Digitalradio in bundesweitem Netz gewagt aber auch vielversprechend
Nachdem der Versuch gescheitert ist, mit DAB dem Radio in Deutschland einen Weg ins Digitalzeitalter zu bahnen, suchen Deutschlandradio, Deutschlandfunk, die ARD und eine Allianz privater Hörfunker den Schulterschluss. Seit dem 1. August 2011 soll DABplus die Hörer von den Vorzügen des per Antenne empfangbaren Digitalradios überzeugen.
Dem Neustart ging eine langwierige Debatte um die Finanzierung und die Erfolgsaussichten des digitalen Antennenradios voraus. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) wollte neue Gelder aus dem Topf der Gebührenzahler nur dann freigeben, wenn die privaten Radiomacher bereit sind, für den Aufbau der neuen Senderinfrastruktur mit ins wirtschaftliche Risiko zu gehen.
Trotz öffentlicher Grabesreden fand sich eine Allianz digitalwilliger Radiomacher und die KEF gab die umstrittenen Finanzmittel in Höhe von 42 Millionen Euro frei. Der Neustart sah ein neues, bundesweites Sendernetz vor, welches am 1. August 2011 mit 27 Standorten seinen Betrieb aufnahm. Auf einen Schlag gingen 13 Hörfunkprogramme bundesweit auf Sendung.
Allen Unkenrufen zum Trotz bleibt festzuhalten, dass der Neustart ein neues Hörfunkkapitel aufschlägt: War der nationale Hörfunk über die Ländergrenzen hinweg bisher ein Privileg von Deutschlandradio und Deutschlandfunk, kommen nun erstmals private Hörfunkveranstalter in den Genuss, mit nur einer Genehmigung in allen Bundesländern auf Sendung gehen zu können. So ist auch zu erklären, weshalb in der Liste der neuen, bundesweit sendenden Hörfunkveranstalter vorwiegend Unternehmen zu finden sind, die unter einer schwachen UKW-Frequenzausstattung zu leiden haben: „Mit dem bundesweiten DAB-Angebot haben wir die Chance, die Hörer mit neuen, interessanten Radioprogrammen zu begeistern, die aus den regionalen UKW-Verbreitungsgebieten bisher nicht bekannt sind“, kommentierte Regiocast-Sprecher Boris Lochthofen im Vorfeld die sich nun bietende Chance. Gemeinsam besprechen die frischgebackenen „Bundesradios“ ihr Vorgehen, um das gewagte Projekt zum Erfolg zu führen.
Ein inhaltlicher Neubeginn, der UKW-müde Radiohörer mitreißt, gelang aber nicht. Die Regiocast sagte den geplanten Literaturkanal „Litera“ kurz vor dem Start ab. Nach Angaben des Regiocast-Sprechers Nico Nickel hatte man bei Litera eigentlich darauf gesetzt, bestimmte Programmanteile verschlüsseln zu können. Die Erkenntnis, dass Payradio mit den heutigen Radios nicht möglich ist, kann kaum als Überraschung verkauft werden. Stattdessen geht man mit einem in Hessen erprobten Rockkanal (Radio BOB) auf Sendung. Ein Programm für elektronische Musik soll später nachgereicht werden. Der Frank Otto Medienbeteiligungsgesellschaft fiel nichts Besseres ein, als das in Berlin laufende KissFM ins Digitalradio zu bringen. Auf digitale Verbreitung setzen weiterhin Klassik Radio und Radio Energy. Mit dem Evangeliumsrundfunk (ERF) und Radio Horeb, sorgen gleich zwei christliche Kanäle für die geistliche Erbauung der Digitalradio-Hörer.
Den Lichtblick des Neuen bringen immerhin die Programme Absolut Radio, das aus Österreich importierte Lounge FM und das im Internet bereits so erfolgreiche Fußballradio 90elf, bei dem die Hörer an den Ligaspieltagen in Echtzeit von Stadion zu Stadion schalten können.
Der Aufbruchstimmung hat sich auch die ARD angeschlossen. „Dieser Schuss muss sitzen“, findet Michael Reichert, ARD-Koordinator für die DAB-Offensive. Die Landesrundfunkanstalten senden neben dem Bundesprogrammpaket in den DAB-Landesnetzen. Diese erhalten durch einen Kanalwechsel mehr Sendeleistung. Zudem sollen bis zum Jahresende alle ARD-Radiowellen mit DAB digital auf Sendung sein. In Ballungsgebieten, in denen sich das neue Bundesangebot mit landesweiten und lokalen DAB-Angeboten verbindet, entsteht so mit 30 Programmen erstmals eine attraktive Programmauswahl für das Digitalradio.
Damit sämtliche ARD-Sender auf den Sendernetzen einen Platz finden können, ist eine Umstellung von der DAB auf die DABplus-Sendenorm notwendig. Der WDR und der MDR haben diesen Technikwechsel bereits vollzogen.
Mit DABplus kommt eine neue Datenkompression zum Einsatz. Dadurch lassen sich zwar gut doppelt so viele Programme auf einem Kanal übertragen, DAB-Radios die vor 2008 verkauft wurden, können den neuen DAB-Standard aber nicht wiedergeben. In vielen Bundesländern können DAB-Radiobesitzer außer Deutschlandradio und Deutschlandfunk, die sich entschlossen haben vorübergehend in alter Norm weiter zu senden, nichts mehr empfangen.
Ganz bei Null fängt man bei der technischen DABplus-Ertüchtigung der Haushalte nicht an. Die in den vergangenen Jahren gut nachgefragten Multinormradios, die per WLAN Internetradio empfangen können, sind zu einem guten Teil in der Lage auch UKW, DAB und DABplus zu empfangen. Da jedoch alle neuen DAB-Programme ausnahmslos im Internet zu empfangen sind, ergibt sich kein Grund den „Wellenbereich“ zu wechseln.
Trotzdem gelang es den privaten DABplus-Radiomachern die Gerätehersteller zur finanziellen Unterstützung der DABplus-Initiative zu gewinnen. Ein Erfolg von DAB im deutschen Markt gilt als Schlüssel für ein einheitliches Digitalradio in Europa. „Plötzlich ist Deutschland in einer Vorreiterrolle“, glaubt Ralf Reynolds, Regionalmanager Mitteleuropa vom britischen DAB-Radiohersteller Pure. „Das setzt Nachzügler in Europa unter Zugzwang“, hofft Reynolds und sieht in der Unterstützung demnach eine strategische Maßnahme.
„Bis 2016 wollen wir 16 Millionen DAB-Radios in Deutschland verkauft haben“, verkündet Helmut G. Bauer, Geschäftsführer der Digitalradio Deutschland GmbH. Zweifel, ob das angesichts der Verfügbarkeit des bundesweiten DABplus-Radioangebots realistisch sein kann, sind angebracht. Denn das als bundesweit gepriesene Netz erreicht zurzeit nach Angaben der zuständigen Media Broadcast erst 38 Millionen Hörer. Die Liste der bestehenden Empfangslücken ist groß: Weite Teile von Mecklenburg-Vorpommern, Nordhessen, der Westpfalz, West-Niedersachsen, dem Schwarzwald – nirgends gibt es Empfang.
Zähneknirschen erzeugt das auch beim Deutschlandradio, denn dort hatte man alles auf die bundesweite DAB-Verbreitung gesetzt. Zwar ist nun das jüngst mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnete DRadio Wissen dank DAB der Internet-Isolation entkommen und vielerorts digital per Antenne zu empfangen. Der jetzige Ausbaustand des Bundesnetzes sorgt für Deutschlandradiohörer aber nicht überall für besseren Empfang: „Die punktuelle Verschlechterung des DAB-Empfangs schmerzt“, räumt Helmut Buchholz vom Deutschlandradio ein. „Für uns ist der Ausbau des DABplus-Netzes aber ohne Alternative.“
Über einen weiteren kostenintensiven Ausbau des Sendernetzes auf rund 100 Senderstandorte wollen die Radiomacher jedoch erst 2014 entscheiden. Von dieser Strategie der Langsamkeit profitiert eher das Internetradio: Je unproblematischer seine mobile Nutzung wird, desto aussichtsloser der Plan, DAB doch noch zu neuer Blüte zu führen.