Kolumbien: Schutz mit schalem Beigeschmack

1. Mai Demonstration in Bogotá: "Frieden mit sozialer Gerechtigkeit" lautet eine der Forderungen Foto: Knut Henkel

Genau 142 Journalisten werden in Kolumbien von der Unidad Nacional de Protección (UNP) betreut. Die „Nationale Einheit zum Schutz“ hilft, wenn es für Journalisten_innen brenzlig wird – mit schusssicheren Westen, Peilsendern, Bodyguards und gepanzerten Wagen. Doch fühlen sich längst nicht alle wohl mit den Personenschützern im Staatsdienst als Schatten bei den Recherchen. Und mit der Aufklärung von Straftaten gegen Journalist_innen geht es nach wie vor kaum voran.

Der Anruf kam gegen Mittag, an einem Samstag im März 2015. „Wir wissen, dass Deine Kinder zur deutschen Schule gehen, wo und was sie gerade lernen. Hör auf da rumzuschnüffeln, sonst bringen wir sie um, erklärte eine derbe männliche Stimme“, erinnert sich Ana Cristina Restrepo. Vulgär, viele Schimpfworte benutzend, bedrohte sie der Mann: Der Anruf war ein Schock für die Journalistin, die gerade in Medellíns alten Prachtviertel Prado recherchiert hatte. Noch schockierender war die Antwort auf die Frage, in welchem Auftrag der Mann angerufen habe: Oficina de Envigado. „Büro von Envigado“ heißt eines der ältesten und brutalsten kriminellen Netzwerke Medellíns. Es wurde noch zu Zeiten von Drogenbaron Pablo Escobar in erster Linie zum Geldeintreiben gegründet. Später mutierte die Oficina zu einer paramilitärischen Organisation, die vor allem in Medellín, Kolumbiens zweitgrößter Stadt, und dem benachbarten Envigado operierte.

Gute Gründe, weshalb die damals freiberuflich arbeitende Ana Cristina Restropo und ihr Mann den Anruf ernst nahmen, Anzeige erstatteten, und über die sozialen Medien an die Öffentlichkeit gingen. Das sorgte für Aufsehen, so dass der Bürgermeister von Medellín anrief und sich die „Unidad Nacional de Protección“ (UNP), die nationale Einheit zum Personenschutz, meldete. „Wenig später kamen die Experten der Unidad ins Haus, um eine Risikoanalyse zu machen“, erinnert sich die dreifache Mutter. Die fiel alarmierend aus. Laut UNP hätte Ana Cristina Restrepo rund um die Uhr Personenschutz bekommen.

Bodygards im Zwielicht

Ana Cristina Restrepo arbeitet für "Bluradio" in Kolumbien Foto: Knut Henkel
Ana Cristina Restrepo arbeitet für „Bluradio“ in Kolumbien
Foto: Knut Henkel

Doch das sah die Journalistin, die damals für ein kleines Magazin über den Verfall des einst mondänen Stadtteils Prado schrieb, und heute festangestellt bei „Bluradio“ ist, vollkommen anders. „Als Freiberuflerin hatte ich keine klar strukturierten Tagesabläufe, keine festen Wege, dadurch war mein persönliches Risiko nicht so hoch“, argumentiert die Journalistin, die Kolumnen für „El Colombiano“, Medellíns wichtigste Tageszeitung, und den in Bogotá ansässigen „El Espectador“ schreibt. Zudem hatte sie ein Freund gewarnt: „Iván Marulanda hatte mir erklärt, dass in der Vergangenheit Personenschützer immer wieder in Attentate wie das auf den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán involviert waren“. Marulanda ist ein liberaler Politiker, der über Jahre selbst verfolgt wurde. Das hat der Frau von Ende dreißig genauso zu denken gegeben wie die Tatsache, dass Bodyguards im Auftrag des ehemaligen Geheimdienstes DAS auch Journalisten und oppositionelle Politiker ausspioniert haben. Der Skandal machte 2009 Schlagzeilen und obwohl der DAS 2010 aufgelöst und die unabhängige „Unidad Nacional de Protección“ gegründet wurde, nahm Ana Cristina Restrepo nur die schusssichere Weste und das mit einem Sender ausgestattete Mobiltelefon an. „Das Mobiltelefon liegt bis heute ausgeschaltet unter Bett, denn ich habe mich lieber den Beamten der nächsten Polizeiwache anvertraut, die regelmäßig vorbeikamen“ erzählt sie in ihrem schmucken Büro bei „Bluradio“ .

Fehlende Ermittlungserfolge bei Straftaten gegen Journalisten

An der UNP kritisiert sie die mangelnde Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. „Das ist sicherlich ein Grund für die fehlenden Ermittlungserfolge, denn Straftaten gegen Journalisten werden in Kolumbien in aller Regel nicht geahndet“. Das wird auch von der Stiftung für Pressefreiheit (FLIP) moniert, die Anfang November auf einem Kongress drei besonders krasse Fälle von Straflosigkeit vorstellte. So wurde weder die Entführung und Vergewaltigung einer Print-Journalistin im Jahre 1999 aufgeklärt, noch die Morde an zwei Radio-Journalisten, die in ihrem Sender kritisch berichtet und das Mikrofon für soziale Organisationen frei gegeben hatten. „In diesen drei exemplarischen Fällen werden wir die Ermittlungsbehörden kontinuierlich auffordern aktiv zu werden“, so Flip-Direktor Pedro Vaca. Für ihn ist die 2011 gegründete UNP zwar ein Fortschritt im Vergleich zu den polizeilich-geheimdienstlichen Strukturen, aber einer mit Defiziten. Positiv sei, dass sie unabhängig von den staatlichen Ordnungskräften agiere, negativ, dass sie weder präventiv aktiv sei noch den Willen zu Ermitteln zeige.

Diego Fernando Mora. Direktor der Unidad nacional de Protección (UNP), die für den Schutz von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Gewerkschaftern und Politikern verantwortlich ist. Foto: Knut Henkel
Diego Fernando Mora. Direktor der Unidad nacional de Protección (UNP), die für den Schutz von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Gewerkschaftern und Politikern verantwortlich ist.
Foto: Knut Henkel

Das bestätigt Diego Fernando Mora, Direktor der UNP, indirekt beim Interview in seinem Büro an der Avenida El Dorado in Bogotá. Mora leitet seit Anfang 2015 die durch Korruption in Verruf gekommene Einheit, hat sie eigener Aussage zufolge umgebaut und effektiver gemacht. „Wir arbeiten mit der Staatsanwaltschaft zusammen, aber mit den Ermittlungen haben wir wenig zu tun“, erklärt er auf die Frage, warum Angriffe, Morddrohungen und die Verfolgung von Journalisten kaum geahndet werden. „Es ist oft schwierig den Drohungen auf den Grund zu gehen, denn die Nachrichten oder die E-Mail werden häufig von einem öffentlichen Telefon oder aus einem Internet-Café abgesandt“, wirbt er um Verständnis für die Ermittlungsbeamten. Genau das fehlt den Kolleg_innen von der FLIP, denn kaum einer der 152 seit 1977 registrierten Morde an Journalist_innen wurde aufgeklärt. Das kritisiert die Stiftung genauso wie die Tatsache, dass die Zahl der Drohungen und Einschüchterungsversuche zugenommen hat. Dem steht immerhin die Abnahme der Morde gegenüber. 2015 waren es zwei, 2016 wurde bisher keiner registriert. Ein kleiner Erfolg, der sicherlich auch mit der Arbeit der UNP-Personenschützer zu tun hat, räumt Ana Cristina Restrepo ein. Gleichwohl ist das für sie keine Option. „Journalismus mit Bodyguards funktioniert einfach nicht“, ist sie überzeugt.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

N-Ost: Alles ist europäisch

Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
mehr »

Das Internet als Nachrichtenquelle

„Das Internet stellt erstmals die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar“. So der aktuelle Reuters Institute Digital News Report 2024.  Er liefert interessante Befunde für die journalistische Arbeit – etwa zu Nachrichtenvermeidung, Medienvertrauen und Erwartungen an Nachrichtengestaltung in Zeiten zunehmender Internetnutzung.
mehr »

Fußball-EM: Zu Gast bei Freunden?

Vier Wochen vor EM-Start überraschte der Deutsche Fussballbund (DFB) mit einer originellen Kaderpräsentation. Anstelle einer drögen Pressekonferenz setzte man auf eine teils witzige Salami-Taktik: Mal durfte ein TV-Sender einen Namen verkünden, dann wieder druckte eine Bäckerei den Namen Chris Führich auf ihre Tüten. Das Bespielen sozialer Netzwerke wie X oder Instagram dagegen funktionierte nicht optimal – da hat der Verband noch Nachholbedarf.
mehr »