Von Leidmedien lernen

Die sprachlichen Entgleisungen in Berichten über Behinderte

Welcher Journalist träumt nicht gerade zu Beginn seiner Berufslaufbahn davon, alsbald in einem Leitmedium arbeiten zu dürfen. Doch wenn es um Behinderte und Behinderung geht, versagen diese Meinungsführer im Radio-, Fernseh-, Print- oder Onlinebereich oftmals oder sie finden nicht den richtigen Ton. Das meinen zumindest die Macher von leidmedien.de aus Berlin, die selbst in der Medienbranche tätig sind und von denen selbst einige im Rollstuhl sitzen. Jetzt wollen sie mit ihrem Online-Portal nicht-behinderten Kollegen auf die Sprünge helfen.


Einer der Gründer von leidmedien.de ist Raul Krauthausen, der nicht „an der Glasknochenkrankheit leidet“, sondern sie einfach hat. Er ist auch nicht „an den Rollstuhl gefesselt“, sondern er sitzt darin und benutzt ihn einfach. Das sind nur zwei Beispiele sprachlicher Entgleisungen, wie er sie oft in der Presse beobachtet. „Die Medien stellen beim Thema Behinderung oft nur das Leid in den Mittelpunkt. Da heißt es dann: Er macht trotz seiner Behinderungen dies und das. Trotz seiner Glasknochen ist er glücklich. Und alles was man tut, ist gleich doppelt so gut, nur weil einer behindert ist. Das wollen wir ändern“, erklärt der Redakteur.
Leidmedien.de gibt dezent aber deutlich Hinweise, wie Redaktionen mit Behinderten umgehen sollten und wie über sie besser zu berichten wäre. Wie jeder normale Protagonist möchte auch ein Behinderter nicht einfach geduzt werden. Und sei die Hand auch noch so verformt, man darf sie zur Begrüßung ruhig schütteln. Es geht um wichtige Anregungen, denn gerade bei der Aufklärung über Behinderung komme Journalisten eine Schlüsselstellung zu. „90 Prozent des Wissens, das Nicht-Behinderte über Behinderte haben, stammt aus den Medien. Man muss sie sensibilisieren. Denn nicht jeder Blinde lebt in absoluter Dunkelheit und nicht jeder Gehörlose in totaler Stille, sondern die meisten kennen das nicht anders. Sie leben ein Leben, wie viele andere auch“, sagt Krauthausen.

Inklusion

Rebecca Maskos hat einst bei Radio Bremen volontiert. Sie weiß, dass Behinderte es in der Regel immer nur als Helden, die ihr Schicksal meistern, oder als Versorgungsobjekte von Institutionen vor die Kamera oder das Mikrophon schaffen. Sie fordert von ihren Kollegen einen Paradigmenwechsel, um Inklusion, also selbstverständliche Teilhabe am Alltag besser ermöglichen zu können. Die Journalisten sollten ihren Fokus ändern und nicht mehr vorwiegend gefühlsbetont berichten.
„Die meisten journalistischen Ansätze sind doch: Ach ist das toll, auch mit Behinderung kann man ganz normal leben! Das sind solche Berichte, die nicht weiter helfen. Behinderte haben ganz andere Probleme. Die fragen sich, wo kriegen sie Gelder für ihre Assistenz her? Wie können sie zum Beispiel Leute bezahlen, die sie tagtäglich aus dem Bett heben? Denn das ist wichtiger Teil eines selbstbestimmten Lebens. Journalisten könnten sich mal fragen, wieso Behindertenhilfe ein so durchorganisiertes System ist, in das Unmengen von Geld fließt, das aber nicht Inklusion befördert, sondern im Gegenteil weiterhin die Aussonderung von behinderten Menschen verfestigt“, gibt die ebenfalls rollstuhlfahrende Redakteurin zu bedenken.

Akzeptanz und entspannter Umgang

Allerdings gebe es auch Positivbeispiele. So sei die Rolle der kleinwüchsigen Polizei-Pathologin, Spitzname Alberich, im Münsteraner Tatort durchaus gelungen und inklusiv. Ihre Rolle werde nicht verleugnet und sie sei normaler Teil der Handlung. „Die Tatsache, dass Witze über ihre Kleinwüchsigkeit gemacht werden, zeigt Akzeptanz. Meine Freunde machen auch oft Witze über meine Behinderung. Das ist für mich Zeichen eines sehr entspannten Umgangs“, meint Maskos, die selbst wenig mehr als einen Meter misst. Allerdings tun sich Film und Fernsehen noch viel zu schwer, behinderte Schauspieler zu engagieren. „Wieso muss der einarmige Kommissar von Edgar Selge gespielt werden und nicht von einem behinderten Schauspieler? Da reden sich Regisseure oft damit heraus, dass sie beim Casting zu wenig Zeit gehabt hätten“, hält leidmedien-Redakteur Krauthausen dagegen.
Die Unbeholfenheit vieler Journalisten und Medienverantwortlicher rühre auch daher, weil kaum behinderte Kollegen in den Redaktionen arbeiteten. Der deutsche Journalismus habe da noch viel nachzuholen, ganz anders als etwa in Großbritannien. Nicht nur dass dort viele Berichte wesentlich näher an der Lebenswirklichkeit von Behinderten seien.
Bei der BBC gibt es etwa behinderte Moderatoren, die ganz normale Sendungen für das ganz normale Publikum moderieren. Hierzulande kommt das höchstens in Behinderten-Spezialsendungen wie „Menschen – das Magazin im ZDF“ vor. Betroffene treffen zwar auch hier auf viel Empathie und Anteilnahme, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. „Es hört bei der Frage auf, ob das eigene gesunde Kind auf eine Inklusionsschule zusammen mit Behinderten geht. Es hört dann auf, wenn es darum geht, ob Schwangere PID wollen? Ja natürlich, wer will schon ein behindertes Kind! Es hört da auf, ob der Beziehungspartner eine Behinderung haben kann oder nicht? Oder ob Unternehmen lieber ihre Ausgleichsabgabe zahlen, um keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen zu müssen. Genau das sind die Komfortzonen, an die wir ran müssen“, fordert Krauthausen. „Es ist immer dieser Blick von vermeintlich gesund auf vermeintlich krank. Das ist systemimmanent und das ist das, was wir anprangern.“

 

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