NSU-Berichterstattung unter Beschuss der Behörden
Im Zuge der Anklageerhebung gegen die mutmaßliche NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) Terroristin Beate Zschäpe haben die Strafverfolgungsbehörden insgesamt 6.800 Beweistücke zusammen getragen, ein Großteil davon stammt aus dem ausgebrannten Haus in Zwickau. Unter den Funden befindet sich auch eine Karte der Braunschweiger Innenstadt, wie aus einem Bericht des BKA-Präsidenten Jörg Ziercke hervorgeht. Mit blauer Tinte sind auf dem Stadtplan neun Punkte markiert, die auf Moscheen, türkische oder iranische Restaurants und den Sitz des Vereins für deutschsprachige Muslime verweisen.
Die Journalistin Vera König stellt Parallelen zu einem ähnlichen Kartenausschnitt von Nürnberg aus den Trümmern in Zwickau fest, auf dem der Tatort von einem der NSU-Morde vermerkt war. Bei ihren anschließenden Recherchen für die Hannoveraner Tageszeitung Neue Presse stößt sie auf den Betreiber eines Campingplatzes im niedersächsischen Gifhorn, knapp 30 Minuten von Braunschweig entfernt. Ihr gegenüber sagt er aus, zur Geburtstagsfeier einer seiner Gäste sei 2005 auch das Trio Zschäpe, Böhnhard, Mundlos angereist. Die drei hätten spätabends Nazilieder gegrölt. Dies belegt auch die zweieinhalbseitige Aussage einer Zeugin der Vorkommnisse. Kurz darauf greift Uwe Stadtlich in der Allerzeitung die Ereignisse auf, nachdem der Betreiber dieselbe Aussage auch ihm gegenüber gemacht hatte. Als der Artikel erscheint, holt die Polizei den Mann zur Zeugenvernehmung ab, kurz darauf dementiert das Landeskriminalamt die Ausführungen in den Artikeln, die zuständige Polizeiinspektion schreibt, in der Vernehmung habe der Betreiber solche Aussagen gegenüber der Presse bestritten.
Doch das ist nicht die einzige Reaktion der Exekutive, wie König am eigenen Leib erfahren muss. Nur wenige Tage später meldet sich ein Sprecher des LKA bei ihr, um mitzuteilen, bei dem Kartenausschnitt handele es sich um eine alte Geschichte. Diese Aussage dürfte den türkischen Generalkonsul für Niedersachsen und Bremen, Tunca Özcuhadar, verwundern. Trotz der Zusicherung des LKA, alle Personen und Institutionen, die sich auf den in Zwickau gefundenen Listen befanden, seien darüber informiert worden, erklärt er im Gespräch mit König, „dass es diesen Kartenausschnitt gibt, habe ich nicht gewusst“. Auch die Polizeidirektion Hannover in Person ihres Leiters Uwe Binias wird in der Hannoveraner Redaktion vorstellig, um sich über die NSU-Berichterstattung zu unterhalten.
Ähnlich geht es Allerzeitungs-Redakteur Uwe Stadtlich, der für ein Gespräch über die NSU-Berichterstattung ebenfalls von der Polizei „eingeladen“ wird. Stadtlich betont, es habe sich dabei lediglich um einen Austausch der verschiedenen Positionen gehandelt. Doch nach den bekannt gewordenen „Pannen“ im Fall des NSU bleibt ein schaler Nachgeschmack. Bei dem Versuch, den Eindruck zu verhindern, sie hätten ihre Ermittlungen zu der Mordserie nur lückenhaft geführt, schießen die Behörden gegenüber der Presse offenbar bisweilen über das Ziel hinaus.