Ausgeklügelte Methoden zur Profilerfassung im Internet
Zum Beispiel Facebook. Das weltweit größte soziale Netzwerk übertrug Passwörter seiner Nutzer über einen längeren Zeitraum unverschlüsselt im Internet. Der fahrlässige Umgang mit den Zugangsdaten zu Skype, Instant Messenger- oder E-Mail-Diensten verschaffte kriminellen und anderen Organisationen Einblicke in den E-Mail-Account der Facebook-Klientel.
Der vom ARD-Magazin „Monitor“ Mitte Mai enthüllte Skandal belegt einmal mehr den problematischen Umgang mit personenbezogenen Daten im digitalen Zeitalter. Dass die Nutzer – gerade in sozialen Netzwerken – mit ihrem häufig allzu freizügigen Kommunikationsverhalten solche Tendenzen erleichtern, macht die Sache nicht besser.
Die vorliegende aus journalistischer Sicht verfasste Untersuchung „Datenschatten“ zeigt, wie sich die sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse angesichts der ungeheuren Menge kursierender digitaler Daten und immer ausgeklügelteren Überwachungsmethoden verändern. Gelegentlich, etwa wenn ein christdemokratischer Innenminister in seinem überzogenen Anti-Terror-Wahn den Einsatz von „Nackt-Scannern“ an Flughäfen erwägt, blitzt auch in der Öffentlichkeit die offenbar grenzenlose Überwachungswut des „wehrhaften“ Staates auf. Die Auseinandersetzung um die so genannte Vorratsdatenspeicherung zeigt immerhin, dass das Problembewusstsein der Bevölkerung in solchen Fragen wächst.
Die unfreiwillige, unmerkliche Durchleuchtung der Bürger im Alltag, ihre Überwachung durch Kameras, durch Scannen und Auswertung ihrer Kundendaten, durch Anlegen von Nutzerprofilen in sozialen Netzwerken und viele andere Techniken mehr gerät darüber leicht aus dem Blickfeld.
Die Studie beschreibt die historische Entstehung des „Datenschattens“, die Überwachung am Arbeitsplatz, die „Umrisse eines (Sozial-)Staats, der seine verstreuten Wissensbestände vernetzt und zur Kontrolle der Bevölkerung einsetzt. Sie untersucht Einsatz und Wirkung solcher Kontrolltechniken im Gesundheitswesen und in den Sicherheitsbehörden. Selbst der engere Privatbereich bleibt nicht verschont: als Prototyp gilt der eifersüchtige Facebook-Nutzer, der sich über die neuen Online-„Freunde“ seiner Ex-Partnerin ärgert. In den USA kursiert bereits ein spezieller Terminus für die private, nicht selten beziehungsgefährdende Online-Spionage: „Facebook-creeping“, zu deutsch etwa „Facebook-Schnüffelei“. Am bedenklichsten erscheint die im Kapitel „Durchleuchtete Kunden“ analysierte Strategie der Konsumindustrie, mittels raffinierter „Webtracking“- Methoden die Klickpfade der Nutzer zwecks Ermittlung ihrer Profile minutiös nach zu verfolgen. In den personalisierten digitalen Medien erfülle sich ein Traum der Werbeleute: minimale Streuverluste bei maximaler Transparenz der Kundschaft. Wer diesen Band studiert, wird möglicherweise animiert, künftig einen schmaleren Datenschatten zu werfen.
Matthias Becker
Datenschatten.
Auf dem Weg in die Überwachungsgesellschaft?
Heise Verlag
Hannover 2010
172 Seiten
16,90 Euro