Renate Angstmann-Koch in ungewohnter Rolle: sonst stellt die Journalistin selbst die Fragen, jetzt löchert ein Kollege die ehrenamtliche dju-Funktionärin – die monatelang auch in der kleinen Runde mit am Verhandlungstisch saß, wenn sich die Vertreter der Journalistengewerkschaften und des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) trafen. Zuletzt auch bei der fast 18stündigen Sitzung, die um sechs Uhr morgens zu dem Verhandlungsergebnis geführt hat, das zurzeit unter den Journalisten diskutiert wird.
Es ging nicht nur ums Geld
„Ich habe bei den Verhandlungen den Eindruck gewonnen, dass etliche Verleger nicht mehr an ihr Produkt glauben“, sagt die Redakteurin des Schwäbischen Tagblatts aus Tübingen bei der Zugfahrt nach Frankfurt, wo sie bei einer Streikversammlung auftreten soll. Deshalb gehe es bei dem Streik nicht nur um das Geld, das die Verleger den Redakteuren wegnehmen wollen, sondern auch um die Zukunft und die Qualität des Journalismus, der in etlichen Zeitungen bereits „zu einer Art von Fließbandarbeit“ verkommen sei. „Kennst du das Mannheimer Schloss“, unterbricht die 54-Jährige kurz nach dem Hauptbahnhof und zeigt aus dem Fenster. In dieser Stadt ist sie aufgewachsen und früh mit Politik in Verbindung gekommen. „Mein Großvater war vor der Machtübernahme der Nazis Gewerkschaftsvorsitzender, mein Vater von 1946 an Landtagsabgeordneter.“ Ein Sozialdemokrat, aber ein „konservativer“, wie die Tochter betont, die als Schülerin und Studentin so manchen Strauß mit ihm ausgefochten hat.
Renate Angstmann-Koch ist angespannt. Nicht weil sie bald vor Streikenden sprechen soll. Sondern weil sie weiß, dass ihr eine harte Verhandlungsrunde in Hamburg bevorsteht. Dabei kommt sie sich häufig wie in einem Raumschiff vor. Hotelräume an Flughäfen oder Bahnhöfen, oft ohne Tageslicht. „Und dann die Rituale, die Frage, wer in den frühen Morgenstunden länger durchhält.“ Da könne schon der Bezug zur Basis verloren gehen, sagt die Verhandlerin, die deshalb immer wieder zum Handy greift, um mit Kolleg/innen zu sprechen. Zur Entspannung wandert sie gern. Am liebsten alleine, um zur Ruhe zu kommen oder um neue Gedanken zu fassen. Viel Zeit war dafür in den letzten Wochen nicht.
Schon als junge Journalistin – sie hatte Deutsch, Geschichte und Kommunikationswissenschaften studiert – tritt Renate Angstmann-Koch der Gewerkschaft bei, die damals noch IG Druck und Papier heißt. Als Volontärssprecherin der dju zieht sie Ende der 80er Jahre durchs Land, um für einen Ausbildungstarifvertrag zu mobilisieren. Mit Erfolg: Der Vertrag existiert noch heute und garantiert ein gewisses Maß an Qualitätssicherheit. Seitdem gehört sie mit Unterbrechungen dem Landesvorstand der dju an, der Bundestarifkommission und stellvertretend dem Bundesvorstand. Mitte der 90er Jahre wurde sie von den Beschäftigten des Schwäbischen Tagblatts – derzeit 170 Frauen und Männer – zur Betriebsrätin gewählt, kurz danach zur Vorsitzenden des Gremiums.
Eine typische Gewerkschaftsfunktionärin also? Angstmann-Koch winkt ab. „Das Pathos vieler Funktionäre geht mir ab.“ Als Journalistin habe sie eine andere Haltung gelernt und verinnerlicht: Die Distanz. Dabei ist die Kollegin über die Arbeitgeber und deren Verband zutiefst empört, eignet sich aber nicht zur Agitatorin. Bei den Journalisten im Frankfurter Gewerkschaftshaus kommt das gut an. Auch wenn die Rednerin kurz aus dem Konzept kommt und in ihren Unterlagen blättern muss. Dann erzählt sie von dem älteren Redakteur, der Anfang des Jahres erstmals das Wort Streik in den Mund genommen hatte. Nicht wegen sich, sondern wegen der jungen Kollegen, die deklassiert werden sollten. Applaus im Saal des Gewerkschaftshauses. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn Journalisten applaudieren gewöhnlich nicht – wegen der Unabhängigkeit – und tun sich damit auch schwer, wenn es um die eigenen Belange geht.
„Kollektive Gefühle sind unseren Leuten eher fremd“, erklärt Angstmann-Koch, die – auch das ist ungewöhnlich für Journalisten – einen dju- und einen ver.di-Button trägt. „Aber der Arbeitskampf hat uns verändert.“ Kolleginnen und Kollegen, die sich eher als Einzelkämpfer, als Künstler fühlten, hätten plötzlich gespürt, was es heißt, sich im Streik mit den Kollegen der konkurrierenden Redaktionen abzustimmen. Solidarität sei „ein Gefühl, über das wir sonst nur schreiben, wenn es um andere geht“. Begeistert ist die „überzeugte Lokaljournalistin“ auch von den vielen Gesprächen mit Leserinnen und Lesern. Denn nah am Leser sein, aufklären und auch einmal „anwaltschaftlich“ tätig werden, das ist ihr wichtig.
Tolle Unterstützung
Besonders gefreut hat sie sich über die Unterstützung, die die Streikenden erfahren haben. „Als wir am Tübinger Holzmarkt Flugblätter verteilten, ist eine Frau vom Fahrrad abgestiegen und hat gefragt, wie sie uns helfen könne.“ Spontan habe man sich dann zu einer Unterschriftenaktion entschieden. „Und sogar der Regierungspräsident sowie die Oberbürgermeister von Tübingen und Rottenburg haben unterschrieben“, sagt die Aktivistin. Toll seien auch die Kreativität der Streikenden und ihre Zähigkeit gewesen. „Manche haben schon über 30 Streiktage hinter sich“, erzählt Angstmann-Koch bei der Streikversammlung in Frankfurt. Und fast alle freien Mitarbeiter des Schwäbischen Tagblatts hätten sich trotz hoher Einbussen beteiligt. Davon hatte Anfang des Jahres noch niemand zu träumen gewagt. „Früher sahen wir schon in einem mehrstündigen Warnstreik eine hohe Hürde“, erinnert sich die Journalistin. „Jetzt sind wir selbstbewusster geworden.“ Und das werde auch nach einem Tarifabschluss so bleiben.