Abwärtsspirale

Erfolgreiches Beispiel gegen die Abwärtsspirale: Vom ZDF konzipiert, von Scopas Medien entwickelt und produziert - die Kindersendung "JoNaLu" Foto: 2010 ZDF/Scopas Medien AG

Animationsindustrie leidet unter struktureller Benachteiligung

Die deutsche Animationsindustrie hat ein Problem: sie steht auf der Liste der aussterbenden Künste und niemand scheint bereit zu sein, sie zu retten. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist einfach zu klein. Ihre kulturelle jedoch umso größer, denn Animation hat einen entscheidenden Einfluss auf die kulturelle Prägung von Kindern. Zeichentrickserien gehören zu den ersten Erfahrungen, die Kinder mit Medien und den darin vermittelten Werten machen.

„Wenn Kinder in ihrer Prägungsphase vornehmlich Inhalte anderer Kulturen konsumieren, werden sie auch später hauptsächlich Güter dieser Kultur konsumieren – mal ganz abgesehen von der Übernahme der dort vermittelten Werte“, sagt Jan Bonath, Vorstand der Sektion Animation der Produzentenallianz und Vorstand der Animationsfirma Scopas Medien AG. Ein Gedanke, der so auch von Dr. Irene Wellershoff, Redaktionsleiterin Fiction in der Hauptredaktion Kinder und Jugend des ZDF, und von Michael Stumpf, dem Programmgeschäftsführer von Der Kinderkanal (KIKA), unterschrieben wird. „Deutsche Animation ist für das ZDF und den KIKA nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal, sondern auch ein Bestandteil zur Entwicklung der kulturellen Identität der Kinder“, sagt Irene Wellershoff, weshalb das ZDF einen großen Teil seines Etats für Animation in Deutschland ausgibt. Und Michael Stumpf hält fest: „Wenn wir uns an einem Programm beteiligen, dann muss dies unsere Lebenswelten und Werte reflektieren.“ Zudem sollte der Finanzierungsanteil des KIKA in Deutschland ausgegeben werden, es also möglichst einen deutschen Dienstleister geben.

Zu wenig deutsche Produktionen

Das Problem ist allerdings, dass Animation gerade in Deutschland teuer ist und die begrenzten Mittel ökonomisch ausgegeben werden müssen. Da fließt ganz automatisch so einiges in günstiger angebotene Programme. Die Zahlenlage, ist ziemlich unübersichtlich, weil es keine gesicherten aktuellen Zahlen gibt. Und wenn ja, ist nicht klar, wie sie genau einzuordnen sind. So gaben einzelne Landesmedienanstalten der ARD 2015 laut ihres Produzentenberichts 9,2 Mio. Euro für Auftrags-, Misch- und Koproduktionen und 1,16 Mio. für Lizenzproduktionen aus. Wieviel davon an deutsche Produzenten floss, ist nicht ersichtlich. Laut der Studie „Kino- und Fernsehproduktionen für Kinder und Jugendliche in Deutschland“ der Produzentenallianz von 2009 stammten 15 Prozent des vom ZDF finanzierten Animationsprogramms aus Deutschland, beim KIKA waren es 9,8 Prozent. Wieviel die Sender in Euro für Animation ausgeben, ist auf Nachfrage nicht zu erfahren. In der Studie Focus on Anima­tion der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle im Auftrag der Europäischen Kommission mit Stand von 2013 ist vermerkt, dass 14,6 Prozent der in Deutschland gezeigten Animationsserien aus dem Inland kommt. Damit rangiert Deutschland am Schluss der vorgestellten Länder. Großbritannien steht mit 83,4 Prozent auf Platz 1 und Frankreich mit 38,7 Prozent auf Platz 2. Das liegt daran, dass in Großbritannien im Kinderbereich fast nur einheimische Ware akzeptiert wird und Frankreich seine Industrie schützt.

Klar hingegen ist, dass die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Animationsbranche vergleichsweise „mikroskopisch klein“ ist, so Jan Bonath. Laut der Studie der Produzentenallianz waren es 2009 lediglich 63,3 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Eine Zahl, die sich nicht wesentlich erhöht haben dürfte. Doch einfach nur ‚mehr-Geld-für-deutsche-Produzenten’ löst das Problem auch nicht. Denn die deutsche Anima­tionsbranche sieht sich einer strukturellen Benachteiligung europäischer Dimension gegenüber, die einer Abwärtsspirale gleicht. Einerseits ist es vergleichsweise teuer in Deutschland zu produzieren. Eine Serie oder einen Film alleine aus Deutschland zu finanzieren, ist daher unmöglich. Es müssen immer Partner aus anderen Ländern hinzukommen. Programme müssen also auch außerhalb Deutschlands gefallen. Deutsche Produzenten können im Ausland nicht direkt mit Sendern ins Geschäft kommen. Dafür brauchen sie immer einen nationalen Koproduktionspartner. Andererseits beteiligen sich deutsche Sender – und das scheint EU-weit nur in Deutschland möglich zu sein – immer wieder direkt und ohne Einbindung deutscher Hersteller an ausländischen Projekten. Gerade die Franzosen profitieren davon, die im eigenen Land zusätzlich von einem starken Fördersystem, aber auch einer Quote unterstützt werden, die es so in Deutschland nicht gibt, was zu Ungleichheit führt. So kommen in Frankreich 60 bis 70 Prozent des Geldes aus öffentlicher Förderung und vom Fernsehen und der Rest von internationalen Lizenznehmern. Und zu guter Letzt ist von den privaten Sendern wie Nick oder Super RTL keine Hilfe zu erwarten, da es auf dem deutschen Fernsehmarkt erlaubt ist, sich komplett mit Ware aus dem Ausland einzudecken.

Jan Bonath, Vorstand der Sektion Animation der Produzentenallianz und Vorstand der Animationsfirma Scopas Medien AG
Foto: Kathrin Jungclaus

„Der Markt für deutsche Animation hat sich im Fernsehbereich sehr stark verschoben, dass man gegen die ausländischen Wettbewerber kaum noch bestehen kann“, stellt Jan Bonath fest. „Bei Cartoon Forum, das sehr schön die Marktsituation spiegelt, war gerade erst wieder zu sehen, wie wenig aus Deutschland heraus initiiertes Programm es eigentlich gibt.“ Cartoon Forum ist ein internationaler Finanzierungsmarkt für Animationsserien und findet jährlich im September statt. In diesem Jahr wurden dort 82 Projekte aus 23 Ländern vorgestellt. Davon kamen 28 – über ein Drittel – aus Frankreich und vier aus Deutschland. Selbst Irland mit acht Projekten stand besser da. Cartoon Forum hat aber auch gezeigt, dass andere europäische Länder die gleichen Probleme wie Deutschland haben. „Doch sie stört es nicht“, erklärt Bonath.

Was also lässt sich tun? Die öffentlich-rechtlichen Sender haben kein Problem mit einer Quote. Sie sind es ohnehin leid, dass von ihnen, die ja Animation unterstützen, immer mehr verlangt wird, während kaum Anstalten unternommen werden, um die Privaten in die Pflicht zu nehmen. Michael Stumpf merkt jedoch an, dass man bei der Diskussion um die Quote die Qualität nicht außer Acht lassen darf. „Wir werden nicht gerade mit einer Vielzahl spannender Stoffe überschwemmt, weshalb auch die Autorenförderung in Deutschland eine wichtige Rolle spielt“, sagt Stumpf. „Deshalb unterstützen wir etwa die Akademie für Kindermedien in Erfurt, die gezielt Autorenförderung betreibt.“

Für die Produzenten steht eine Quote gar nicht mal im Vordergrund – wohl auch weil sie illusorisch ist. Sie wollen eine Abschaffung des strukturellen Ungleichgewichts, das in Europa herrscht. Das heißt konkret: gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen im EU-Raum durch die Gleichheit der Marktzugänge, dem Vorhandensein eines steuerinduzierten Finanzierungsmodels, das sowohl für Kino- und TV-Projekte zur Verfügung steht. Vorbild sind die Systeme in anderen Ländern, wo im Land getätigten Ausgaben für ein Projekt mit 20 bis 30 Prozent subventioniert werden – meist zusätzlich zu den sonstigen Fördertöpfen. Hinzu kommt, dass die Produzenten Rechte behalten möchten, die sie verwerten können. Das bezieht sich in erster Linie auf Lizenzvergaben an Video on Demand- und Streaming-Dienste.

Ausbildung, aber keine Jobs

Leider findet die Branche kaum Unterstützung in der Politik, die notwendig wäre, damit sich Grundlegendes ändert. Es fühlt sich keiner zuständig, es fehlen also Ansprechpartner, die etwas bewegen könnten. Auf der anderen Seite ist es so, dass Deutschland Geld in die Hand nimmt, um Menschen auszubilden, die Animation herstellen können. Die gehen dann ins Ausland, weil sie hier keine Jobs finden bzw. keine langfristigen Anstellungen, wie sie etwa für Familiengründungen Grundlage sein könnten. Ein Schicksal, das sich die Animationsbranche mit der Visual Effects-Branche teilt, da beide auf dasselbe Personal zurückgreifen und die gleichen wirtschaftlichen Probleme zu bewältigen haben.

Um sich zu stärken, haben die Animations- und die VFX-Branchen den Verbund Animation Germany (http://www.animationgermany.de/) gegründet. Damit wollen sie einerseits im Ausland als Dienstleister wahrgenommen werden, anderseits wollen sie in Verbindung mit Produzentenallianz und AG Animationsfilm die Position deutscher Animation und VFX im Inland (gegenüber Politik und Sendern) und dem Ausland (Verkauf) stärken. Parallel gibt es mit dem Animation Plan for Europe auch eine europäische Initiative, die Animation bei den europäischen Institutionen eine größere Wahrnehmung und darüber mehr Förderung verschaffen möchte.

Weiterführende Informationen:

https://ec.europa.eu/programmes/creative-europe/highlights/european-animation-paln_en

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Mit Recht und Technik gegen Fake News

Als „vielleicht größte Gefahr“ in der digitalen Welt sieht die Landesanstalt für Medien NRW (LFM) die Verbreitung von Desinformationen. Insbesondere gilt das für die Demokratische Willensbildung. Daher wird die Aufsichtsbehörde ihren Scherpunkt im kommenden Jahr genau auf dieses Thema richten. Aber wie kann man der Flut an Fake News und Deep Fakes Herr werden?
mehr »

Süddeutsche ohne Süddeutschland?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will sich aus der Regionalberichterstattung in den Landkreisen rund um München weitgehend zurückziehen. Am Mittwoch teilte die Chefredaktion der SZ zusammen mit der Ressortleitung den rund 60 Beschäftigten in einer außerordentlichen Konferenz mit, dass die Außenbüros in den Landkreisen aufgegeben werden und die Berichterstattung stark zurückgefahren wird. Dagegen wehrt sich die Gewerkschaft ver.di.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »