Tarifrecht mit Füßen getreten

Griechenland: Journalisten kämpfen für ihre Medien und ihren Arbeitslohn

„Unsere heutige Versammlung bedeutet das Ende der Illusion“, dass das Unwetter vielleicht an den Medien vorbeiziehen könnte oder wenigstens nicht den eigenen Laden treffen würde, konstatierte ein Kollege im vollbesetzten Saal zur außerordentlichen Mitgliederversammlung der größten Journalistenvereinigung Griechenlands, ESIEA, am 24. Januar in Athen. Doch die trotz oder gerade wegen aller „Rettungsversuche“ wachsende Wirtschaftskrise des EU-Randstaates hat längst auch die Informationsbranche getroffen.

Fünf Tageszeitungen, ein Fernsehsender und eine Großdruckerei stehen in Konkursverfahren oder haben bereits dicht gemacht, fast überall wurden unter Androhung der Schließung Löhne gesenkt und Mitarbeiter entlassen. „Die Branche durchläuft eine Krise ohne Ende oder Schutzwall“, erklärte der Vorsitzende der ESIEA. „Vor dem Hintergrund der katastrophalen Ergebnisse der Sparmaßnahmenpolitik, die die Wirtschaft in einen nie erlebten Schrumpfungsprozess, in die Zerstörung ihrer Produktionsbasis, in eine explodierende Arbeitslosigkeit geführt hat“, so Dimitris Trimis, „erleben wir einen unvergleichlichen Angriff auf die Erwerbstätigkeit, bei dem die Gläubigertroika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank, die Regierung und die Arbeitgeber gemeinsam an der Abschaffung des Mindestlohns, der Zerschlagung des Tarifrechts arbeiten.“
Vieles davon ist für eine große Zahl von Medienarbeitern bereits Realität. Anstatt den ausgelaufenen Tarifvertrag zu erneuern, böten die Unternehmer allerorts nur noch Individualverträge mit mindestens 20prozentiger Lohnsenkung an, erläutert Dimitris Trimis. „Leider hat ihre Erpressungsstrategie Erfolg“, meint der ESIEA-Vorsitzende. „Dabei weigern sie sich zu sehen, dass auch sie als Verlierer aus diesem Massaker hervorgehen werden, dessen größtes Opfer die achtbare, ernsthafte und zuverlässige Information der Bürger ist – die gerade in Zeiten wie heute glaubwürdige Medien benötigen.“

Sender und Fernsehzeitschrift vor dem Aus

Um die aber geht es den tausenden Journalisten in Griechenland, die oft zu prekären Arbeitsbedingungen ihre Berufsehre hoch halten. Eine von ihnen ist Anneta Kavadia, die seit vielen Jahren in immer wieder erneuerten befristeten Verträgen für das staatliche Fernsehen arbeitet. Seit drei Monaten wehrt sie sich zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen gegen massive Umbaupläne im öffentlichen Rundfunk und Fernsehen, ERT. Danach sollen einer der drei Fernsehsender, zahlreiche regionale Rundfunkkanäle und die älteste Fernsehzeitschrift des Landes eingestellt werden. Verbleibende Mitarbeiter will man als öffentliche Angestellte weiterbeschäftigen. Was sich für Außenstehende vielleicht erst einmal positiv anhört, wird von den Journalisten und Redakteuren beim ERT mehrheitlich abgelehnt. Das neue System sieht hierarchisierte Strukturen mit der Gefahr der verstärkten Einflussnahme auf die bisher noch recht frei über Inhalte bestimmenden Medienmacher vor. „Journalisten können auch nicht mit festen Dienstzeiten von acht bis vier arbeiten“, meint Anneta. Auch bei den Lohneinbußen sei man am Ende des Erträglichen angelangt. „Seit 2009 hat man uns die Einkommen bereits um 35 Prozent gekürzt, mit der Übernahme in den öffentlichen Dienst wären weitere Verluste fällig“, erläutert die erfahrene Redakteurin aus dem Ressort Politik, deren Vertrag seit kurzem abgelaufen ist. Von den insgesamt 171 mit befristeten Verträgen Arbeitenden sollen jetzt nur noch 63 weiterbeschäftigt werden. Trotz zahlreicher Arbeitsniederlegungen und Streiks in den vergangenen drei Monaten haben sie und ihre Kollegen gegen die „Reformpläne“ nicht viel erreichen können. Das Zugeständnis, statt des im öffentlichen Dienst mittlerweile geltenden Einheitslohns sollten die Ministerien für Finanzen und Massenmedien über die Lohnhöhe entscheiden, sieht sie kritisch. „Das ist eine Falle, die Gewerkschaften sollen nur noch angehört werden.“ Sie fordert die Aufrechterhaltung des geltenden Tarifrechts, das die Gewerkschaften als Verhandlungspartner vorschreibt.

Gewerkschaften fest an der Seite der Streikenden

Trotz so mancher struktureller Probleme spielen die Mediengewerkschaften eine wichtige Rolle in fast allen derzeit in der Branche laufenden Arbeitskämpfen. Vielerorts mussten sich die Streikenden dabei gegen die Forderung der Unternehmerseite wehren, nur mit Belegschaftsvertretern verhandeln zu wollen. Das Komitee beim Athener Fernsehsender ALTER setzt sich aus je einem Vertreter der beim Sender arbeitenden Journalisten, Techniker und Verwaltungsangestellten, sowie drei Vertretern ihrer jeweiligen Branchengewerkschaft zusammen. Bei ALTER wird einer der härtesten Arbeitskämpfe in der Medienbranche geführt. „Die Probleme begannen bereits im April 2010, mit Eintritt der Wirtschaftskrise“, erläutert Giorgos Filippakis, der für die ESIEA im Komitee sitzt. Damals fingen die Eigner des Kanals an, die Löhne nur noch unregelmäßig zu zahlen, was im November und Dezember des Jahres zu ersten Arbeitsniederlegungen und Streiks führte. Ab Januar 2011 bis zum Mai wurde gar nicht mehr bezahlt. Erst als sich die Belegschaft im April und Mai mit dem gesetzlichen Mittel der Retention (siehe Kasten) wehrte, lenkte die Unternehmensleitung ein, bezahlte einen Teil der ausstehenden Löhne und versprach den Rest in Raten über die kommenden Monate. „Das Versprechen wurde jedoch gebrochen“, sagt Filippakis. „Nachdem im Juni und Juli die Löhne bezahlt worden waren, kam nichts mehr. Auch kein Weihnachtsgeld.“ Seit dem 10. November ist man erneut in Retention, wobei die Belegschaft den Sender hält, über den täglich die Bekanntmachungen der um Löhne und Arbeitsplätze Kämpfenden über den Bildschirm gehen. Fünf Ausschüsse wurden gebildet, die sich um den Schutz des Gebäudes, die Organisation und Verteilung von Lebensmittelhilfe, die medizinische Versorgung und die Betreuung des Internetblogs der ALTERisten kümmern. Die Onlinejournalisten haben teilweise seit über einem Jahr keinen Lohn bekommen.
Erst vor wenigen Tagen erhielt man ein erstes Angebot der Eigner: Wenn wieder gearbeitet würde, wäre man bereit, die Schulden mit hohen Abschlägen zu begleichen. Freiwillig Aussteigende sollten auf 30, Bleibende auf 60 und bereits Ausgestiegene auf 90 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Ein klarer Affront, lautete die einhellige Meinung auf der Versammlung der etwa 660 Mitarbeiter beim Sender, die ihre Vertreter gleichzeitig beauftragten, weiterhin an der Aufnahme ernsthafter Verhandlungen über eine Lösung zu arbeiten. „Die Eigentümer haben das nötige Geld, um unsere Forderungen zu erfüllen“, sagt Filippakis im Gespräch mit der M. „Sie weisen ihre Medienunternehmen als verlustbringend aus, haben aber mit ihrer Hilfe über Jahre hinweg Vermögen angehäuft.“

Unbezahlte Arbeit darf nicht legitimiert werden

Panos Sokos, Vertreter der Journalisten im Streikkomitee der Tageszeitung Eleftherotypia, mit einer Streikzeitung. Foto: Spyros Tsakiris
Panos Sokos, Vertreter der Journalisten im Streikkomitee der Tageszeitung Eleftherotypia, mit einer Streikzeitung.
Foto: Spyros Tsakiris

Auch bei der zweitgrößten griechischen Tageszeitung Eleftherotypia wurden seit August letzten Jahres die Löhne nicht mehr bezahlt. Nach anfänglich großer Geduld mit der Unternehmensleitung stehen die etwa 850 Mitarbeiter des linksliberalen Traditionsblattes deswegen seit Ende letzten Jahres im Dauerstreik. Monatelang hatte man aus journalistischem Verantwortungsgefühl unbezahlt weitergemacht, aber damit ist nun Schluss. „Unbezahlte Arbeit darf auf Dauer nicht legitimiert werden“, meint Panos Sokos, Vertreter der Journalisten im Streikkomitee der Eleftherotypia. „Die Zeitung wird nur dann wieder erscheinen, wenn wir – wenigstens einen Teil – der uns geschuldeten Gelder erhalten.“ Es ist die Solidarität von Kollegen und Freunden, die einen am Leben erhält, sagt Georgia Dama, seit 1992 Journalistin bei der Eleftherotypia. Geld hat sie längst nicht mehr, um auch nur eine der auferlegten Sondersteuern, die Stromrechnung oder die Fahrkarte für den Bus zu zahlen. „Trotzdem geht es mir gut“, meint sie und zeigt lachend auf ihren Schrank, in dem diverse Päckchen Kaffee neben verschiedenen Sorten Reis stehen. „Alles von Freunden mitgebracht, sogar für das Futter für den Kater sorgen sie.“ Unzählige Titelgeschichten hat die mehrfach ausgezeichnete Journalistin geschrieben, war für ihre Zeitung an Kriegsschauplätzen und in Katastrophengebieten. Früher habe man ihr mehrfach Abwerbeangebote gemacht. Heute aber blieben ihr die Türen der Unternehmen, die sie damals haben wollten, verschlossen. „Wo immer ich anfrage, sagt man mir, du bist doch bekannt, du findest sicher leicht was, aber wir entlassen gerade.“ Um die Vielfalt der Medienlandschaft zu retten, brauche es die Unterstützung der Politik, meint Georgia. „Information ist keine Ware wie jede andere, von ihr hängt die Demokratie ab.


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