Millionen-Klage gegen Redakteure und die SZ

Justitia am Portal Amtsgericht Berlin Neukölln. Foto: Hermann Haubrich

„Ein Frontalangriff auf die Pressefreiheit!“, ein erheblicher “Einschüchterungseffekt, der laut dem Bundesverfassungsgericht nicht passieren darf!“. So klassifiziert Martin Schippan das, was Hannes Kuhn vor etwa einem halben Jahr getan hat: Der Ex-Solarmanager hat zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung und die SZ selbst auf etwa 78 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Nachwehen einer Megapleite. Am 8. Februar gab es vor der 16. Zivilkammer des Nürnberg-Fürther Landgerichts eine Güteverhandlung. Einigung war danach nicht in Sicht.

Doch Schippan, Anwalt der Süddeutschen von Lausen Rechtsanwälte, hatte sich so etwas wie das letzte Wort ausbedungen: „Wenn das Schule macht, dass ein wohlhabender Kläger mit einer undurchsichtigen, widersprüchlichen, unvollständigen Klage Journalisten mit einer solchen Forderung überzieht, ist das nicht nur ehrenrührig und völlig aberwitzig: Das ist Einschüchterung“, mahnte er.

Zum Sachverhalt: Am 25. Juli 2013, also viereinhalb Jahre zurück, hatten die beiden Wirtschaftsredakteure Uwe Ritzer und Markus Balzer einen kritischen Beitrag zu „maßgeblich krummen Geschäften“ des Unternehmers Hannes Kuhn veröffentlicht. Dieser hatte in den 1990er Jahren die Erlanger Solar Millennium AG (SM) mitgegründet und war Großaktionär, zuletzt Aufsichtsrat. 2011 meldete das Solarunternehmen Insolvenz an. Schon vorher hatte es Spekulationen um Insiderhandel mit Aktien gegeben. Doch 2013 hatten Ritzer und Balser dafür wohl Belege aufgetan.

Vor der Güteverhandlung im Nürnberger Gerichtssaal: Kläger Hannes Kuhn, Ex-Gründer von Solar Millennium (2.v.l.), und sein Anwalt Winfried Seifert (l.), hinten die beiden SZ-Journalisten Uwe Ritzer (2.v.r.) und Markus Balser (3.v.r.) mit ihren Anwälten
Foto: Heinz Wraneschitz

Zeitgleich witterte Kuhn 2013, lange nach dem Insolvenzantrag, offenbar die Chance, doch noch Teile des Unternehmens zu verkaufen und die Technologie – Parabolrinnen-Solarkraftwerke, die aus Wärme Strom produzieren – in fernen Ländern wie Indonesien zum Laufen zu bringen. Glaubt man dem Ex-Manager, der im feinen Zwirn vor Gericht erschien, war allein der SZ-Artikel schuld, dass „die Geschäftsbeziehungen mit der Investorengruppe abgebrochen wurden, sich in Luft aufgelöst haben“, wie Richterin Marion Bieber die Klageschrift zitiert.

„Eine Anklage wegen 9.000fachem Anlagebetrug hat die Investoren nicht gestört, aber ein Zeitungstext? Der Artikel hat nichts mehr geändert“, sind dagegen die beklagten Redakteure und ihre Anwälte sicher. Sie hätten saubere journalistische Arbeit geleistet. Sprich: sie haben dem Kläger Fragen zum Sachverhalt geschickt, sogar mit konkretem Bezug zu einzelnen firmeninternen Unterlagen. Doch der habe darauf inhaltlich nicht geantwortet. Offenbar hatte damals auch Kuhns Wirtschaftsanwalt Winfried Seibert den Sinn der Fragen nicht erkannt.

Im Gerichtssaal 272 warf Kläger Kuhn nun mit Firmennamen, Vertragsentwürfen, Besprechungsterminen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Kontaktpersonen nur so um sich. Das wurde selbst der Richterin zu viel; zumal viele Papiere in der Klageschrift auf Englisch verfasst sind. Kuhn versprach, das Material von zugelassenen Dolmetschern übersetzen zu lassen. „Dafür hätten Sie Jahre Zeit gehabt“, lehnt die Vorsitzende ab. Die „Verschwörungstheorien“ in Kuhns Schriftsatz bezeichnet sie als überflüssig. Doch Anwalt Seifert beharrt auf dem Klageantrag gegen die zwei Redakteure und die Süddeutsche Zeitung GmbH. So hätten „die ausgewiesenen Wirtschaftsjournalisten Balser und Ritzer damals entweder die ihnen vorliegenden Dokumente nicht verstanden, oder bewusst Falsches geschrieben. Die SZ hat Hannes Kuhn kaputtgemacht.“

Die Zivilkammer will bis zum Sommer einen Zeitplan aufstellen. Zunächst soll der Schweizer Geschäftspartner befragt werden, dem Kuhn einen unterschriftsreifen Vertrag vorgelegt haben will.

Für die Verklagten sind die Vorwürfe dagegen „nur auf Hörensagen und Vermutungen begründet. Ich bitte Sie: Bereiten Sie diesem Frontalangriff auf die Pressefreiheit schnellstmöglich ein Ende“, forderte Süddeutsche-Anwalt Schippan vom Gericht die Zurückweisung der Klage.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Negativrekord der Pressefreiheit

Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende. Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie. Das sind so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht.
mehr »

Medienhäuser müssen Journalisten schützen

„Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland zunehmend bedroht”, kritisiert die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Die dju in ver.di verzeichne mit großer Sorge eine wachsende Anzahl der Angriffe, die die Gewerkschaft für Medienschaffende in einem internen Monitoring festhält.
mehr »

Beitragsanpassung unter der Inflationsrate

Seit die aktuelle Empfehlung der KEF zur Beitragsanpassung vorliegt, gibt es mehrere Ministerpräsidenten, die eine Zustimmung zu einer Erhöhung kategorisch ausschließen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren bereits geurteilt, dass sich ein Bundesland dem Vorschlag der KEF im bislang gültigen Verfahren nicht einfach so widersetzen darf. M sprach mit dem KEF-Vorsitzenden Prof. Dr. Martin Detzel über die aktuelle Debatte um die Rundfunkfinanzierung.
mehr »

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »