Weil Regisseur_innen seit Jahrzehnten als die eigentlichen Schöpfer eines Filmwerks gelten, wird die Leistung der Drehbuchautor_innen hierzulande kaum wahrgenommen. Deshalb verlangen die Autor_innen in der von mittlerweile über 200 Personen unterzeichneten Resolution „Kontrakt 18“ größeren Einfluss auf Filme und Serien. Die Petition enthält unter anderem die Forderungen nach einem Mitspracherecht bei der Auswahl des Regisseurs und die Teilnahme an der Rohschnittabnahme. Das hat gerade in Regiekreisen ein lebhaftes Echo ausgelöst.
Die Aktion der Autor_innen ist eine Art Aufschrei: Sie klagen schon lange darüber, dass ihre Arbeit nicht gebührend gewürdigt werde. Kristin Derfler zum Beispiel, die „Kontrakt 18“ maßgeblich mitinitiiert hat, musste 2017 feststellen, dass aus ihrer Vorlage zum Zweiteiler „Brüder“ (SWR) gerade im zweiten Teil ein völlig anderer Film geworden war. Dennoch versichert sie, es gehe nicht darum, irgendwelche Gräben auszuheben. Allerdings hat die Debatte mittlerweile dank der öffentlichen Äußerungen verschiedener Regisseure scharfe Züge angenommen. Die Autorin vermutet, einige fühlten sich durch die Forderungen persönlich provoziert: „Für die bleiben wir die Sherpas, die lediglich das Gepäck den Berg hoch tragen.“ Dabei sei „Kontrakt 18“ doch ein Versuch, aus dem Dreieck Redaktion/ Produktion/Regie wieder ein Viereck zu machen. Auch Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön („Frau Böhm sagt nein“), eine der Erstunterzeichnerinnen, beteuert, „Kontrakt 18“ fordere bestimmte Standards der Mitsprache, die in anderen Ländern selbstverständlich seien, und sei „mitnichten eine Kampfansage an die Regie“.
Herablassend und verletzend behandelt
Genau darum scheint es jedoch im Hintergrund zu gehen. Ein Autor, der nicht genannt werden möchte, bezeichnet den Umgang mit seinesgleichen durch Redakteure, Produzenten und Regisseure als „sehr übel, sehr herablassend, sehr verletzend, sehr abschätzig“. Es fallen einige konkrete Namen, die sich allesamt im öffentlich-rechtlichen Umfeld bewegen. Trotzdem ist das Echo von ARD und ZDF auf Kontrakt zunächst positiv. Barbara Buhl, Leiterin der WDR-Programmgruppe Film, Kino und Serie, ist der Meinung, die Leistung der Autoren werde „immer noch viel zu oft nicht ausreichend geschätzt.“ NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath sagt: „Drehbücher und Autoren sind bei der Herstellung von Filmen nicht Alles, aber ohne sie ist alles Nichts.“ Heike Hempel, stellvertretende Programmdirektorin des ZDF, bezeichnet die Autoren als „unser höchstes Gut“ und verweist exemplarisch auf die Dreiteiler „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“, bei denen Annette Hess auf Augenhöhe mit Regisseur Sven Bohse zusammengearbeitet habe. Interessant werden die Aussagen, wenn das Aber folgt. Natürlich lasse sich das „Ku’damm“-Modell nicht auf alle Formate übertragen, stellt Hempel fest, und auch Buhl schränkt ein, man könne nicht alle Projekte über einen Kamm scheren. Außerdem gibt es offenbar eine Diskrepanz zwischen Ideal und Alltag. Im Idealfall, so Buhl, „haben Autoren Zeit, während der Dreharbeiten nachts Dialoge umzuschreiben oder Szenen zu kürzen“, doch tatsächlich seien sie dann meist mit neuen Aufträgen beschäftigt. Im schlimmsten Fall kommt es schon vorher zur Trennung, weil sich, so Granderath, „Differenzen über inhaltliche, künstlerische, ökonomische, zeitliche Abläufe“ ergäben: „ein von allen Seiten gefürchteter, immer unangenehmer und nie erhoffter Fall, denn dadurch entstehen Mehrkosten, Konflikte, Ärger, Zeitverluste.“
Adressat von „Kontrakt 18“ in erster Linie die Produzenten
Weil diese Mehrkosten vor allem die Produktionsfirmen betreffen, glaubt Buhl, dass sich „Kontrakt 18“ in erster Linie an die Produzenten richte. Deren Status ist heute jedoch ein ganz anderer als zu jenen Zeiten, da schillernde Persönlichkeiten gern davon schwadronierten, Film sei Krieg. Diese Haltung, sagt Benjamin Benedict („Ku’damm 56/59“), sei „das exakte Gegenteil dessen, woran ich glaube. Von meinen Produktionen waren diejenigen die gelungensten, bei denen sich Menschen mit herausragenden Kompetenzen perfekt ergänzt haben.“ Kluger Austausch sei der beste Weg, um exzellente Ergebnisse zu erzielen: „Film funktioniert nur als gemeinschaftliche Verabredung, bei der es nicht darauf ankommt, dass jemand das letzte Wort hat.“
Dieses letzte Wort spielt jedoch in vielen Debattenbeiträgen eine große Rolle. Grimme-Preisträger Miguel Alexandre („Grüße aus Kaschmir“) versichert zwar, er würde ein Drehbuch niemals gegen den Willen eines Autors umgestalten, aber jede Solidarität habe ihre Grenzen, und in seinem Fall liege sie bei der Gestaltung des Films, „denn die ist Sache des Regisseurs.“ Film sei die einzige Kunstform, die viele andere in sich vereinige, „Literatur, Schauspiel, Fotografie und Musik“, aber letztlich sei es die Montage, die den Film überhaupt erst zu einer eigenständigen Kunstform gemacht habe; „und die Person, die alle diese Elemente zu einem Werk gestaltet, ist der Regisseur.“
Aufgestaute Wut gegen Regisseure
Auch Regisseur Kilian Riedhof („Homevideo“, „Gladbeck“) schickt vorweg, die Geschichte eines Films sei „die Königin, der jedes Gewerk dienen muss.“ Bei 90 Prozent der Drehbücher habe er jedoch den Eindruck, dass den Autor_innen „im Laufe einer oft mühseligen Entwicklung der letzte Wille verloren geht, das Buch auf den Punkt zu bringen.“ Anscheinend gebe es „ein stillschweigendes Übereinkommen, dass die Regisseure ohnehin ‚ihr Ding’ machen.“ Für ihn schimmere bei „Kontrakt 18“ „eine aufgestaute Wut durch, die sich gegen Regisseure richtet.“ Deshalb tue er sich auch schwer mit dem Wunsch der Autor_innen, bei der Auswahl des Regisseurs mitsprechen zu dürfen. „Hier schwingt etwas mit, das mir nicht gefällt: ‚Ihr habt uns so lange die Drehbücher weggenommen, jetzt bestimmen wir mal, ob ihr überhaupt mit uns arbeiten dürft.“
Der dreifache Grimme-Preisträger Stephan Wagner („Der Fall Jakob von Metzler“, „Mord in Eberswalde“), Vorstandsmitglied im Bundesverband Regie (BVR), weist daraufhin, dass die Regisseure ohnehin immer gegängelt würden: „von Produzenten, die Geld sparen wollen; von Redakteuren, denen der Mut zur Vision fehlt; und von einer Autorenschaft, die oft nicht mit dem Wissen um die beste Umsetzung eines Stoffs vertraut ist.“ Einige Autoren seien sich zudem nicht im Klaren darüber, welche Konsequenzen ihre Worte für Produktion und Regie hätten. „Zugespitzt formuliert: ‚Rom brennt’ ist schnell geschrieben, aber schwer umgesetzt.“ Trotzdem sei es ihm wichtig, dass niemand die kreativen Kräfte gegeneinander ausspiele. Er fürchte jedoch, dass sich die aktuelle Diskussion am Ende kontraproduktiv auswirken werde: „Schon jetzt geht es im deutschen Fernsehen nicht um das bestmögliche Produkt, sondern um das ‚windschnittigste’. Diese Entwicklung könnte durch „Kontrakt 18“ noch intensiviert werden.“
Umbruch in der Branche von allen Seiten begrüßt
Gunther Eschke kennt beide Seiten des Geschäfts. Er ist seit zwanzig Jahren Film- und Fernsehdramaturg und fungiert als Schnittstelle zwischen Autor und Produzent. In 80 Prozent der Fälle, sagt er, laufe die Zusammenarbeit zwischen Produzent, Autor, Regie und Redaktion gut. Die Forderung der Autor_innen nach einem Mitspracherecht bei der Regievergabe hält auch er für einen Knackpunkt: „Sie ist fraglos das Resultat diverser Konflikte, die Autoren mit Regisseuren hatten.“ Die Sendervertreter habe er „fast immer als partnerschaftlich erlebt“, selbst wenn es Redakteure gebe, „die sich primär vor ihren Vorgesetzten profilieren wollen, zu stark auf eine möglichst hohe Einschaltquote ausgerichtet sind und dadurch zu Angstbeißern werden.“
Aus diesem Grund begrüßen Autoren wie Regisseure den derzeitigen Umbruch der Branche. Nach Ansicht von Schön zeigten die neuen horizontalen Serien, dass es ohne starke Autoren nicht gehe: „Eine Serie wie ‚Dark’ oder ‚Bad Banks’ braucht einen Headautor, der den Überblick behält.“ Wagner ist überzeugt, die hohen Ansprüche der „Generation Streaming“ hätten Konsequenzen „für das Verhältnis von Produktion, Buch und Regie. Es ist keine Überraschung, dass es die besten Kräfte zu den neuen Plattformen zieht.“ Natürlich sei nicht alles schlecht, was in Zusammenarbeit mit den klassischen Sendern entstanden sei, „aber die guten Ergebnisse kommen oft nicht wegen, sondern trotz der bisherigen Strukturen zustande.“