Bilder sind keine Belege mehr

Award 1999 – Digitale Fotografie

Porträtfotos von Erich Honecker, Che Guevara, eine Aufnahme von der Mondlandung – Dokumente der Zeitgeschichte. Aber in der Bearbeitung von Ingo Mische erhalten sie eine besondere Aktualität. Der Student aus Weimar hat historische Fotos manipuliert, fast unmerklich verfälscht: Honecker trägt eine Anstecknadel von Porsche am Revers, Che Guevara einen Mercedes-Stern an der Mütze und in die Aufnahme von der Mondlandung ist das Logo des Nachrichtensenders CNN eingeblendet. CNN hat sich durch unrühmliche Kriegsberichterstattung einen großen Namen gemacht, aber als Neil Armstrong den Mond betrat, gab es den Sender noch gar nicht. Ingo Mische hat mit seinen Arbeiten beim Award 1999, dem Fotowettbewerb der IG Medien „Chancen und Risiken der digitalen Fotografie und elektronischen Bildbearbeitung“, den ersten Platz belegt.

Mit den manipulierten historischen Bildern wirft Mische die Frage auf, welche Beweiskraft Fotos überhaupt noch haben, können sie noch Authentizität bezeugen? Die subtilen Manipulationen werden erst auf den zweiten oder gar dritten Blick wahrgenommen. Wer erwartet auf einem Foto, das einen Rotarmisten zeigt, wie er auf einem Gebäude in Dresden die sowjetische Flagge hisst, denn auch ein Schild von McDonalds an einem Hauseingang? Mische schreibt Geschichte mit fotografischen Mitteln neu, wenn er bei einer SED-Veranstaltung im Leipziger Zentralstadion in den siebziger Jahren die BRD hochleben lässt, und nicht die DDR.

Er verdeutlicht: Ein Bild ist kein Beleg mehr für den Ablauf eines Ereignisses, nicht einmal für dessen Existenz. Damit verweist er auf die besonderen Risiken, die mit digitalen Medien verbunden sind. Als Chance begreift er jedoch, dass eine zunehmende Sensibilisierung für die Gefahren und Möglichkeiten digitaler Manipulationen erfolgen kann. Das Thema Manipulation ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, eine öffentliche Diskussion anzuregen und die Öffentlichkeit, aber auch die Medienschaffenden selbst zu sensibilisieren, ist eines der wichtigsten Ziele des Fotowettbewerbs.

Die TeilnehmerInnen am Award 1999 mussten zeigen, dass es ohne digitale Bildbearbeitung nicht möglich gewesen wäre, ihre Arbeiten zu erstellen. Dies ist der Hamburger Künstlerin Beate Gütschow, die den zweiten Platz belegt hat, ausgezeichnet gelungen. Auch wenn das auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist. Ihre Bilder sind Fotos von Landschaften, erscheinen aber doch eher als Abbildungen von Gemälden aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die von menschlichen Eingriffen und Umweltzerstörung unberührten Landschaften, die Gütschow zeigt, gibt es so gar nicht mehr. Sie sind aus Versatzstücken am Computer konstruiert. Gerade weil innerhalb der Fotos alles stimmt, wirken sie unnatürlich, erklärt die Künstlerin. Sie verwischt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Inszenierung und Dokumentation – und greift mit Landschaften, für die es kein Original mehr gibt, das Problem der Authentizität sehr anschaulich auf.

Den dritten Preis erhielt die Berliner Künstlerin Bettina Hoffmann. Sie stellt das Thema Identität im Medienzeitalter in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. In ihren Bildern erscheint die selbe Frau mehrfach, perfekt geklont, und zwar in verschiedenen Rollen und Stimmungslagen. Es handele sich um Zwischenbereiche, in denen sich nichts Konkretes ereigne, in denen aber alles auf eine Handlung oder ein Geschehen hindeute, erläutert die Künstlerin. Ihre Bilder zeigen die Konflikte zwischen Nähe und Distanz, Selbstbild und Fremdbild, Identität und Entfremdung.

Für den Award 1999 haben 65 TeilnehmerInnen aus dem In- und Ausland mehr als 250 Arbeiten eingereicht. Angetan war die Jury vom hohen Niveau der Beiträge. Der erste Platz ist mit 5000 Mark dotiert, der zweite mit 3000 Mark und der dritte mit 2000 Mark. Eines der Siegerfotos wird außerdem auf einen Sonderwagen des Modelleisenbahn-Herstellers Märklin gedruckt, den die Firma Märklin aus Anlass des Fotowettbewerbs auflegte. Je einen dieser Wagen erhalten die 25 Erstplatzierten als Sonderpreis. 150 weitere Sonderwagen werden versteigert, wobei die IG Medien pro Wagen 30 Mark erhält, jede weitere Mark, die die Versteigerung erbringt, erhält das SOS Kinderdorf.

Die zehn erstplatzierten Beiträge für den Award 1999 werden ab 5. Mai in der Göppinger Filiale der Landesbank Baden-Württemberg ausgestellt. Anschließend werden sie in einer Wanderausstellung präsentiert. Zu sehen sind sie unter anderem auch auf der Photokina in Köln, in Stuttgart und Berlin. Die ersten zehn Plätze belegten (der fünfte Platz wurde aufgrund gleicher Punktzahl zweimal vergeben):

1. Ingo Mische (Weimar), 2. Beate Gütschow (Hamburg), 3. Bettina Hoffmann (Berlin), 4. Regina Maultzsch (Aachen), 5. Markus Rodler (Bochum) und Katja Hoffmann (Berlin).
Der zweite fünfte Platz ging an Katja Hoffmann und Andrea Katheder aus Berlin. Ihre digital geklonte Darstellerin zitiert vor dem Computer sitzend ein populäres Bildmotiv, um der empfundenen Ohnmacht gegenüber der dargebotenen Information und deren zweifelhaftem Wahrheitsgehalt ironisch-spielerisch Ausdruck zu verleihen.
7. Franziska Lamprecht (Geraberg), 8. Ralf Herzig (Berlin), 9. Andreas Lobe (Reutlingen), 10. Norbert Köferl (Nürnberg).

Der Jury gehörten an: Uli Bächle, Chef des Fotofachlabors Bächle EBV, Roland Gaugele, Pressesprecher der Firma Märklin, Klaus Harter, Redakteur und Mitglied des Landesfachgruppenvorstandes Journalismus Baden-Württemberg, Thomas Jeschke, Chef der Werbeagentur Online, Udo Milbret, Bildjournalist und Mitglied des Bundesfachgruppenvorstandes Journalismus, Joachim Röttgers, Fotograf, Prof. Michael Schneider, Filmakademie-Dozent, Thomas Tabbert, Medienwissenschaftler, Wolfgang Wittstock, Leiter Privatkundengeschäft der Landesbank Baden-Württemberg, und Günter Zint, Dokumentarfotograf.


  • Die Wanderausstellung mit den zehn besten Wettbewerbsbeiträgen kann beim Landesbezirk Baden-Württemberg der IG Medien gemietet werden, Ansprechpartnerin ist Heike Jasper, Willi-Bleicher-Straße 20, 70174 Stuttgart, Telefon 07 11/29 24 41-44.

    IG Medien wird gesponsert

    Die beste Idee taugt nur wenig bis gar nichts, wenn das Geld fehlt, sie umzusetzen. Eine gute Idee ist es, so befand der Landesfachgruppenvorstand Journalismus Baden-Württemberg, einen Fotowettbewerb zu „Chancen und Risiken der digitalen Fotografie und elektronischen Bildbearbeitung“ bundesweit auszuschreiben. Allerdings überstiegen die dafür notwendigen Kosten bei weitem die finanziellen Möglichkeiten der IG Medien. Deshalb ging der Landesfachgruppenvorstand den für eine Gewerkschaft vielleicht nicht ganz üblichen Weg und suchte Sponsoren. Besonders dem enormen Engagement von Vorstandsmitglied Michael Tilp ist es zu verdanken, dass mehrere Sponsoren den Fotowettbewerb mit Sach- und Dienstleistungen sowie Zuschüssen jeweils im fünfstelligen Bereich unterstützen: Die Werbeagentur Online, der Fotofachdienst Bächle EBV, die Göppinger Filiale der Landesbank Baden-Württemberg, die Firma Märklin, der Verband adf und die Fachzeitschrift Profifoto.

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