Hauptsache Bildchen, oder was?

Der Machetenmord in Reutlingen bebildert mit einem traurigen Smiley und einem Messer, die Meldungen zum Anschlag in Nizza versehen mit Bomben- und Polizeiwagen-Emojis. WhatsApp und dessen Bildchen-Sprache erscheinen vielen Medien offenbar als letzte Rettung, um die jungen Leser_innen mit ihren Artikeln überhaupt noch zu erreichen. Aber hilft das wirklich der Glaubwürdigkeit? Oder ist weniger in diesem Fall nicht eben doch mehr?

Sowas hatte ich schon mal: Als ich drei Jahre alt war, schrieb mir meine Mutter einen Brief, in den sie viele Bilder malte, um mir zu erklären, warum ich erst mal weiter bei den Großeltern bleiben sollte und mein Vater mich jetzt nur besuchen, aber nicht mit nach Hause nehmen würde. Eine winkende Mutti, ein hellblaues Auto, ein Kasten mit neuen Buntstiften, der schon auf mich wartete.

Und jetzt: Einen Auffahrunfall meldet die Neue Osnabrücker Zeitung den Lesern, die bei ihnen den Nachrichtendienst auf Whatsapp, Telegram oder Insta gebucht haben. Bei Whatsapp geht es bunt zu: Zwei Autos aufeinander geknallt, wie sie Kinder malen. Lustig, irgendwie. Beim Machetenmord in Reutlingen dagegen wirken der traurige Smiley und das dazugestellte Messer schon eher irritierend, ähnlich wie die Bombensymbole zum Bericht über den Anschlag in Nizza bei der Neuen Westfälischen. Ohne Emojis geht es auf diesen Kanälen wohl nicht. Und das betrifft nicht nur diese beiden Zeitungen, wie „Übermedien“ berichtete. Auch Apple hantiert gerne mit Emojis, rüstet jetzt aber ab: Aus dem Colt wird eine Wasserpistole!

Wenn Zeitungen ihre Hinweise auf Artikel mit solchen „lustigen“ Stückchen bebildern, kommt schon die Frage auf, für wie alt sie ihre Leser eigentlich halten. Dass man mit diesen Kanälen Jüngere ansprechen will, ist klar. Dass Zeitungen dringend den Zugang zu einem jüngeren Publikum brauchen, auch.

Aber wenn ich eines beobachtet habe, dann ist es dies: Wenn man junge Leute richtig vergraulen will, dann muss man ihnen nur zeigen, dass man sie nicht ernst nimmt. Dass man ihre Symbole, ihre „Jugendsprache“ versucht nachzuahmen. Das geht eigentlich immer daneben. Deshalb sollten Zeitungen auch bei den Kanälen, in denen Emojis üblich sind, überlegen, ob weniger nicht mehr ist – und der Glaubwürdigkeit wirklich hilft.

Weitere aktuelle Beiträge

Lichterfestival schränkt Pressefreiheit ein

Die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union (dju) in ver.di bewertet die vom Veranstalter des Berliner Festival of Lights versuchte Unterbindung von Fotografien von Pressefotograf*innen als unrechtmäßig. Medienvertreter*innen haben nach dem Wunsch des Veranstalters keine eigenen Bilder der Kunstprojektionen an Berliner Gebäuden anzufertigen und an Verlage und Bildagenturen zur Verbreitung zu verkaufen.
mehr »

Die Krux mit der KI-Kennzeichnung  

Soziale Netzwerke wie Instagram oder TikTok werden mit Inhalten geflutet, die künstlich erschaffen oder manipuliert wurden. Für Nutzer*innen ist es mitunter kaum möglich zu unterscheiden, was „echt“ ist und was nicht. Waren Fälschungen in Zeiten, als generative KI nicht allgemein zugänglich war, zumeist aufwändig, lassen sich heute sekundenschnell realistisch wirkende Bilder und Videos erzeugen.
mehr »

CDU-Frau mit bewegter Vergangenheit

Die CDU-Politikerin Susanne Wetterich aus Baden-Württemberg scheiterte mit dem Versuch, der Kontext-Redaktion die Berichterstattung über ihre kommunistische Vergangenheit und ihren Berufsverbotsfall zu verbieten. Eine Einstweilige Verfügung zog die Politikerin zurück.
mehr »

Die Macht der Supermonopole

Im hohen Tempo verändert sich die Medienlandschaft. Dafür sorgen inzwischen Algorithmen und KI. Technologische Neuerungen wirken noch stärker auf die Produktion und Verbreitung von Medienangeboten und journalistischen Inhalten. Big-Tech-Plattformen werden immer mehr zu Gatekeepern. Die derzeitige Medienregulierung stoße zunehmend an ihre Grenzen, sagt Medienrechtler Wolfgang Schulz. Wie kann die Politik vor allem Meinungsvielfalt, Public-Value-Inhalte und Zugangsoffenheit auch künftig sichern?
mehr »