Die meisten Zeitungszusteller haben Anspruch auf vollen Mindestlohn ab 2015
Das Wort ausschließlich setzt Grenzen. Konkret bewirkt es, dass von der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns bis 2017 nur die Zeitungszusteller ausgenommen sind, die „ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften”, auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Inhalt „an Endkunden zustellen”. So steht es im Mindestlohngesetz.
Schlussfolgerung von ver.di: Die meisten der rund 300.000 Zeitungszustellerinnen und -zusteller in Deutschland haben ab Januar 2015 Anspruch auf den vollen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. „Ein Großteil der Verlage und Vertriebsunternehmen lässt auch Werbematerial austragen oder ist direkt ins Postgeschäft eingestiegen. All diese Zusteller fallen nicht unter die Ausschließlichkeitsforderung”, erklärt ver.di-Tarifsekretär Siegfried Heim. Aus zuverlässiger Quelle erfuhr ver.di dass man sich selbst beim Zeitungsverlegerverband dieser Logik nicht verschließen kann. Zähneknirschend. Hatte man zur Durchsetzung von Ausnahmen für die Zusteller doch eine aufwändige Lobbykampagne geführt, die Pressefreiheit als Argument aufgefahren und sich von ver.di angebotenen Tarifverhandlungen verweigert. Weitgehend umsonst, dank eines – wie Insider behaupten – fast zum Schluss in den Gesetzestext gerutschten „ausschließlich”. Zeitungszustellerinnen und -zusteller, die in ver.di organisiert sind und auch Prospekte oder Briefe ausliefern, können mit gewerkschaftlichem Rechtsschutz zur Durchsetzung des vollen Mindestlohnanspruchs rechnen.
Denn dass Verleger oder Vertriebsfirmen allerorten klaglos 8,50 Euro zahlen werden, ist nicht anzunehmen. Vielerorts trickst man bereits bei der Umrechnung des bisher üblichen Stücklohns in einen Stundenlohn, gern in Kombination mit computerbasierter Wegeberechnung oder dem Neuzuschnitt von Zustellgebieten. Betriebsräte bei Funke Logistik in Hagen haben solche optimierten Routen bei idealen Bedingungen abgelaufen. „Die angegebene Zeit verdoppelte sich fast immer”, berichtet Betriebsratsvorsitzende Gabriele Wendel-Brand. Man sei dagegen „Sturm gelaufen”. Nun bleiben solche Parameter beim bevorstehenden Abschluss einer Betriebsvereinbarung außen vor. Bei der Neuen Westfälischen Logistik GmbH in Bielefeld hat man eine Berechnungsformel für Zustellzeiten erdacht. „Wenn die ab jetzt bei allen Neueinstellungen angewandt würde, könnte man in Zukunft noch erheblich Lohnkosten einsparen”, empört sich Betriebsratsvorsitzender Oliver Erdmann. Nur die sportlichsten Zusteller in guten Bezirken kämen an diese Zeiten heran. ver.di hält deshalb mit einem eigenen Vorschlag dagegen. „Wir fordern Zustellerinnen und Zusteller dringend auf, Betriebsräte zu wählen. Interessenvertretungen können ihre Mitbestimmungsrechte nutzen – auch, um die korrekte Zahlung des Mindestlohns zu kontrollieren”, so Siegfried Heim.
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