In Kuba gibt es ein ständiges Auf und Ab

Die Granma, das die offizielle Zeitung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, gilt als Zeitung der Älteren.
Foto: Rafael Muñoz Cordero

Seit Ende Juli kursiert in den sozialen Netzwerken Kubas ein Video mit einer Rede vom designierten neuen Präsidenten Miguel Díaz-Canel. Dort schloss er die Verlängerung der Akkreditierung für ONCuba, ein in Miami ansässiges Magazin, aus und kündigte die Schließung des Büros an. Doch wurde die Akkreditierung von ONCuba vor ein paar Wochen verlängert. Fragen zur kubanischen Medienpolitik an Iván García, einen der bekannten unabhängigen Journalisten Kubas.

M | Wie erklärt sich der Widerspruch bei der Akkreditierung von ONCuba?

Mir ist die Politik der Regierung in Bezug auf ONCuba vollkommen schleierhaft. Auf der einen Seite gibt es dieses Video vom Februar 2017, das aber erst Ende Juli publik wurde. Obwohl darin davon die Rede ist, ONCuba zu schließen, gab es vor ein paar Wochen die Verlängerung. Der tiefer liegende Widerspruch liegt darin, dass ONCuba überhaupt akkreditiert wurde und eigene Redaktionsräume nahe dem Hotel Melia Cohiba am Malecón beziehen konnte. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Fall. Zu fragen ist, warum das Video überhaupt nach außen gedrungen ist. Wer profitiert davon?

M | Täuscht der Eindruck, dass der Druck auf unabhängige Journalisten derzeit wieder zunimmt?

In Kuba gibt es ein Auf und Ab, Phasen mit relativ großem Freiraum, folgen solche mit wenig. Aus offizieller Perspektive sind neben den staatlichen Medien keine weiteren vorgesehen. Die unabhängigen, freien Kollegen werden schlicht nicht als Journalisten anerkannt, egal ob sie –wie ich – für ein ausländisches Medium arbeiten oder für ein auf der Insel gegründetes.

Iván García (51) gehörte mit seiner Mutter zum Team von Raúl Rivero bei Cuba-Press, der ersten unabhängigen Nachrichtenagentur der Insel. Heute arbeitet er als Korrespondent für „Diario Las Américas“ in Miami sowie für andere Printmedien.
Foto: Rafael Muñoz Cordero

Insgesamt betrachtet, war der Druck in den letzten Jahren deutlich geringer als im Vergleich zu den 1990er Jahren oder den Nuller-Jahren. Viele Kollegen, darunter ich selbst, haben Seminare im Ausland besuchen können. Da gab es meist keine Probleme. Aktuell gibt es nun den Fall der Tageszeitung (taz), die seit drei Jahren jeden Sommer einen Workshop für kubanische Journalisten anbietet. Deren Teilnehmer wurden in diesem Jahr unter Druck gesetzt. Mehrere bei offiziellen Medien arbeitende Kollegen wurden entlassen, andere erkennungsdienstlich erfasst.

 M | Haben Sie auch derartige Erfahrungen gemacht?

Ja, aber das ist lange her. Ich bin seit mehr als 20 Jahren freiberuflich tätig, habe einen festen Arbeitgeber. Heute wird mit mir deutlich respektvoller umgegangen.

M | Unabhängige Journalisten sind heute eine kubanische Realität. Was hat sich seit den 1990er Jahren geändert, als Sie bei Cuba Press, der ersten unabhängigen Presseagentur der Insel, anfingen?

Der Druck hat deutlich abgenommen. Den Fall von Raúl Rivero, dem Gründer von Cuba Press, der im März 2003 mit 84 anderen Kritikern der Regierung verhaftet und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und schließlich nach Spanien auswanderte, dürfte hinreichend bekannt sein. Heute ist es einfacher mit den Leuten auf der Straße zu reden, sie sind deutlich aufgeschlossener. Früher wollten die Leue anonym bleiben, ich durfte höchstens von einem Taxifahrer oder Krankenpfleger schreiben, heute geben sie Dir oft den kompletten Namen. Das ist ein Vorteil.

M | Wie kam es zu diesem Wandel im Verhalten der Bevölkerung?

Ich kann nur aus meiner persönlichen Perspektive sprechen. Ich habe 1995 angefangen die ersten Artikel für Cuba Press zu schreiben, damals haben die Leute Journalisten auf eine Stufe mit Polizisten gestellt: beide wollten Dich ausfragen und nicht unbedingt zu Deinem Vorteil. Das war fast so, als ob man für die CIA in Kuba im Einsatz sei.

Aber seit 2006, vielleicht auch erst seit 2008 oder 2010, haben die Leute sich geändert, sind offener geworden. Natürlich ist es besser, wenn sie dich kennen, wissen, was du für Texte machst; denn die kommen hier ja durchaus an, zum Beispiel über das Paquete. Das ist eine Festplatte, von der die wichtigsten Fernsehsendungen aus den USA, Sportveranstaltungen, aber auch die Presse aus Miami runtergeladen werden können. Seitdem „El Paquete Semanal“ kursiert, sind die Kubaner auf der Insel deutlich besser informiert. Und heute gibt es Leute, die wollen dezidiert in die Presse. Sie wollen Missstände anprangern, an denen sich nichts geändert hat, obwohl sie den offiziellen Weg beschritten haben. Nun wollen sie Druck machen, das funktioniert manchmal.

M | Hatten Sie im letzten Jahr Zugang zu den Pressekonferenzen im Rahmen des Barack-Obama-Besuchs?

Ja, ich, Yoani Sánchez (Kubas bekannte Bloggerin) und ein paar weitere Kollegen. Wir hatten auch die Chance, Ben Rhodes zu interviewen, den Architekten der sich wandelnden US-amerikanisch-kubanischen Beziehungen. Generell gab es von Seiten der USA keine Probleme, an den Pressekonferenzen teilzunehmen – allerdings war, wie so oft, kaum Zeit zum Fragenstellen.

M | Welche Relevanz haben oder hatten für Sie und ihre Kollegen Journalistenseminare im Ausland?

Ich habe Freunde, die erst für ein staatliches Medium arbeiteten und nun auf eigene Rechnung unterwegs sind, die haben Kurse in Spanien und den USA besucht; ich selbst war vor zwei, drei Jahren in San Diego auf einem Journalistenseminar. Das hat mir viel gebracht. Andere, wie Elaine Díaz vom Netzwerk „Periodismo de Barrio“, haben ein Jahr an der Harvard University verbracht, ein Stipendium für ein Journalismus-Seminar erhalten und etwas Geld gespart, um in Kuba etwas vollkommen Neues zu starten: den Stadtteil-Journalismus. Berichterstattung aus den Stadtteilen, den Barrios. Derartige Austausche und Seminare sind positiv, denn dadurch ist die Qualität des unabhängigen Journalismus merklich gestiegen. Heute gibt es mehr Journalismus von unten und weniger ideologisch motivierten. Davon profitieren viele Leser, auch wenn die Reichweite begrenzt ist, denn die hängt vom Internetzugang ab.

M | Haben Sie einem Internetzugang an Ihrem Arbeitsplatz?

Oh, nein – einen privaten Internet-Zugang haben nur verdiente Schriftsteller und Künstler in Kuba. Ich erhalte auch keinen Zugang zu einem offiziellen Empfang oder einer Pressekonferenz. Gleiches gilt für offizielle Interviewanfragen, die werden bei freien, unabhängigen Journalisten ignoriert oder kurz und bündig abgelehnt. Auch die Informationsweitergabe von offiziellen Stellen an freie Journalisten funktioniert oft nicht – das ist ein Defizit, mit dem alle unabhängigen Kollegen zu tun haben. Mal mehr, mal weniger.

M | Generell scheint es jedoch deutlich mehr unabhängige Journalisten als früher zu geben?

Ja, deutlich mehr. Ich habe Zahlen von rund 800 unabhängig arbeitenden Kollegen gelesen. Das ist mit den Verhältnissen in den 1990er nicht zu vergleichen. Das Spektrum reicht vom investigativen Journalismus über den Boulevard-Journalismus bis zur reinen Öffentlichkeitsarbeit. Die Übergänge sind fließend, aber es hat sich gezeigt, dass es in Kuba viele junge Talente gibt.

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