Die Landespressekonferenz in Hamburg diskutierte über die Berichterstattung während des Kosovo-Krieges
Weil Medien-Vertreter viel über den Kosovo-Krieg berichteten aber bisher wenig über ihre Rolle diskutierten, unternahm die Landespressekonferenz in Hamburg am 22. März des Jahres den Versuch, die Debatte nachzuholen. Haben die Medien wirklich vom Golfkrieg gelernt? Ein Jahr nach Beginn der NATO-Bombardierung auf Jugoslawien üben sich Medienvertreter in zum Teil selbstkritischer Reflexion.
Es scheint festzustehen: Den angeblichen Plan „Hufeisen“ in dem Slobodan Milosevic die „ethnische Säuberung“ des Kosovos begründet haben soll, hat es so nie gegeben. Und wenn, wurde er auf der Bonner Hardthöhe geschrieben. Zu dieser Schlußfolgerung muss man nach der Lektüre diverser Zeitungsartikel zwischen dem 20. und 25. März des Jahres komme. Weder Bundeskanzler Gerhard Schröder, noch Außenminister Joschka Fischer und schon gar nicht Verteidigungsminister Rudolf Scharping haben sich dazu geäußert. „Warum nimmt keine Journalistin, kein Journalist diese Politiker ins Kreuzverhör?“ fragte ein Kollege auf der Veranstaltung der Landespressekonferenz (LPK) in Hamburg.
Neben dem Vorstand der LPK hatten die dju in der IG Medien und der DJV eingeladen. Thema: „Ein Jahr danach – die Journalisten und der Krieg. Zu den Opfern gehört auch die Wahrheit.“ Darüber diskutierten Andreas Pawlouschek von ARD-Aktuell, Erich Follath vom Auslandsressort des „Spiegel“, Thomas von Mouillard, stellvertretender Chefredakteur der dpa, Hermann L. Gremliza, „Konkret“-Herausgeber, Dieter Lutz, Leiter des Instituts für Friedensforschung und die beiden Gewerkschafterinnen Annegret Witt-Barthel (DJV) und Sigrid Meissner (dju).
Oft gehörter Satz während des Krieges: „Zu den Opfern gehört auch die Wahrheit.“ – „In anscheinend weiser Erkenntnis“, so Meissner, „wurde dieser Satz ein wenig abgeändert. Dennoch: Wie Kriege nicht ausbrechen, sondern von Menschen geführt werden, wird auch nicht die Wahrheit einfach zum Opfer.“ Diejenigen, die Krieg führen, wollen nicht, dass die Menschen die Hintergründe über den Krieg erfahren und in den Medien haben sie ihre Helfershelfer. Weiter sagte Meissner, zugespitzt zeige sich in der Kriegsberichterstattung, was ansonsten im journalistischen Alltag üblich ist: Fehlende und oberflächliche Recherche, mangelnde Qualität journalistischer Arbeit, schneller Ausstoß ungeprüfter Nachrichten.
Witt-Barthel fragt, ob deutsche Soldaten „aufgrund von Halbwahrheiten und tendenziöser Berichterstattung“ in den Krieg geschickt wurden. In der Legitimation des Bundeswehreinsatzes als „humanitäre Intervention“ sieht die Gewerkschafterin eine Erklärung für die parteiische Berichterstattung: „Die meisten Medien haben sich in eine Moralisierung der Politik und der Angriffe einbinden lassen. Sie haben damit den beruflich ethischen Grundsatz verlassen, Distanz zu wahren und sich nicht parteilich in die Ereignisse verwickeln zu lassen.“ Witt-Barthel schloss ihr Statement mit der Frage eines russischen Politikers, die dieser auf einer Tagung in Moskau Journalisten vor dem Hintergrund des Tschetschenien-Krieges stellte: „In der Kosovo-Krise haben wir erlebt, wie die westlichen Medien die öffentliche Meinung in den NATO-Ländern auf die Seite der Militäraktion gegen die Serben brachte. Können sie uns bitte erklären, wie sie das gemacht haben?“
„Ich bin immer wieder sehr überrascht, wie sehr wir uns haben missbrauchen lassen“, konzedierte ARD-Mann Pawlouschek. Der Zwang, für Nachrichtensendungen und eine Fülle von Sondersendungen Bilder zu liefern, habe dazu geführt, dass der Wahrheitsgehalt oft nicht ausreichend überprüft wurde. Die vielen Sondersendungen hätten oft unter einem „Mangel an Analyse“ gelitten. Der Sender habe sich an der Oberfläche der Chronistenpflicht bewegt und damit ein „relativ unkritisches Forum geboten“, so der Fernsehmann. Während der täglichen NATO-Pressekonferenzen hätten zu wenig Kollegen die Gelegenheit ergriffen „hart nachzufragen“ und insgesamt habe sich der Berufsstand zu spät mit Grundsätzen seines Gewerbes beschäftigt.
Auch „Spiegel“-Redakteur Follath räumt ein, dass in seiner Redaktion nicht alles zum besten lief. Doch insgesamt sei die Berichterstattung im „Spiegel“ „gar nicht so übel“ gewesen. Insgesamt sei er erstaunt, wie wenig Raum Kriegsgegner in den Medien zugestanden wurde. Der dpa-Mann Mouillard will die Berichterstattung nicht „in Bausch und Bogen verurteilt“ sehen. Zwar sei die Agentur hier und da Falschmeldungen der Militärs aufgesessen, doch nach „zwei oder drei Tagen“ habe man sich von der Wortwahl der Militärs distanziert und auch das Wort Krieg in die Berichterstattung aufgenommen.
Friedensforscher Lutz warf den Medien vor, sie seien der „Bonner Staatsräson“ gefolgt und hätten unreflektiert über den Krieg berichtet. Sein Institut habe bereits lange vor dem Krieg eine Analyse vorgelegt, die belegt, „dass es keinen Völkermord im Kosovo und damit keinen Kriegsgrund gab“. Doch dafür habe sich kein Medienmensch interessiert. Ihrer vordringlichen Pflicht, die Regierung zu kontrollieren, sind die Medien Lutz zufolge nicht nachgekommen.
„Ich kann über Leichen gehen, ihr könnt es nicht“ – Diesen Satz soll diversen Zeitungsberichten zufolge Milosevic zu Fischer gesagt haben. Gremliza klärt auf: „Ziemlich erschrocken erinnert sich Joschka Fischer später: Milosevic sei ihm vorgekommen, wie einer, der ihm in die Augen sieht und schweigend mitteilt: Ich gehe über Leichen, und das kannst Du nicht“, so das Original-Zitat aus der „Zeit“. Weiter zitiert Gremliza – neben unzähligen anderen Zeitungen – das „Hamburger Abendblatt“: „Das Bonner Triumvirat zieht unerschütterlich an einem Strang. Scharping, Schröder und Fischer wachsen über sich hinaus. Der Kosovo-Krieg hat diese Männer zusammen geschweißt. Mit Härte und unbeugsamer Festigkeit verteidigen sie den Einsatz deutscher Soldaten.“ – „Sie sehen“, so der Konkret-Herausgeber, „Kriege und insbesonders deutsche Kriege, kennen keine Parteien. Der Krieg kennt nur noch Deutsche, Volksgenossen. Wo es aber keine Parteien mehr gibt, gibt es keine zwei Meinungen, und wo es keine zwei Meinungen mehr gibt, gibt es keine Information, sondern Propaganda.“
- Zum Jahrestag des Beginns der Bombardierung Jugoslawiens gab es eine Reihe von Veranstaltungen in verschiedenen Städten, für die dieser Bericht aus Hamburg stellvertretend steht. Ähnlich selbstkritische und nachdenkliche Überlegungen waren überall zu hören – für den Austausch weiterer Informationen und Argumente steht „M“ weiterhin offen.