„Tagesschau“-App: ARD droht Niederlage im Rechtsstreit mit Verlegern

Das Oberlandesgericht Köln neigt der Auffassung zu, dass die „Tagesschau“-App presseähnlich und damit rechtswidrig ist. Nach einer ersten Einschätzung des Gerichts stünden bei der Gestaltung der „Tagesschau“-App vom 15. Juni 2011 die Texte im Vordergrund, sagte der Vorsitzende Richter Hubertus Nolte am Freitag bei der Verhandlung. Geklagt hatten mehrere Tageszeitungsverlage, die der ARD und dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) vorwerfen, mit dem Angebot für mobile Geräte trete der öffentlich-rechtliche Senderverbund in einen unlauteren Wettbewerb mit den kostenpflichtigen Angeboten der Verlage. Das Urteil soll am 23. September verkündet werden.

Strittig war bei der Verhandlung in Köln, ob die von den klagenden Verlagen vorgelegte Dokumentation der App vom 15. Juni 2011 ausreiche, um sich ein umfassendes Bild von der Gestaltung des Angebots zu machen. Der Anwalt des NDR, Gernot Lehr, führte aus, das Telemedienangebot könne nicht auf der Grundlage dieser Dokumentation beurteilt werden, weil zahlreiche audiovisuelle Elemente, die im Telemedienangebot an diesem Tag vorhanden waren, darin nicht erkennbar seien. Die vorgelegten Screenshots seien nicht vollständig. Lehr forderte eine „gründliche und sensible Gesamtbewertung“ des Angebots. Um ein Internetangebot in seiner ganzen Tiefe und Systematik zu beurteilen, reiche es nicht aus, „die erste Seite“ zu betrachten. Auch der Justiziar des NDR, Michael Kühn, führte aus, dass die von den Verlagen vorgelegten Screenshots in der vorgelegten Textform gerade die interaktiven Elemente des Angebots nicht wiedergeben könnten.

Nolte wies darauf hin, dass das Gericht über ein Angebot aus der Vergangenheit entscheiden werde. Texte seien in einem Angebot eines öffentlich-rechtlichen Senders „nicht völlig tabu“, er habe jedoch den Eindruck, dass sich der Nutzer des Angebots allein über die Texte ausreichend informieren könne. Insgesamt wäre seiner Einschätzung nach viel gewonnen, wenn bei der App der Sendungsbezug klarer herausgestellt würde.

Der Streit zwischen den Verlegern und dem NDR, der für „Tagesschau.de“ und die „Tagesschau“-App zuständig ist, zieht sich nun schon fünf Jahre hin. Mehrere Verlage, darunter Axel Springer, die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und die Funke Mediengruppe hatten 2011 vor dem Landgericht Köln gegen die „Tagesschau“-App geklagt. Das Landgericht hatte der Klage der Verleger stattgegeben, das Oberlandesgericht die Klage in zweiter Instanz im Dezember 2013 abgewiesen. Das Gericht hatte damals argumentiert, die App sei ein Teil des Telemedienangebots „Tagesschau.de“. Da „Tagesschau.de“ nach einem Drei-Stufen-Test durch den NDR-Rundfunkrat von der niedersächsischen Staatskanzlei freigegeben wurde, sei auch die App zulässig. Die Verleger waren gegen dieses Urteil in Revision vor den Bundesgerichtshof (BGH) gegangen.

Der BGH verwies die Klage am 30. April 2015 zurück an das Oberlandesgericht Köln und forderte die Richter auf, zu prüfen, ob die „Tagesschau“-App vom 15. Juni 2011 „presseähnlich“ war. Der Rundfunkstaatsvertrag untersagt den öffentlich-rechtlichen Sendern nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote im Internet. Dies habe den „Zweck, die Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten auf dem Markt der Telemedienangebote zum Schutz von Presseverlagen zu begrenzen“, urteilten die Karlsruher Richter.

Die „Tagesschau“-App für Smartphones und Tablet-Computer wurde im Dezember 2010 gestartet. Seither wurde die App bis Anfang August nach Angaben des NDR 10,6 Millionen Mal heruntergeladen. Die Klage der Verleger richtet sich gegen den NDR. Bei ihm ist die Redaktion ARD-Aktuell angesiedelt, die die „Tagesschau“ und die „Tagesschau“-App redaktionell verantwortet.

 

 

Weitere aktuelle Beiträge

Digitalabgabe könnte Schieflage ausgleichen

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die vom Staatsminister Wolfram Weimer geäußerten Pläne für eine Digitalabgabe, die Big-Tech-Unternehmen mit digitalen Plattformdiensten in Deutschland zu entrichten hätten. Wie unter anderem der Spiegel berichtet, überlegt die Bundesregierung, eine Digitalabgabe einzuführen. Diese könnte Unternehmen wie Google und Meta dazu verpflichten, einen festen Prozentsatz ihrer Werbeeinnahmen abzuführen.
mehr »

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Safer reporting: Schutzkodex auf der re:publica

Das gesellschaftliche Klima ist eines der ganz großen Themen auf der diesjährigen Digitalmesse re:publica in Berlin. Auch Journalist*innen sind zunehmend Hass und Bedrohungen ausgesetzt – bei der Recherche, auf Demos oder in sozialen Medien. Das gefährdet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Pressefreiheit insgesamt.  Dagegen hilft der Schutzkodex.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »