Magazin „Der Kontext“: Ein Tauchgang in die Tiefe

Das Gründerteam des Hintergrundmagazins "Der Kontext": Erich Seifert, Julia Köberlein und Bernhard Scholz (v.l.n.r.) Foto: Kontextlab

Täglich werden wir mit Nachrichten bombardiert. Viele Meldungen sind kurz, effekthaschend, oberflächlich und einseitig. Wenn wir aktuelles Zeitgeschehen verstehen und vermitteln wollen, brauchen wir neben dem schnellen Überblick und kurzen Fakten unterschiedliche Perspektiven und tieferes Wissen. Doch wer kann die bei komplexen Themen notwendigen, langwierigen und schwierigen Recherchen noch anstellen? Hilfe bietet das neue interaktive und interdisziplinäre Hintergrundmagazin „Der Kontext“, in dem monatlich ein Thema aus Politik, Kultur, Wirtschaft oder Geschichte gründlich beleuchtet wird.

Am Anfang stand bei der Initiatorin und Herausgeberin von „Der Kontext“, Julia Köberlein die Kombination aus eigenem Bedürfnis und Erkennen der Marktlücke: „Ich hatte das Gefühl, nicht mehr richtig Bescheid zu wissen und Schwierigkeiten, mir eine Meinung zu bilden.“ Die 35jährige vermisste umfassende Informationen bei den großen Themen unserer Zeit wie zum Beispiel Klimawandel, Griechenlandkrise oder Kriegsgeschehen. Die Mediendesignerin hatte sich schon in ihrer Masterarbeit mit der Vermittlung komplexer Inhalte beschäftigt und für das dabei entstandene Printprodukt 2011 den „European Newspaper Award“ erhalten. Mutig ging sie weiter auf die Suche nach der perfekten Verbindung von Inhalt und Form – und fand Verbündete in Bernhard Scholz und Erich Seifert. Gemeinsam nahmen sie die Transformation der Ideen ins Digitale in Angriff. Das kleine Startup-Unternehmen kam in Fahrt; ein Exist-Gründerstipendium und ein Founder Fellowship des Medialab Bayern legten den Grundstein für Konzept und Programmierung.

Ende 2015 starteten die Münchner ein Crowdfunding – da hatten sie schon Prototypen entwickelt, Lesertests gemacht, eine Beta-Version von „Der Kontext“ entwickelt. Das zahlte sich jetzt aus: 12.000 Euro konnten auf diesem Wege in die Firmenkasse eingezahlt werden. Der Plan war klar: „2016 gehen wir online. Das Konzept steht, wir haben die technischen Möglichkeiten und der Bedarf im Markt ist da“, so Köberlein. Zusätzlichen Rückenwind bekam das Team im April, als es den „Vision_Award_16“ für besonders kreative Innovationen gewann. Kurz darauf begann die Befragung der Leser_innen, die über das jeweils nächste Thema abstimmen können. Und Ende Mai 2016 war es soweit: Die erste Ausgabe von „Der Kontext“ ging online – mit einer Fülle von Informationen, Perspektiven und Positionen zum Thema TTIP. Die Reaktionen auf die Premiere waren so gut, dass wenig später – ganz untypisch – eine Printversion des virtuellen Magazins produziert wurde. Inzwischen ist Ausgabe Nr.2 zum Thema Krieg in Syrien online.

Auf Entdeckungsreise

„Es soll Spaß machen, sich ein Thema zu erschließen. Der Leser geht auf eine Entdeckungsreise und bekommt die Inhalte auf spielerische, intuitive Weise vermittelt“, beschreibt Julia Köberlein die Funktionsweise von „Der Kontext“. So kann man ins Thema quasi eintauchen, wobei die Tauchtiefe beliebig gesteuert werden kann: Horizontal funktioniert das Lesen über das Anklicken der verschiedenen Aspekte bzw. Unterthemen. Interessiert man sich für einen Bereich besonders, kann man sich vertikal immer weiter in die Tiefe des Themenbereichs bewegen. In den einzelnen, verständlich geschriebenen Artikeln, kurzen Filmen oder Audiobeiträgen werden Wissenschaftler und Experten ebenso hinzu gezogen wie Betroffene, (an Konflikten) Beteiligte oder Korrespondenten. So entsteht ein facettenreiches Bild eines komplexen Sachverhalts, der ohne Hilfe kaum noch durchdrungen werden kann. Bernhard Scholz, der bei „Der Kontext“ die Redaktion verantwortet, betont den Anspruch der Macher_innen und die Wertschätzung für ihr Publikum: „Ein Thema aus unterschiedlichen Ressorts und Perspektiven zu beleuchten, wirkt schwarzweiß-Malerei entgegen. Unsere Leser wissen, dass es immer Graustufen gibt und sie wollen sich vielfältig informieren, um sich selbst eine Meinung zu bilden.“ Technik-Chef Erich Seifert kümmert sich vor allem darum, die vernetzten Strukturen der Themenlandschaften so darzustellen, dass sie von den Leser_innen einfach genutzt werden können. „Wenn es aber um die Findung der nächsten Themen geht, sind alle – völlig unabhängig von unserer Aufgabenaufteilung – involviert. Denn wir sind alle drei Newsjunkies und jeder hat Themen auf dem Schirm, die mit dem Magazin vermittelt werden können“, sagt Köberlein.

Inhalte gibt es nicht umsonst

Für derart vielfältige Recherchen braucht es ein eingespieltes Kernteam, das eng mit wechselnden Expertinnen, Reportern, Rechercheuren etc. zusammen arbeitet. „Deshalb fließt alles Geld, das reinkommt, 1:1 in die Redaktionsarbeit. So können wir die nächsten Themen sichern“, so Köberlein. Die aufwändig produzierten Inhalte gibt es selbstverständlich nicht umsonst: Eine Mitgliedschaft kostet 80 Euro im Jahr, Studenten bezahlen 60 Euro. Für ein Einzelthema inklusive der Printversion werden pro Thema 10 Euro berechnet. Dennoch kann man sich auch ohne Abo informieren, wie „Der Kontext“ funktioniert, zum Beispiel auf der Facebook-Seite des Magazins. Es könnte gut sein, dass das Magazin nicht das einzige Feld des Münchner Teams um Julia Köberlein bleibt, denn die junge Firma hat bereits etliche Anfragen von Medienhäusern und Unternehmen, die komplexe Themen aufbereiten wollen.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »

Die Medienwende nach dem Mauerfall

35 Jahre nach dem Mauerfall bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage und Anzeigenvolumen. Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist nach anfänglichem Hickhack erfolgreich in ARD und ZDF integriert. Gescheitert ist indes früh der Traum der Ex-Bürgerrechtler von einem „Dritten“ Medienweg.
mehr »