Mehr als zehn Jahre nach dem ersten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag erscheint eine Reform mehr als überfällig. Doch die rasante Digitalisierung hat viele Regulierungsabsichten längst in Makulatur verwandelt. In der Reformdebatte dominiert leider immer noch viel analoges Denken. Nach dem gescheiterten Versuch von 2010 läuft zurzeit ein neuer Novellierungsprozess.
Eigentlich war er kein ganz schlechter Wurf, der erste Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) von 2003. Immerhin handelte es sich um den ersten ernsthaften Versuch, die Konvergenz der Medien zur Kenntnis zu nehmen und die daraus resultierenden Probleme auf Gesetzesebene anzugehen. Privater Rundfunk und Internet sollten vergleichbaren gesetzlichen Regelungen unterworfen und unter ein gemeinsames Aufsichtsdach gestellt werden. Zugleich wurde auch den Institutionen der Selbstkontrolle ein größerer Beurteilungsspielraum gegeben. Aber die Reform blieb auf halbem Wege stecken.
„Jugendschutz in der Bundesrepublik”, so urteilte unlängst der Medienkritiker Torsten Körner im Fachdienst epd Medien, sei „ein in Jahrzehnten gewachsenes Durcheinander, ein für Außenstehende undurchdringlicher Instanzendschungel”. Ein Instanzendschungel zwischen Bund und Ländern, zwischen Jugendschutzgesetz (JuSchG) und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Beide Paragrafensammlungen hätten „den Anschluss an die Wirklichkeit verloren”.
Körner steht mit seinem harschen Urteil nicht allein. „Schon die Zahl der im Jugendmedienschutz zuständigen Institutionen lässt Rückschlüsse auf Transparenz und Effizienz des heutigen Verfahrens zu”, sagt Tobias Schmidt, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL Deutschland, zugleich Vorstandsvorsitzender des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT). Da ist einiges dran. Das geht schon los bei der Vergabe der Alterskennzeichen für die sogenannten Trägermedien: Kinofilme, DVDs, Blue-Ray-Discs und CDs. Über die Vergabe von Alterskennzeichen in fünf Stufen, von der Freigabe 0 (= ohne Altersbeschränkung) bis zur Freigabe ab 18 Jahren (keine Jugendfreigabe) entscheiden die Landesjugendbehörden in Kooperation mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), im Fall von Computerspielen mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) wiederum prüft die Programme des privaten Fernsehens, legt die Sendezeit für TV-Sendungen fest und verhängt unter Umständen Schnittauflagen. Das führt nicht selten zu Doppelprüfungen mit widersprüchlichen Urteilen. „Von 22 Episoden der ersten Staffel der US-Fantasyserie ‚Grimm’, die zur besten Sendezeit am Montagabend auf dem Privatsender VOX lief, besaßen allein zehn Episoden unterschiedliche Einstufungen der FSK und der FSF für dieselbe ungeschnittene Fassung”, klagt RTL-Mann Schmidt. Und kommt zu dem Schluss: „Für viele professionelle Bewegtbildanbieter bleibt das System ärgerlich.”
Nach Fiasko neuer Versuch
Dem Jugendschutz geht es – zumindest auf dem Papier – um die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Die „Betroffenen” sehen diesen pädagogischen Ansatz erfahrungsgemäß häufig anders. Dass Kinder die Alterssperre bei Shooter-Spielen nicht selten als Spaßbremse empfinden, muss wohl hingenommen werden. Aber der erste Versuch, das Modell der „regulierten Selbstregulierung” aus der analogen in die digitale Welt zu übertragen, endete 2010 mit einem Fiasko (vgl. M 11/2011). Eine große Koalition von Bedenkenträgern aus Grünen, Teilen der FDP, Piraten, Netzaktivisten und Zeitungsverlegern (die eine Regulierung der Online-Auftritte ihrer Blätter fürchteten), lehnte den damaligen Entwurf einer Staatsvertrags-Novelle als „freiheitsfeindliches” und unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstandenes Machwerk ab. Am Ende fiel die Reform dem Veto des von einer Großen Koalition regierten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen zum Opfer.
Seit März 2014 liegt ein neues Eckpunktepapier der Rundfunkkommission der Länder vor, auf dessen Grundlage eine Novellierung des JMStV erfolgen soll – angeblich bis Ende dieses Jahres. Um den Vorwurf von Hinterzimmerpolitik zu vermeiden, entschied man sich diesmal für eine „ergebnisoffene Onlinekonsultation”. Ein Zwischenfazit dieser Konsultation liegt seit Juni vor. Schon jetzt gibt es gravierende Einwände gegen einige der angeregten Regulierungsmaßnahmen.
FSF-Geschäftsführer Joachim von Gottberg kritisiert etwa die „fehlende Systematik” in manchen Vorschlägen. So ist geplant, angesichts der medialen Konvergenz FSK und USK rechtlich zu autorisieren, auch Altersfreigaben für die Auswertung im Fernsehen oder im Internet zu erteilen. Gottberg hält dagegen. Es sei ein „Rätsel”, warum die mediale Konvergenz ausschließlich zugunsten von FSK und USK in Richtung Onlineverbreitung geregelt werden solle, während etwa die FSF weiterhin auf den TV- bzw. Internetbereich beschränkt werde. „In Zeiten konvergenter Medien kann man nicht mehr nach Vertriebswegen kennzeichnen, sondern nur nach Inhalten.” Im Internet könne ein Anbieter selbst kennzeichnen, ohne eine Selbstkontrolle zu brauchen. Während derselbe Inhalt, wenn er auf DVD herauskomme und wahrscheinlich von sehr viel weniger Menschen rezipiert werde, von einem fünfköpfigen Ausschuss und einem ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden als Verwaltungsakt gekennzeichnet werden müsse. Gottberg hält es auch für keine glückliche Lösung, „wenn man Selbstkontrollinstanzen zu Konkurrenten macht”. Sein Vorschlag zur Vermeidung von Doppelexpertisen: „Als TV-Sender lasse ich meine Filme von der FSF prüfen, und wenn die dann auf DVD rauskommen, soll für sie die FSF-Freigabe gelten. DVD-Anbieter oder Filmhändler gehen zur FSK, und wenn diese Filme dann im Fernsehen laufen, gilt entsprechend die Freigabe der FSK.” Wenn sich der Anbieter aussuchen kann, ob er zur FSK oder zur FSF geht, werde jeder Medienanbieter weiterhin zu der Instanz gehen, von der er sich die günstigsten Freigaben erwarte. Sinnvoller Jugendmedienschutz sieht anders aus.
Digitale Volljährigkeit mit zehn Jahren
Wirklich effizient war das System der Selbstkontrolle bislang nur bei Kinobesuchen. Schon bei DVDs und Computerspielen gestaltet sich der Kasus schwieriger. Erst recht im TV, wo kaum ermittelt werden kann, wer zu welcher Uhrzeit was schaut. Unabhängig vom pädagogischen Anspruch der Eltern: Die rasante Veränderung der Mediengewohnheiten gerade der jungen Generation macht einen wirkungsvollen Jugendschutz immer illusorischer. Längst konsumieren Kinder und Jugendliche die von ihnen favorisierten Medieninhalte nicht mehr in erster Linie im Kino oder am heimischen Bildschirm. Sie tun es weitaus mehr im Internet, zunehmend auch mit ihren Smartphones oder per Tablet. Laut KIM-Studie 2012, die das Medienverhalten der 6–13jährigen Kinder in Deutschland dokumentiert, verfügte bereits vor zwei Jahren jedes fünfte Kind über einen eigenen Computer, 15 Prozent auch über einen Internetzugang. Smartphones und Tablets waren mit 7 bzw. 1 Prozent zu diesem Zeitpunkt eher unterrepräsentiert. Daten, die allerdings heute schon überholt sein dürften. Nach der Anfang August dieses Jahres publizierten jüngsten „Kids Verbraucher Analyse” wird inzwischen das, was Marktforscher „digitale Volljährigkeit” nennen, bereits mit zehn Jahren erreicht. 97 Prozent der 10 bis 13jährigen nutzen demnach das Internet, 56 Prozent von ihnen täglich.
Einige Details aus dem gescheiterten JMStV sind mittlerweile in die Prüfpraxis eingeflossen – unterhalb der Gesetzesschwelle. Im Internet und bei mobilen Kommunikationsgeräten setzt der Gesetzgeber auf Selbstverpflichtungen deutscher Anbieter und auf spezielle technische Jugendschutzprogramme. Akteure der Selbstkontrolle sind hier die FSK.online, USK.online sowie die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM). Letztere hat in Kooperation mit Anbietern, Jugendschutzeinrichtungen und anderen Kontrollinstanzen diverse Selbstverpflichtungserklärungen für die Anbieter von Internetseiten entwickelt, ebenso für Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Mobilfunkanbieter. Die Regeln haben keinen Gesetzescharakter. Was eher von Vorteil ist – so lassen sie sich flexibler an neue technische Entwicklungen anpassen. Entscheidendes Defizit: Nur deutsche Anbieter haben bislang diese Selbstverpflichtungs-Codices unterschrieben. Das Netz kennt aber keine Landesgrenzen.
Filter und Alterskennzeichen
Zum prophylaktischen Jugendmedienschutz eignen sich spezielle Filterprogramme auf Rechnern und Smartphones, die den Heranwachsenden Zugriff nur auf Inhalte ermöglichen, die die Eltern freigegeben haben. Laut JMStV sind Anbieter etwa von erotischen oder gewaltdarstellenden Inhalten dazu verpflichtet, eine Sendezeitbegrenzung – Anzeige der Seite nur zwischen 22/23 Uhr abends und 6 Uhr morgens – zu beachten. Wahlweise können sie auch eine von der KJM anerkannte Filtersoftware einsetzen. Zwei solcher Softwareschutzlösungen für PCs mit Windows wurden 2012 von der Kommission für gut befunden: erstens das Programm des Vereins zur Förderung des Kinder- und Jugendschutzes in den Telemedien (JusProg e.V.), zweitens das Programm der Deutschen Telekom (für Kunden kostenlos unter t-online.de/kinderschutz) verfügbar. Anbieter im Netz können ihre Webseiten durch entsprechende Programmierung mit Alterskennzeichen versehen. Durch dieses „Labeling” werden – für den User unsichtbar – bestimmte Seiten für die jeweilige Altersstufe freigegeben bzw. gesperrt.
Damit dieser Schutz wirksam wird, ist allerdings eine massenhafte Alterskennzeichnung im Netz vonnöten. Davon aber ist man gegenwärtig noch weit entfernt. Präzise Daten über die aktuelle Verbreitung dieses Werkzeugs liegen nicht vor. Fast alle Experten gehen indes davon aus, dass derartige Filter allenfalls in einer Größenordnung von ein bis zwei Prozent zum Einsatz kommen. Und selbst wenn der größte Teil deutscher Website-Betreiber sich zu diesem Labeling entschlösse, bliebe ein zentrales Problem ungelöst. Von den über 8.000 von jugendschutz.net registrierten Verstößen gegen den Jugendmedienschutz fanden sich vier Fünftel auf Angeboten im Ausland. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde MIRACLE (= Machine-readable and Interoperable Age Classification Labels in Europe) ins Leben gerufen. Ein Pilotprojekt zu „interoperablen Alterskennzeichen”, in dem die FSM seit Anfang 2014 – kofinanziert von der EU-Kommission – gemeinsam mit sieben anderen Partnern und unter der Leitung des Hans-Bredow-Instituts an einer internationalen Lösung arbeitet.
Netzinhalte kaum zu klassifizieren
Natürlich ist auch den Jugendschützern die neue Herausforderung des Web 2.0, die explosiv gewachsene Popularität sozialer Netzwerke und Kommunikationsplattformen wie Facebook (gegründet fast zeitgleich mit dem Inkrafttreten des JMStV von 2003) oder WhatsApp nicht entgangen. Der Versuch, auch Portale, auf denen sogenannter User Generated Content angeboten wird, den Jugendschutzbestimmungen zu unterwerfen, kann getrost als neuerlicher Schlag ins Wasser bezeichnet werden. „Privatpersonen ist oftmals nicht klar, dass sie auch unter Umständen für jugendschutzrelevante Inhalte Dritter verantwortlich sind”, behaupten die Medienreferenten der Länder im Einleitungstext zum neuen JMStV-Eckpunktepapier. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob kommerzielle Blogger dazu verdonnert werden können, ihre Angebote auf jugendschutzrelevante Inhalte abzuklopfen. Da dieses Ansinnen offenbar im Widerspruch zum geltenden Telemediengesetz steht, soll der Plan mittlerweile vom Tisch sein. Für das Social Media Zeitalter, darüber sind sich die Experten einig, ist der Ansatz einer Selbstklassifizierung aller Inhalte illusorisch, da nicht praktikabel.
Weiterhin wird der Eindruck erweckt, als sei der Rundfunk – genauer: der private Rundfunk – das drängendste und gravierendste Problem. „Kino, DVD und Fernsehen werden weiterhin mit hohem Aufwand reguliert, während dieselben Inhalte mehr oder weniger frei für jeden im Internet zugänglich sind”, konstatiert FSF-Geschäftsführer Gottberg. Damit aber wird tendenziell der Sinn des bisherigen Jugendschutzes in Frage gestellt. Denn das tatsächliche Gefährdungspotenzial der Jugend verlagert sich zunehmend ins Internet. Das konstatiert auch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Seit ihrer Gründung, so die Bilanz im kürzlich publizierten Jahrbuch 2013/14 der Landesmedienanstalten, hat sich die Kommission mit mehr als 5.700 Prüffällen befasst. Davon entfielen rund 950 auf den Rundfunkbereich und etwa 4.800 auf den Bereich der Telemedien. Schon diese Zahlen belegen, so räumt die KJM ein, dass die Jugendschutzverstöße im Internet „in Quantität und Qualität” weit über das hinausgehen, was im Fernsehen zu sehen ist. Das gilt vor allem im Hinblick auf explizite Darstellungen von Gewalt oder Pornografie.
Willkommene „Schauprozesse”
Paradoxerweise kreist die öffentliche Debatte nach wie vor mehr um einige spektakuläre Fälle aus dem Rundfunkbereich, in denen nach Auffassung mancher Jugendschützer gegen gesetzlich vorgeschriebene Altersgrenzen verstoßen wird. So geriet zuletzt etwa unter anderem der Privatsender ProSieben mit seinen prominenten Moderatoren Joko und Klaas gleich doppelt ins Visier der KJM. Beanstandet wurde beispielsweise eine Folge der Sendung „Circus Halligalli” (Ausstrahlung um 22:15 Uhr), in welcher die Moderatoren und ein Studiogast jeweils mehrere Gläser Wodka leeren mussten. Alkohol, so das Verdikt der KJM, werde in der Sendung „gezielt als Spaßmacher eingesetzt”, auf „mögliche negative Folgen von Alkoholkonsum” werde nicht hingewiesen. Da gleichzeitig die bekannten Protagonisten Sympathieträger seien, mithin zur Identifikation einluden, sei die Sendung ungeeignet für Zuschauer unter 18 Jahren, hätte also später ausgestrahlt werden müssen.
Eine „Beeinträchtigung” der Entwicklung von Zuschauern unter 16 Jahren sahen die Medienwächter in der Sendung „Joko gegen Klaas – Das Duell um die Welt”. Problematisiert wurden dabei Sequenzen, in welchen den Protagonisten wahlweise die Lippen zugenäht, Boxschläge gegen den Kopf versetzt oder Stromschläge in die Oberarme verpasst wurden. Das KJM-Verdikt: Die Sendung, die normalerweise um 20:15 Uhr läuft, hätte aufgrund dieser Bewertung erst nach 22 Uhr ausgestrahlt werden dürfen.
Die Kommission, dieser Eindruck drängt sich auf, nutzt solche Fälle mit prominenter Beteiligung als willkommene „Schauprozesse”, um öffentlichkeitswirksam Tätigkeitsnachweise auf einem Terrain abzuliefern, das ihrer Kontrolle längst entglitten ist. Wie absurd diese Praxis inzwischen aussieht, zeigt ein anderes Beispiel. Anfang Juli bestätigte das Verwaltungsgericht Hannover eine Entscheidung der KJM, wonach in einer Folge der RTL-Doku-Soap „Die Super Nanny” vom 14.9.2011 (!) aufgrund einer „reißerischen und voyeuristischen Darstellung” von Kindesmisshandlung eine Verletzung der Menschenwürde vorgelegen habe. Dass ein derartiges folgenloses Anprangern von Einzelfällen im Free TV angesichts eines frei zugänglichen, mit Sex und Verbrechen vollgestopften World Wide Web den Betroffenen nicht schmeckt, verwundert kaum. RTL-Mann Schmidt erhofft sich im aktuellen Novellierungsprozess „Fairness, Weitsicht und Pragmatismus”. Von der Aufsicht fordert er, „das scharfe Schwert des Jugendmedienschutzes nicht immer nur in der nächsten Nachbarschaft niedersausen zu lassen, weil der Weg zum Klingelschild dort am kürzesten ist.”
ARD und ZDF, dies sei nur am Rande bemerkt, behaupten schon seit Gründung der FSF, der Jugendschutz sei bei ihnen entweder kein Problem oder werde von den eigenen Gremien vorbildlich geregelt. Zweifel an dieser selbstbewussten Position erscheinen gelegentlich angebracht. Der umstrittene Action-„Tatort”, in dem 16 Leichen den Weg des als Kommissar verkleideten Til Schweiger pflasterten, wurde von den NDR-Gremien anstandslos zur 20:15-Uhr-Ausstrahlung durchgewunken. Die Quote heiligt offenbar manchmal die Mittel.
Präventiver Schutzansatz
Angesichts der offensichtlich weitgehenden Wirkungslosigkeit von staatlicher Kontrolle und restriktiven Maßnahmen in der digitalen Ära nimmt der Anteil der Skeptiker zu. „Muss die Kultur des Verbietens abgelöst werden von der Kultur der Eigenverantwortung”, fragt KJM-Vize Thomas Krüger und stellt eine Reihe rhetorischer Fragen: Solle man weiter versuchen, „Inhalte vor den Kindern und Jugendlichen wegzusperren”? Oder wäre es am Ende „klüger, ihnen das Handwerkszeug an die Hand zu geben, damit sie eigenverantwortlich unangemessene Inhalte erkennen und vermeiden”? Krüger fordert auch ein Ende bisheriger medienpolitischer Kleinstaaterei im Sinne von regionaler Besitzstandswahrung. Anstelle zersplitterter Zuständigkeiten wünscht er sich „eine umfassend und angemessen ausgestattete Bund-Länder-Stiftung für Medienkompetenz sowie Kinder- und Jugendmedienschutz, die unabhängig und neutral diese Aufgabe übernehmen könnte”.
Krügers Plädoyer, den bisherigen unrealistischen Anspruch an den Jugendmedienschutz im Netz fallen zu lassen zugunsten einer Strategie, die Ziele auf das noch Machbare reduziert, wird auch von FSF-Chef Gottberg geteilt: „Es wäre besser, man würde dieses ganze (Jugendmedienschutz-)Gesetz einfach auf ein, zwei Seiten eindampfen”, schlägt er vor. „Darin könnten die Aufgaben der KJM und der Freiwilligen Selbstkontrollen definiert werden.” Darüber hinaus macht er sich stark für einen präventiven Schutzansatz: „Der Jugendschutz wäre gut beraten, neben den rechtlichen Vertriebsbeschränkungen zu den jeweiligen Inhalten ein Informations- und Empfehlungssystem zu entwickeln, zu erproben und breit auszubauen.” Da das Wegsperren vermeintlich schädigender Inhalte im Netz nur noch sehr bedingt möglich ist, bleibe nichts anderes übrig, als die Entscheidungskompetenz der Nutzer zu stärken. Gottberg stellt sich für kommerziell verbreitete Inhalte ein visuelles Zeichen vor, das schnell den Grad an Angstvermittlung oder detaillierten Darstellungen von Gewalt oder Sex vermittelt. Im Grunde die Erneuerung einer alten FSF-Idee, Filmdatenblätter mit pädagogischen Hinweisen zu entwickeln. Medienpädagogik im Gewande von Verbraucherinformation.
Als Multiplikatoren sind hier Schulen und nicht zuletzt die Eltern gefragt. Ansätze sind vorhanden. Der „Medienführerschein” zum Beispiel, ein in Bayern entwickeltes medienpädagogisches Angebot für Lehrer. Oder „Flimmo”, ein TV-Ratgeber für Heranwachsende, „FragFINN.de”, eine Internet-Suchmaschine für Kinder und „Schau Hin!”, ein Elternratgeber zur Mediennutzung, der Erziehende dabei unterstützt, ihre Kinder im Umgang mit Medien zu stärken. Technische Schranken oder normative Verbote – diese Maxime setzt sich glücklicherweise auch im Jugendmedienschutz allmählich durch – können die Kompetenz in Sachen Medien nie ersetzen.