Taiwan: Regierung hält Reporter auf Distanz, wimmelt Anfragen ab
Bedroht von China und als Staat ignoriert vom Rest der Welt, ist Taiwan dennoch eine der wenigen Vorzeige-Demokratien in Asien. Doch nachdem das Land lange als Musterbeispiel für freie Berichterstattung galt, kritisieren Journalisten vor Ort und internationale Beobachter nun Rückschritte in Sachen Pressefreiheit.
Wie sich Berichterstattung verhindern lässt, hat Jenny Hsu am eigenen Leib erfahren. Als im Dezember ein chinesischer Unterhändler zu Verhandlungen nach Taiwan kam, wollte die Reporterin der Tageszeitung Taipei Times seine symbolträchtige Fahrt über einen berühmten See begleiten. Wie etwa 100 Journalisten wartete sie in offiziell bereitgestellten Booten mitten auf dem Wasser – und erfuhr erst per Handy von Kollegen, dass der Gesandte seine Pläne geändert hatte und längst woanders unterwegs war. Mehrere Stunden vergingen, bis die Reporter wieder an Land waren. Schon zwei Tage zuvor hatten Regierungsvertreter ihnen auf einer Irrfahrt im Bus das Ziel der Reise verschwiegen – angeblich aus Sicherheitsbedenken. „Wir sollten auf Distanz gehalten werden, damit wir nicht zu genau über die Stationen des chinesischen Gesandten berichten“, ist sich Hsu sicher. Generell sei die Pressearbeit der Regierung unkooperativer geworden, so die Reporterin. Kritische Anfragen würden oft abgewimmelt oder ignoriert.
Solche Aussagen lassen bei internationalen Beobachtern die Alarmglocken schrillen. In der neuesten Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ fiel Taiwan um 23 Plätze zurück auf Rang 59 – sogar noch hinter die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong. Das schmerzt Taiwaner besonders, verweisen sie doch gern darauf, dass sie aus eigener Kraft eine Diktatur überwunden und eine Demokratie errichtet haben, von der China weit entfernt ist. Auch in der Pressefreiheits-Rangliste der amerikanischen Organisation „Freedom House“ verlor Taiwan nach jahrelangem Fortschritt zuletzt 11 Plätze.
Beschwerden über unzulässige Einflussnahme auf die Medien häufen sich seit dem Regierungswechsel Mitte 2008, als die 23 Millionen Taiwaner die Kuomintang (KMT) wieder an die Macht wählten – die Partei des früheren Diktators Chiang Kai-shek. Die 1949 vom Festland nach Taiwan geflohenen Nationalchinesen der KMT hatten die Insel vier Jahrzehnte per Kriegsrecht beherrscht und zehntausende Regimegegner hinrichten lassen. Erst die Demokratisierung der Neunziger sorgte dafür, dass die Kalter-Krieg-Bezeichnung Taiwans als „Free China“ eine Berechtigung erhielt. 1996 wählten die Taiwaner erstmals ihren Präsidenten selbst. Heute ist die Gesellschaft in zwei tief verfeindete Lager gespalten. Obwohl die KMT sich nach acht Jahren in der Opposition mittlerweile zur Demokratie bekennt, befürchten Kritiker Verhaltensmuster aus der Zeit der Alleinherrschaft. „Sie haben einmal die Macht verloren und wollen jetzt sicher stellen, dass das nicht wieder passiert“, sagt Chuang Feng-chia, Vorsitzender von Taiwans Journalistenverband. „Dafür müssen sie die Medien unter ihre Kontrolle bringen.“
„Reporter ohne Grenzen“, „Freedom House“ und die Internationale Journalisten-Föderation (IFJ) berichten von Versuchen der Regierung, staatliche Medien inhaltlich zu beeinflussen. So trat der von der Vorgänger-Regierung eingesetzte Intendant des Auslands-Radiosenders RTI schon wenige Monate nach dem Machtwechsel zurück. Man habe ihm vorschreiben wollen, nicht zu kritisch über China zu berichten, begründete er seinen Schritt. Bei der staatlichen Nachrichtenagentur CNA wurde der frühere KMT-Wahlkampf-Sprecher stellvertretender Präsident, obwohl er keine journalistische Erfahrung hat. China- oder KMT-kritische Agenturmeldungen wurden Berichten zufolge intern zensiert. Besonders bizarr ist der Streit beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender PTS. Per Gesetzesänderung sorgte die KMT-Mehrheit für eine Vergrößerung des Vorstands – angeblich, um der Öffentlichkeit mehr Mitsprache zu ermöglichen. Zugleich entstand so eine Mehrheit, um den politisch unliebsamen PTS-Intendanten Cheng vor Ende seiner Amtszeit abzuwählen. Der konnte jedoch aufgrund eines Formfehlers das Zusammentreten des neuen Vorstands per einstweiliger Verfügung verhindern. Im Gegenzug verklagt nun die Regierung Cheng mit dem Argument, er habe für den Rechtsstreit Geld des Senders zweckentfremdet. Wer die Oberhand behält, war bei Redaktionsschluss noch offen.
Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und besteht darauf, sich nie in die Belange der staatlichen Medien eingemischt zu haben. Schließlich seien Taiwans Zeitungen jeden Tag voll mit Kritik an der Regierung, sagte Premierminister Wu Den-yih auf Anfrage von M. „Pressefreiheit ist die schützenswerteste Form der Freiheit. Wir werden weiter daran arbeiten, sie zu verbessern.“ Unterdessen hat „Reporter ohne Grenzen“ sich mit Taiwans offiziellem Vertreter in Paris getroffen. Das Gespräch sei konstruktiv gewesen, sagt der für Asien zuständige Mitarbeiter Vincent Brossel. Man sei zuversichtlich für das kommende Jahr, obwohl bereits weitere Berichte über politische Einmischung vorlägen.
Trotz aller Vielfalt bieten Taiwans private Medien erst recht keine Garantie auf unparteiische Berichte. Die acht (!) TV-Nachrichtenkanäle stehen, wie auch die meisten Zeitungen, dem einen oder anderen politischen Lager nahe. Durch die Wirtschaftskrise sei zudem die Regierung zum wichtigsten Werbekunden der Medien geworden, sagt der frühere CNA-Chef und Regierungssprecher Su Tzen-ping. Viele Medien ließen sich mittlerweile sogar von der Politik für maßgeschneiderte Beiträge bezahlen, die wie redaktionelle Berichte aufgemacht werden. Verbreitet sei unter Reportern auch die Selbstzensur, sagt Jenny Hsu von der KMT-kritischen Taipei Times. Oft höre sie von Kollegen, die für eher regierungsnahe Medien arbeiten: „Das brauche ich gar nicht erst zu schreiben, das streicht mein Redakteur sowieso wieder raus.“ Ob es tatsächlich Beschwerde-Anrufe der Regierung in Redaktionen gibt, wisse sie nicht. „Die Journalisten wissen aber, was von ihnen erwartet wird.“
Klaus Bardenhagen (taiwanreporter.de),
freier Korrespondent in Taipeh / Taiwan.
www.taiwanreporter.de/medien
Taiwan – Ein Land mit ganz
besonderer Geschichte
Taiwan ist eine Insel vor der Südostküste Chinas, von der Größe Baden-Württembergs und mit 23 Millionen Einwohnern. Einst ein Vorposten des chinesischen Kaiserreichs, war Taiwan lange japanische Kolonie und wurde im gesamten 20. Jahrhundert nur vier Jahre lang vom chinesischen Festland aus regiert – von der „Republik China“ unter Chiang Kai-shek. Der zog sich nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen Maos Kommunisten 1949 mit seiner Armee nach Taiwan zurück und errichtete dort eine vierzig Jahre währende Einparteien-Diktatur. Seit den neunziger Jahren hat Taiwan sich zur Demokratie gewandelt.
Taiwans völkerrechtlicher Status ist kompliziert. Eigentlich ist es ein eigenständiges Land, doch die Volksrepublik China betrachtet die Insel als Teil ihres Territoriums und droht mit Krieg, sollte Taiwan sich offiziell für unabhängig erklären. Fast alle Staaten – auch Deutschland – haben keine diplomatischen Beziehungen mit Taiwan, machen aber fleißig Geschäfte.
Vom Billig-Produzenten hat Taiwan sich zur High-Tech-Schmiede der Computerindustrie gewandelt. Bei Notebooks und Flachbildschirmen sind Taiwans Firmen Weltmarktführer. Zugleich sind chinesische Traditionen lebendig geblieben, die in der Volksrepublik zerstört wurden. Der Lebensstandard in Taiwan entspricht dem in Europa oder Japan.