Eine abgeschlossene Kinematografie? Wo gibt’s denn sowas? Das gibt es mitten in Deutschland. Es handelt sich um die DEFA. Gegründet wurde die Deutsche Film AG am 17. Mai 1946. Anlässlich des 70. Gründungsjubiläums erinnern Kinos – und nicht nur im Osten des Landes – an Film- und Zeitgeschichte(n) aus der DDR. MDR, RBB und Arte zeigen teils umfangreiche Filmreihen und neue filmgeschichtliche Dokumentationen. Das Aufschließen dieses kulturellen DDR-Nachlasses steht freilich auf tönernen Füssen, weiß Ralf Schenk, Vorstand der 1999 gegründeten DEFA-Stiftung.
DEFA-Gegenwartsfilme stellen oft kriselnde Beziehungen in einer Umbruchzeit dar. Filmbilder bleiben haften, die mehr über das Widerspruchsland DDR zeigen als manche nachgereichte soziologische Analyse. Denn offiziell waren Filme, die Probleme aufgreifen und sich einmischen wollen, durchaus erwünscht. Aber, wenn sie dann kommen sollten, wurden sie oft genug verhindert – und wie im Fall der Filmproduktion „Spur der Steine“ von 1965/66 verboten.
Geradezu beispielhaft ist die Gegenüberstellung von altem Gebäudebestand und neuer „Platte“ – ein Filmsymbol für die Ablösung des Alten durch etwas Neues. Aber wie soll das Neue hinter den gleichförmigen Fassaden und für die Menschen sein, fragen Filme. In der „Legende von Paul und Paula“ nutzt Heiner Carow solche visuellen Assoziationsauslöser. Ähnlich halten es andere Filmemacher: „Der tapfere Schulschwänzer“ steht in Winfried Junges Kinderfilm von 1973 vor dem Rudiment eines historisch-proletarischen Elendsviertels – dahinter die „Platte“:
In „Ikarus“ zeigt Heiner Carow einen VW-Bus mit Westkennzeichen vor dem letzten Altbau; daneben verschwinden Passanten in einem Park, unter ihnen ein Mann mit Ledermantel; im Hintergrund erscheint wieder ein Neubau:
Konrad Wolfs Sängerin „Solo Sunny“ gewinnt ihre Kraft aus dem Prenzlauer Berg, dessen marodem Charme sie sich nicht anpassen will:
So dokumentieren viele der über 12.500 zwischen 1946 und 1992 entstandenen DEFA-Filme weit mehr als nur parteikonforme Propaganda – von „Die Mörder sind unter uns“ (1946) bis „Glaube, Liebe, Hoffnung“ (1993). Es ist eine Filmkunst, die oft auf authentische Bilder setzt, um kritische Momente ins Spiel zu bringen. Aber: Natürlich gab es auch Propaganda und Belangloses in Mengen. In diesem Spannungsfeld gehören die DEFA-Filmschätze zur deutschen Film- und Zeitgeschichte.
Im Schatten des Urheberrechts
Der DEFA-Stiftung, die diese Vielfalt der Lebensgeschichten dem Publikum und für die Forschung öffnen soll, bieten Jahrestage die Gelegenheit, Filme an die Öffentlichkeit zu bringen. Kino- und TV-Termine, der Verkauf von DVDs und Blu Rays, Abrufe in Online-Datenbanken sind zugleich eine wichtige und funktionierende Geldquelle für die Stiftung, berichtet Vorstand Ralf Schenk. Die Reform des Urheberrechts kostet die DEFA-Stiftung seit 2009 bis zu 500.000 Euro jährlich. Die Gerätehersteller kämpfen permanent gegen die an die Verwertungsgesellschaften zu entrichtende so genannte „Reproabgabe“. Umgekehrt werden die Ausschüttungen dieser Gelder für TV-Ausstrahlungen anders berechnet: Früher wurde an die Besitzer von Filmrechten nach Sendetermin und dem ausstrahlenden Sender abgerechnet. Das wurde unlängst auf ein kompliziert hochgerechnetes „angenommenes Kopierverhalten der deutschen Bevölkerung“ umgestellt. „Die Umbewertung führt dazu“, meint Ralf Schenk, „dass die DEFA-Stiftung, andere deutsche Filmstiftungen und die meisten deutschen und europäischen Rechteinhaber gegenüber Hollywood-Filmen und US-Serien deutlich benachteiligt sind. Von den Verwertungsgesellschaften bekommen wir statt früher rund einer Million Euro jährlich jetzt nur noch etwa 400.000 Euro.“
„Vergangenes neu entdecken – Zukunft fördern“ – ihr Motto kann die DEFA-Stiftung daher seit 2014 nur eingeschränkt umsetzen. Ein ganzes Bündel von hauptsächlich auf den Nachwuchs ausgerichteten Förderaktivitäten wurde ausgesetzt. Immerhin vergibt die Stiftung noch auf fünf Festivals Filmpreise und jährlich werden drei Persönlichkeiten und drei Kinos für vorbildliche Arbeit mit deutschen und europäischen Filmen ausgezeichnet
Hauptaufgabe: Digitalisierung
Voraussetzung für Filmaufführungen in Kinos, Veröffentlichungen auf DVDs und Blu Rays usw. ist die Digitalisierung der nur auf „analogem“ 35mm-Film vorhandenen Originale. „Wir stecken im Jahr etwa eine halbe Million Euro in die Digitalisierung. Im letzten Jahr haben wir 95 Filme digitalisiert – 30 Langfilme und viele kurze Trick- und Dokumentarfilme. Wir versuchen diese Größenordnung zwischen 60 und 90 Filmen pro Jahr beizubehalten.“ Schenk macht die Dimensionen solcher Projekte deutlich: „Ein Spielfilm kostet etwa 20.000 Euro – mit Retuschen, aber oft ohne großartige Restaurierung. Würden wir penibel Bild für Bild restaurieren lassen, kämen wir mindestens auf das Doppelte. Das könnten wir allein nie finanzieren.“ Daher ist man dankbar, dass der Bund, einige Bundesländer und die Filmbranche über die Filmförderungsanstalt solche Projekte fördern.
Es gibt aber doch Einiges zu feiern
Die Märchenfilme der DEFA sind immer für einen Kinotermin und eine Fernseh-Wiederholung gut und verkaufen sich auch auf Silberscheiben, berichtet Schenk. „Renner sind natürlich die Kinderfilme – ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel’, ‚Die Geschichte vom kleinen Muck’ oder die Märchenfilme nach den Brüdern Grimm“, merkt Schenk dazu an. „Auch Klassiker, angefangen von ‚Die Mörder sind unter uns’ bis ‚Coming Out’ und ‚Die Architekten’ laufen gut“. Gelegentlich werden Schenk und seine Mitstreiter überrascht: Die letztjährige DVD-Edition der zehn Verbotenen Filme von 1965/66 übertraf mit inzwischen drei Auflagen alle Erwartungen. Die Jubiläen der Filmverbote des 11. SED-Plenums von 1965 und der 60. Gründungstag des DEFA-Trickfilmstudios in Dresden waren im vergangenen Jahr Anlass für Film-Digitalisierungen und die Herausgabe spezieller DVD-Editionen. 2016 ist es die DEFA-Gründung. Für 2017 steht u.a. der 500. Jahrestag der Reformation in DEFA-Filmen im Mittelpunkt von Sondereditionen und Filmprogamm-Angeboten.
Die ganz große Jubelparty zum 70. DEFA-Geburtstag wird es nicht geben. Etliche Festivals, angefangen von der Berlinale über das Stuttgarter Trickfilmfestival und bis Locarno, zeigen DEFA-Retros. Ein neuer Doku-Zweiteiler des MDR greift Geschlechterrollen in der DDR, ihre Entwicklung und Widerspiegelung im Film, auf. Die Dreiländeranstalt zeigt 50 DEFA-Filme, davon 30 im Mai. Erstmals wird der Krimi „Seilergasse 8“ von Joachim Kunert gesendet und es gibt eine Trickfilmnacht. Knut Elstermann führt RBB-Zuschauer und Beteiligte unter dem Motto „Hier dreht die DEFA!“ zu Berliner Filmschauplätzen. Der RBB, wie auch Arte, zeigen im Mai DEFA-Filme.
„Nach 30 Jahren werden alle Filme, auch die fiktiven, Dokumente. Weil etwas ist in ihnen. Auch in der fiktiven Geschichte steckt ja immer die wirkliche Welt… (Der Regisseur) baut aus den Versatzstücken der Welt seinen Film zusammen, er macht ja nicht völlig andere Bilder. Die Dokumentarisierung durch Lagern – durch reines Durchhalten – trifft ja viele Filme. Und sie finden dadurch unter Umständen für ein Publikum, das das gar nicht mehr kennt, einen bestimmten Reiz.“
(Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase in der RBB-Doku „Hier dreht die DEFA!“)
„Dokumentarisiert und gut gelagert“ könnten diese Filme, Wolfgang Kohlhaases Gedanken aufgreifend, neue Blickwinkel auf Historisches öffnen. Was ja vielleicht Anreiz bietet für einen anderen Blick auf die Gegenwart.