Meinung
„Und am Ende wird die Hütte brennen“, warnte Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in einem Interview Ende April. „Wir sollten uns nicht einschüchtern lassen“, sagte er mit Blick auf Medien, die sich „im verzweifelten Bemühen, der Hetze entgegenzutreten“ mit den „Positionen der Rechtsextremen gemein“ machten.
Migrationsfeindliche Narrative werden schon seit langem medial verbreitet und haben sich in den Köpfen festgesetzt. Bereits 1972 stellte Manuel Delgado in einer ersten systematischen Inhaltsanalyse „Die Gastarbeiter in der Presse“ fest, dass überproportional häufig über Kriminalität und die Nationalität der Verdächtigen berichtet wird. Vor allem Männer erscheinen als bedrohlich: Nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 dominierte das Bild des „Terroristen“ aus arabischen Ländern. Junge Männer aus dem Maghreb gerieten in der Silvesternacht 2015/16 wegen sexueller Übergriffe unter Generalverdacht und nun wird das Bild des „Messerstechers“ immer wieder mit einer nichtdeutschen Nationalität verknüpft.
Die Kölner Silvesternacht markierte einen Wendepunkt in der Kriminalitätsberichterstattung, denn Medien ließen sich in rassistische Deutungsrahmen pressen – nicht nur durch Hetze in Social Media, sondern auch von Verlautbarungen aus Politik und Polizei. Um Redaktionen vor dem Vorwurf mangelnder Transparenz zu schützen, änderte der Presserat 2017 seine Antidiskriminierungsrichtlinie. Während bei Herkunftsnennung bisher ein Sachbezug zur Tat vorliegen musste, reicht jetzt ein „öffentliches Interesse“. Die Folge: Die Nationalität von Tatverdächtigen wird immer häufiger genannt, wie der Medienforscher Thomas Hestermann in einer Studie feststellte: Sie tauchte 2017 in jedem sechsten und 2019 schon in jedem dritten Beitrag auf.
Wie die Medien haben auch die Polizeipressestellen als wichtigste Quelle für Kriminalitätsmeldungen ihre Richtlinien angepasst. So möchte die „zur Neutralität verpflichtete Polizei des Landes Brandenburg“ sich keiner Kritik aussetzen, „dass sie Informationen relevanter Art vor der Öffentlichkeit zurückhalten würde“. Auch bei Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl wird eine ausländische Herkunft des Täters fast viermal häufiger genannt als eine deutsche, stellte „Übermedien“ nach einer Auswertung von Polizeimeldungen zwischen 2017 und 2023 fest. Die Begründung der Polizei: „Die Sichtweisen auf bestimmte Kriminalitätsphänomene haben sich in der Öffentlichkeit verändert.“ Und das hängt wiederum mit der verzerrten Wahrnehmung wegen der Medienberichterstattung zusammen. Nach einer Analyse des Blogs „Volksverpetzer“ im Februar 2025 beherrschen Attentate von Menschen mit Migrationsgeschichte die Schlagzeilen, von Deutschen verübte Messerangriffe verschwinden in der Informationsflut. Dabei waren Nichtdeutsche nach der Polizeistatistik 2023 in etwa einem Drittel aller Gewaltdelikte tatverdächtig, wurden aber in über 80 Prozent der Berichte als mutmaßliche Täter*innen genannt.
Die Migrationsdebatte ist populistisch
Die populistische Migrationsdebatte verschärft sich und auch demokratische Politiker*innen folgen rechtsextremen Narrativen. Wenn ein Asylbewerber eine Gewalttat verübt, wird immer eine unkontrollierte Migration verantwortlich gemacht und Politiker*innen versprechen schnelles Handeln – vorzugsweise durch schnellere Abschiebungen. Wie 2024, als ein Geflüchteter aus Syrien, der nach Bulgarien abgeschoben werden sollte, auf dem Stadtfest in Solingen drei Menschen erstach und weitere verletze. NRW-Ministerpräsident Wüst (CDU) sprach von „Schlupflöchern im Asylsystem“, die ausgenutzt würden von „fachkundig beratenen Leuten“. Das erinnert an „Anti-Abschiebe-Industrie“, das „Unwort des Jahres“ 2018. Die Fokussierung auf Abschiebung als Lösung aller Sicherheitsprobleme ist fatal. Denn die Ursachen für die Anschläge sind vielfältig, nur eines ist sicher: Gewalttaten hängen nicht mit der Herkunft zusammen! Schon eher mit dem Geschlecht: 82 Prozent aller Verurteilten sind Männer, nur 18 Prozent Frauen. Wir dürfen Kriminalität nicht immer in den Migrationsframe pressen, sondern müssen das Thema in neue Bedeutungsrahmen einordnen.