„Mir fehlt die Hubschrauberperspektive im Journalismus“, so Dietrich Krauß, Redakteur der ZDF-Sendung „Die Anstalt“, jüngst beim Forum Weitblick in Berlin. In engagierten Diskussionen wurden innovative Ansätze für die Berichterstattung über Nachhaltigkeit ausgelotet – angefangen bei konstruktivem Journalismus, der Lösungen zum Problem bietet, bis zu grundsätzlicher Kritik an ökonomischen Rahmungen der Berichte, die das neoliberale System stützen.
Eingeladen hatte das Netzwerk Weitblick. Vereinsvorsitzende Susanne Bergius: „Wir sind kein Verein der Nachhaltigkeitsjournalisten, sondern wir wenden uns an alle Journalisten, denn Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema.“ ZEIT-Autor Maximilian Probst forderte in seinem Impulsvortrag dann auch, Klima, Umwelt, Nachhaltigkeit häufiger und differenzierter in allen Ressorts zu thematisieren. Mangelndes Interesse resultiere vor allem daraus, dass zu wenig berichtet werde. So habe es innerhalb von zwei Jahren in Talkshows nur eine Sendung zum Thema Klima gegeben, aber jede zweite befasste sich mit dem „Islam-Terror-AfD-Komplex“. „Wenn wir die Klimakrise lösen, hätten wir auch die Antwort auf alle anderen Krisen – der Demokratie, der Medien, die auch eine des Wissens ist.“ Er hoffe, „wenn wir immerzu über das Thema reden, dann kommt auch die Politik nicht umhin, zu handeln.“
Wie das Thema Nachhaltigkeit in die Medien und in die Köpfe der Menschen kommen kann, diskutierte ein Podium aus Journalismus und Politik, moderiert von Ex-Brüssel-Korrespondent Rolf-Dieter Krause. Laut Juliane Wellisch, Chefin vom Dienst Journal bei t-online, ist es „eine Herausforderung, das Thema in Ratgebern und Nachrichten zu platzieren“. Man müsse globale Themen in den Alltag der Menschen holen, etwa die schwindende Zahl von Singvögeln im Garten mit Insektensterben und Klimawandel in Verbindung bringen. Die Headline müsse zudem „knackig und sexy“, das Grundproblem in fünf Sekunden erfassbar sein, damit die Info auch mit Freunden geteilt werde. So wurde „Gift im Bier“ etwa zum Aufhänger für das Thema Glyphosat.
Konstruktiv berichten und neoliberales Framing aufbrechen
Claudia Plaß, Redakteurin bei NDR-Info, bringt Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung in der Reportage-Reihe „Perspektiven“ unter, indem sie etwa Initiativen vorstellt, die sich für Umwelt oder medizinische Versorgung auf dem Lande engagieren. Dabei liegt der Fokus auf Lösungsansätzen. So würden im Gespräch mit einem konventionellen Schweinemäster z. B. Probleme der Verseuchung von Grundwasser, aber auch Alternativen der Landwirtschaft thematisiert und Hintergrundinfos geliefert. Dieser „Doppelschlag“ aus Problem und Lösung firmiert als „konstruktiver Journalismus“, der das „ganze Bild“ zeigt. Das will auch Carel Mohn, der mit zwei „Spezialmedien“ einen „informierten Diskurs“ anstößt: dem Portal Klimafakten.de und dem Programm Clean Energy Wire, das z.B. ausländischen Journalist_innen den deutschen Kohleausstieg bei einer Reise durch Nordrhein-Westfalen nahe bringe.
Nach Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), reicht das nicht. Zentrales Problem des Nachhaltigkeitsdiskurses sei das „dominante Narrativ vom guten Leben“ im Sinne von „mehr haben und sich weniger anstrengen“. Am Beispiel „Veggieday“ erläuterte sie, was ein Beitrag beinhalten sollte. Zunächst gelte es, zu erläutern, dass mit dem Veggieday der Fleischkonsum reduziert werden und durch das vegetarische Kantinenessen zu nachhaltigerer Ernährung ermuntert werden solle. Dann soll die „lange Sicht“ thematisiert werden: Klima und Umwelt schützen und gleichzeitig gut leben „ohne jeden Tag ein Steak in die Pfanne zu hauen“. Last not least werde die „Macht des Status quo“ geknackt, indem gefragt wird, warum wir weiter ein Leben führen, das die Grundlagen der Menschheit vernichtet. Eine solche Berichterstattung gelinge nur, wenn das neoliberale ökonomische Framing der Beiträge in Frage gestellt wird. Zum Beispiel das Thema Schutz der Ozeane. Oft wird es in den Kontext der „blue economy“ eingeordnet, die Umweltprobleme mit marktwirtschaftlichen Mitteln lösen will. Es gehe aber um den „Erhalt einer Lebensressource für die Menschheit“, die nur durch Gemeinwohlorientierung zu sichern sei.
Als eine Studentin in der Publikumsdiskussion kritisierte, dass immer der „kleine Mann“ zum Handeln aufgefordert werde anstatt Druck auf die Wirtschaft auszuüben, meinte Göpel, wir befänden uns in einer „Paralyse durch den neoliberal konnotierten Freiheitsbegriff“, der Bürger_innen auf Konsument_innen reduziere. Es sei eine „Freiheit des Einkaufskorbs“ und Medien müssten verdeutlichen, „wer davon profitiert“. Aufgabe von Politik sei es, „gutes Leben einfacher zu machen“. Göpel forderte mehr gemeinwohlorientierte Utopien und kollektive Lösungen – in Politik und Medienberichten.
Mit Haltung, Stringenz, Emotionen, Dichte und Klarheit beim Publikum punkten
Aus dem Publikum regte ein Journalist die schonungslose Evaluierung der Berichterstattung an, insbesondere zur Verwendung von Begriffen. Bei den Diskutierenden stieß er auf Zustimmung damit, dass die Wortwahl – „Klimawandel“ oder „Klimaverschlechterung“ – enorm wichtig sei und Medien als „vierte Gewalt“ Deutungsmacht und Verantwortung hätten. Von Journalist_innen wird deshalb auch mehr Stringenz und Haltung erwartet: „Es passt nicht zusammen, wenn in einem Kommentar der Bau von mehr Straßen und Schulen gefordert wird und gleichzeitig die Senkung von Steuern“, monierte ein weiterer Journalist. Ein Filmemacher kritisierte, dass Medienschaffende „Teil des konsumistischen Denkens“ seien. Mit Verweis auf das emanzipatorische Mobile-Reporting-Projekt „Youth4Planet“ mit Jugendlichen regte er an, „den Journalismus in die Hand der Menschen selber zu geben“. Dem „Trend, jetzt schreiben wir alle unsere Texte selber“ widersprach Maja Göpel: „Man darf die öffentliche Funktion des Informationsaustausches nicht aufgeben, sondern sollte sie lieber modifizieren.“
In anschließenden Arbeitsgruppen wurde an Beispielen vertieft, wie eine qualifizierte und wirkungsmächtige Berichterstattung über Umwelt und Nachhaltigkeit aussehen kann. Das erläuterte ZDF-Redakteur Dietrich Krauß, dem die „Hubschrauberperspektive im Journalismus“ fehlt, am Beispiel einer „Anstalt“-Sendung zur Klimakrise. Anknüpfend an die populäre Serie “Raumschiff Enterprise“ wurden zentrale Probleme der Klimakrise wie Emissionshandel in „Erzählgefäße“ gegossen. Vorteil des Mehr-Personen-Kabaretts sei es, verschiedene Perspektiven herausarbeiten zu können. So schaue „Enterprise“-Besatzungsmitglied Spock, der „nur logisch denken kann“, verwundert auf das irrationale Verhalten der Menschen, die ihre Erde zerstören. „Wir machen nichts anderes als ein Politmagazin mit einem leichteren Sound“, resümierte Krauß und: „Deshalb sind die Leute eher bereit, sich das Schlimme anzuhören, denn die Klimafrage ist im Rahmen des Kapitalismus nicht zu lösen und stellt Wirtschaftswachstum und Lebensstil in Frage.“ Die Satiresendung hat durchschnittlich 2,5 Millionen Zuschauende und davon sind acht bis neun Prozent unter 49 Jahre alt, berichtete Krauß. Man könne dem Publikum durchaus viele Informationen zumuten, allerdings sei dabei Dichte und Klarheit notwendig.
Das nötige Expertenwissen und Handwerkszeug zum Thema Nachhaltigkeit liefert eine Publikationsreihe für Journalist_innen, die Susanne Bergius, Heike Janßen und Torsten Sewing vom Netzwerk Weitblick auf der Tagung vorstellten. In einem zweijährigen Projekt entwickelten sie in Schulungen mit mehr als 130 Journalist_innen die 12 Module, die jetzt veröffentlicht wurden. Sie wollen ihre Qualifizierungsinitiative fortsetzen und suchen weitere Kooperationspartner.
Zu innovativen journalistischen Ansätzen vgl. auch: https://mmm.verdi.de/beruf/nicht-nur-alarmieren-perspektive-erweitern-39915