsam die Stimme zu erheben.


 


 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Filmtipp: Turmschatten

Hannu Salonens Verfilmung des Romans „Turmschatten“ ist ein famos fotografierter Hochspannungs-Thriller. Heiner Lauterbach spielt in der sechs-teiligen Serie den deutschen Juden und ehemaligen Mossad-Agenten Ephraim Zamir, der zwei Neonazis für den Tod seiner Adoptivtochter verantwortlich macht. Die Internetgemeinde soll über ihr Schicksal entscheiden. Er nennt sich „Vollstrecker“, weil er angeblich nur den Willen der Mehrheit ausführt, aber in Wirklichkeit ist Zamir Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person.
mehr »