In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.

M: In Ihrem neuen Buch „We can do better“ schreiben Sie, sie seien „frisch erzürnt“. Worüber sind Sie wütend?

Stine Eckert: Seit Mitte der 70er Jahre gibt es die zweite Frauenbewegung im deutschsprachigen Raum und es wurde schon sehr oft und immer wieder über bestimmte Missstände im Journalismus geredet, wie z.B. die Gender Pay Gap, das Fehlen von Frauen in Führungspositionen und in bestimmten Ressorts, inadäquate Berichterstattung über Themen, die Frauen und marginalisierte Gruppen disproportional betreffen, wie Femizide und Gewalt gegen Frauen. Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung hat vieles aufgezeigt, belegt und Vorschläge gemacht, wie es anders gehen kann. Und trotzdem hat sich seitdem wenig verändert. Das macht mich wütend.

Ihr Buch versammelt „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Warum haben Sie sich für diese Form entschieden?

Es gibt viele Manifeste, aber bisher kaum feministische Medienmanifeste. Wir sind in einer Phase, in der die Genderforschung an den Universitäten etabliert ist. Aber die Verbindung hin zum Aktivismus, aus dem diese Forschung in den 70er und 80er Jahren entstanden ist, ist etwas verloren gegangen. Unsere Manifeste sollen diese Verbindung wieder herstellen. Und hoffentlich ist es auch eine Handreichung für angehende und etablierte Journalist*innen. Wir wollen nicht nur im Theoretischen bleiben, sondern sagen: Mensch, wir haben das schon so lange erforscht, es gibt da Muster und hier sind ein paar einfache Tipps, wie ihr anfangen könnt, diese aufzubrechen.

Wie denn zum Beispiel?

Das Buch beinhaltet viele Ideen. Die Perspektive bei der Protestberichterstattung verändern zum Beispiel, nicht über das Spektakel des Protests berichten, sondern über die Ungerechtigkeiten, gegen die demonstriert wird. Geschlechterstereotype aufbrechen, gerade bei Medien für Kinder und Jugendliche. Mehr über Frauen im Sport berichten – in der Sportberichterstattung gibt es wirklich arge Baustellen. Man sollte immer so berichten, dass man in den eigenen Räumen etwas bewegt.

Laut der letzten Studie von ProQuote Medien waren Anfang 2024 39,5 Prozent der Führungspositionen in Redaktionen von Frauen besetzt. Das Ziel der Kampagne ist 50 Prozent. Gibt es Medienhäuser, die sie als Vorbilder der Gleichstellung bezeichnen würden?

Im deutschsprachigen Raum auf jeden Fall die taz. Sie haben schon sehr lange eine Doppelspitze, aktuell mit zwei Journalistinnen besetzt. Aber in der Breite, da hapert das eher. Es bleibt eine Anstrengung, mehr Teilhabe zu ermöglichen – nicht nur beim Thema Gender allein, es geht auch um Intersektionalität, also Verschränkungen von Geschlecht mit Dimensionen wie Alter, Herkunft, sexuelle Orientierung oder Religion.

Warum ist das so schwierig?

Das liegt einerseits an strukturellen Barrieren und andererseits an der Führungskultur. Wir wissen, dass viele Frauen mehr Sorgearbeit übernehmen. Und im Journalismus gibt es immer noch die Idee von einer Führungskraft an der Spitze, die immer zur Verfügung steht. Das lässt sich traditionell fast immer nur von einem Mann durchführen, der keine anderen Verpflichtungen hat oder jemanden im Hintergrund, der ihm das abnimmt. Journalistinnen haben weniger Kinder, je höher sie in der Führungsebene aufsteigen. Das hängt damit zusammen, wie diese Arbeit strukturiert ist. Die Männer haben Kinder, auch auf höchster Führungsebene, die Frauen aber tendenziell nicht.

Was braucht es, um diese Bedingungen zu verbessern?

Eine gut funktionierende Kita-Struktur, wie sie in Ostdeutschland häufiger vorkommt, erleichtert es auch Journalistinnen, Vollzeit zu arbeiten – selbst mit mehreren Kindern und in Führungspositionen. Außerdem haben wir herausgefunden, dass eine Doppelspitze helfen kann, um Aufgaben aufzuteilen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Auch neue Modelle, wie Führung in Teilzeit sind eine Möglichkeit, werden aber noch selten genutzt.

Sie hatten bereits weitere Faktoren angesprochen. Die Zahlen von Pro Quote sagen noch nichts darüber aus, wie viele BPoC-Frauen darunter waren, nicht-binäre, queere, Arbeiter*innenkinder, ostdeutsche oder behinderte Menschen.

In unserer Studie zu Pro Quote Medien haben wir gezielt versucht, Menschen mit Einwanderungsgeschichte anzusprechen, aber wenige gefunden, gerade auf Leitungsebene. Wir wissen durch Studien u.a. der Neuen deutschen Medienmacher*innen, dass es da extrem dünn aussieht. In der feministischen Medienforschung wollen wir deshalb weg von der einachsigen Forschung. Geschlecht hängt immer mit anderen Faktoren zusammen, z.B. in Deutschland mit der Herkunft oder damit, ob jemand in Ost- oder Westdeutschland aufgewachsen ist.

In Ihrem Buch geht es auch um Medienbesitz.

Ja, Medienhäuser liegen in der Hand von Männern. Also in Deutschland sind es vor allen Dingen westdeutsche Medienhäuser. Und in den USA sind es vor allen Dingen Männer. Es sind kaum Frauen und auch kaum Frauen of Color. In den USA gibt es feministische Nachrichtenmedien, die auch tagesaktueller berichten wie zum Beispiel The 19th News. So eine Gegenöffentlichkeit durch feministische journalistische Medien gibt es im deutschsprachigen Raum nicht. Podcasts ja, und Monatsmagazine wie Missy Magazine oder Anschläge, aber keine Online-Medien, in denen jede Woche Artikel veröffentlicht werden.

In einem Aufsatz wird Donna Allen zitiert als „eine Mutter feministischer Medien“: „Medien, die sich in männlichem Besitz befinden, beanspruchen das journalistische Ziel der ‚Objektivität’.“ Das ist ein Grundsatz, den Journalismusschüler*innen lernen. Was ist das Problem damit?

Die neueren Ansätze gehen in die Richtung, dass jede Person einen Standpunkt hat. Wir können nicht wie eine Göttin von oben alles überblicken und ein Urteil fällen, sondern wir sind geprägt durch unsere Sozialisationen. Und damit hadert der Journalismus noch etwas. Eine weitere Studie von 2004 untersucht Leitartikel in fünf führenden überregionalen deutschen Tageszeitungen. Dort kam heraus, dass diese eigentlich alle von immer denselben westdeutschen Männern geschrieben wurden. Nur 16 Prozent der leitenden Kommentator*innen waren Frauen. Ostdeutsche waren abwesend. Das zu benennen und zu zeigen, da steckt jemand dahinter mit bestimmter Herkunft, bestimmten Ideen und Haltungen, das ist wichtig. Das hat sich aber schon gebessert.

Laut einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung von 2024 werden Gewalttaten gegen Frauen in deutschen Medien immer noch hauptsächlich als isolierte Einzeltaten behandelt, strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten werden nur selten thematisiert. Welchen Anteil haben Medienhäuser und Journalist*innen daran?

Bei der Darstellung von Gewalt gegen Frauen in Zeitungen und Zeitschriften werden immer wieder bestimmte Frames bedient und es wird nicht genügend darauf aufmerksam gemacht, dass das ein strukturelles Problem ist. Das sind keine Einzelfälle, keine „Familientragödien“. Das ist auch wieder etwas, das einem so die Wut in den Bauch treibt, weil das so bekannt ist und auch so gut erforscht und belegt und sich trotzdem so wenig ändert. Das liegt teilweise an Medienlogiken, nach denen bestimmte Ereignisse als newsworthy gelten und andere eben nicht. Und daran, dass viele Belange, die Frauen übermäßig betreffen, nicht so sehr als berichtenswert angesehen werden. Das ist leider ein sehr altes Muster.

Was können Medien hier besser machen?

Im Zusammenhang von Einzelfällen können Journalist*innen auf Strukturen und Statistiken verweisen. Man kann mit Expert*innen sprechen, die in Frauenhäusern oder Beratungsstellen arbeiten oder mit Medienwissenschaftler*innen und Soziolog*innen, die das erforscht haben. Sie können ein Geschehen als gesellschaftliches Problem einordnen, das potenziell sehr viele Menschen betrifft.

Die #MeToo-Bewegung hat auch die Medienlandschaft erschüttert, in Deutschland gab es mit dem früheren Bild-Chef Julian Reichelt einen Skandal von Machtmissbrauch in einem der größten Medienhäuser des Landes. Wie hat sich der Journalismus durch Fälle wie diesen verändert?

Durch Initiativen wie Pro Quote Medien, die Neuen Deutschen Medienmacher*innen und auch die Aufmerksamkeit für #MeToo-Fälle wurde ein Diskursraum gewonnen. Es ist einfacher geworden, über sexuelle Belästigung und Sexismus zu sprechen und zu berichten. Das geht so schnell nicht wieder weg. In unserer Studie haben wir festgestellt, dass das in den Redaktionen zu einer inklusiveren Arbeitskultur geführt hat. Es gab weniger verbale Aussetzer und mehr Möglichkeiten für Frauen in den Redaktionssitzungen eigene Themen voranzubringen. Wenn mehr Menschen einer bestimmten marginalisierten Gruppe an einem Tisch sitzen, dann kann das die Gesprächsdynamik verändern. Auf dieser Ebene hat es schon Veränderungen gegeben – aber das ist sehr schwierig zu erforschen.

Warum? 

Weil man dafür eigentlich für jede Redaktion eine Ethnografie machen müsste, bei sehr vielen Sitzungen dabei sein müsste, um qualitativ zu schauen: Was verändert sich in der Kultur, in der Teilhabe, in der Themensetzung? Es ist sehr schwierig, Zugang zu bekommen und es ist auch sehr zeitaufwendig. Deshalb sehen wir mehr dieser sogenannten Zählstudien, die auch sehr wichtig sind.

Besonders junge Frauen und queere Menschen erfahren im Internet viel Hass. Seit Donald Trump wieder im Weißen Haus sitzt, hat der Internetkonzern Meta die Moderation von Hassnachrichten eingeschränkt. Sollten wir uns alle wieder abmelden?

Es gibt diese Spannung. Einerseits setzt es der Beruf voraus, in sozialen Netzwerken aktiv zu sein, anderseits gibt es wenig Unterstützung, wenn dort etwas Schlimmes passiert. Das gilt besonders für freie Journalist*innen. Aber auch in den Redaktionen selbst gibt es dazu wenig Anleitungen. Auf struktureller Ebene wäre es wichtig, über europäische Äquivalente nachzudenken, da müsste es eigentlich eine Art öffentlich-rechtliche Lösung geben. Individuell gedacht könnte es eine Lösung sein, auf andere Netzwerke umzuziehen wie Mastodon oder Bluesky. Und wir müssen die Redaktionen in die Pflicht nehmen. Man möchte natürlich für sein eigenes Handwerk klappern, aber über redaktionelle Accounts lässt sich Sichtbarkeit herstellen, ohne Angriffsflächen, die einzelne Journalist*innen treffen könnten, zu bieten.

Im Buch fordern Sie Ihre Leser*innen auf, anzuerkennen, dass Gender nicht binär ist. Sie schlagen im Englischen Formulierungen vor wie ‚man journalist‘, ‚woman editor‘ oder ‚non-binary photographer‘. Im Deutschen ist das ganz leicht umsetzbar mit Journalist, Redakteurin oder Fotograf*in. Angesichts des Widerstands gegen „Gendersprache“ in Deutschland – wie sollten feministische Medienschaffende damit umgehen?

Sprache ist relativ frei, das ist das Schöne daran. Sie ist flexibel und ändert sich immer. Jede Generation hat ihr eigenes Spracherlebnis, Sprachrepertoire. Deswegen würde ich – wenn es keine Vorgabe von Redaktionen oder Auftraggeber*innen gibt – immer dafür plädieren, die Sprache so zu nutzen, wie mensch möchte. Also immer klarzumachen, wenn es relevant ist, um wen geht es hier? Gender besteht aus vielen verschiedenen Formationen. Und wir wollen alle mit einbeziehen. Sprache zu verbieten, das ist immer ein Alarmzeichen.


Studie von Christina Fleischanderl, aus der Open Access Fachzeitschrift Journalistik/Journalism Research: https://journalistik.online/ausgabe-2024/gewalt-gegen-frauen-eine-konstruktive-annaeherung/

„Viel Wille, kein Weg – Diversität im deutschen Journalismus“, Bericht zu Diversität im Journalismus der Neuen deutschen Medienmacher*innen: https://neuemedienmacher.de/positionen/beitrag/diversity-im-journalismus-bericht/

„The ‚ProQuote‘ initiative: women journalists in Germany push to revolutionize newsroom leadership“, Studie von Stine Eckert und Karin Assmann: https://kurzlinks.de/ProQuoteInitiative

„Ost- und westdeutsche Journalistinnen in Leitungspositionen: Zur Wahrnehmung von Arbeitssituationen und beruflichen Praktiken“, Studie von Stine Eckert und Karin Assmann: https://kurzlinks.de/doi-org

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