Ein- oder ausgegrenzt?

Die meisten Zeitungszusteller haben Anspruch auf vollen Mindestlohn ab 2015

Das Wort ausschließlich setzt Grenzen. Konkret bewirkt es, dass von der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns bis 2017 nur die Zeitungszusteller ausgenommen sind, die „ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften”, auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Inhalt „an Endkunden zustellen”. So steht es im Mindestlohngesetz.

ver.di-Aktion „Kein Lohn unter 8,50 Euro", keine Ausnahme für Zusteller, Anfang Juli in Pforzheim. Foto: ver.di
ver.di-Aktion „Kein Lohn unter
8,50 Euro“, keine Ausnahme
für Zusteller, Anfang Juli in
Pforzheim.
Foto: ver.di

Schlussfolgerung von ver.di: Die meisten der rund 300.000 Zeitungszustellerinnen und -zusteller in Deutschland haben ab Januar 2015 Anspruch auf den vollen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. „Ein Großteil der Verlage und Vertriebsunternehmen lässt auch Werbematerial austragen oder ist direkt ins Postgeschäft eingestiegen. All diese Zusteller fallen nicht unter die Ausschließlichkeitsforderung”, erklärt ver.di-Tarifsekretär Siegfried Heim. Aus zuverlässiger Quelle erfuhr ver.di dass man sich selbst beim Zeitungsverlegerverband dieser Logik nicht verschließen kann. Zähneknirschend. Hatte man zur Durchsetzung von Ausnahmen für die Zusteller doch eine aufwändige Lobbykampagne geführt, die Pressefreiheit als Argument aufgefahren und sich von ver.di angebotenen Tarifverhandlungen verweigert. Weitgehend umsonst, dank eines – wie Insider behaupten – fast zum Schluss in den Gesetzestext gerutschten „ausschließlich”. Zeitungszustellerinnen und -zusteller, die in ver.di organisiert sind und auch Prospekte oder Briefe ausliefern, können mit gewerkschaftlichem Rechtsschutz zur Durchsetzung des vollen Mindestlohnanspruchs rechnen.
Denn dass Verleger oder Vertriebsfirmen allerorten klaglos 8,50 Euro zahlen werden, ist nicht anzunehmen. Vielerorts trickst man bereits bei der Umrechnung des bisher üblichen Stücklohns in einen Stundenlohn, gern in Kombination mit computerbasierter Wegeberechnung oder dem Neuzuschnitt von Zustellgebieten. Betriebsräte bei Funke Logistik in Hagen haben solche optimierten Routen bei idealen Bedingungen abgelaufen. „Die angegebene Zeit verdoppelte sich fast immer”, berichtet Betriebsratsvorsitzende Gabriele Wendel-Brand. Man sei dagegen „Sturm gelaufen”. Nun bleiben solche Parameter beim bevorstehenden Abschluss einer Betriebsvereinbarung außen vor. Bei der Neuen Westfälischen Logistik GmbH in Bielefeld hat man eine Berechnungsformel für Zustellzeiten erdacht. „Wenn die ab jetzt bei allen Neueinstellungen angewandt würde, könnte man in Zukunft noch erheblich Lohnkosten einsparen”, empört sich Betriebsratsvorsitzender Oliver Erdmann. Nur die sportlichsten Zusteller in guten Bezirken kämen an diese Zeiten heran. ver.di hält deshalb mit einem eigenen Vorschlag dagegen. „Wir fordern Zustellerinnen und Zusteller dringend auf, Betriebsräte zu wählen. Interessenvertretungen können ihre Mitbestimmungsrechte nutzen – auch, um die korrekte Zahlung des Mindestlohns zu kontrollieren”, so Siegfried Heim.

    neh  

www.zeitungszusteller.verdi.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland. Immerhin sorgte die große Protestwelle der letzten Monate, die vielen Demonstrationen für Demokratie dafür, dass die AfD-Ausbeute an den Wahlurnen nicht noch üppiger ausfiel. Noch Anfang…
mehr »