Wissenschaft mit Substanz

Geschichten mit Leidenschaft und Faktentiefe erzählen – Offenheit für Abseitiges

Die Firma heißt „Fail Better” und ist „das Projekt zweier Magazinjournalisten mit zusammen 20 Jahren Berufserfahrung” (nebst einem Netzwerk erstklassiger Mitarbeiter), verrät die Homepage. Die beiden Macher Georg Dahm und Denis Dilba kokettieren in ihrer Projektdarstellung damit, als Totengräber bei der Bestattung „einiger großartiger Redaktionen” mitgewirkt zu haben. Dahm erlebte hautnah das bittere Ende der Financial Times Deutschland, Dilba das der deutschen Ausgabe des New Scientist. Jetzt wollen sie Deutschlands „erstes digitales Wissenschaftsmagazin” auf die Beine stellen.

Georg Dahm und Denis Dilba (r.) Foto: Screenshot: Failbetter.biz
Georg Dahm und Denis Dilba (r.)
Foto: Screenshot: Failbetter.biz

Zwei Tage vor Ende der Crowdfunding-Kampagne Mitte März war das Mindestziel erreicht: 30.000 Euro, eingezahlt von 500 Unterstützern. So viele Menschen interessieren sich für das geplante digitale Magazin „Substanz”. Motto: „Wissenschaft neu erzählt”. Im konventionellen Online-Journalismus bestimmen Tagesaktualität oder Layout die Inhalte. „Substanz” bekennt sich zum Experiment. „Kein anderes Genre kann so sehr vom Digitalen profitieren wie der Wissenschaftsjournalismus”, behauptet Georg Dahm. Wo sonst könne man mit den Möglichkeiten des Tablets spielen? Geschichten per Fließtext, mit Infografiken, Multimedia-Elementen, Filmen oder Slideshows bis hin zu Comics. Um auf diese Weise das schlechte Image zu korrigieren, das Wissenschaftsjournalismus in und außerhalb von Verlagen anhaftet: Zu alt, zu trocken, zu wenig attraktiv für Werbekunden. Für Dahm und seinen Ko-Gründer Denis Dilba ist der Gegenstand per se sexy. Allerdings nicht, wenn er in Salven von Science-News auf die Leserschaft abgefeuert wird. Alle paar Wochen eine Meldung über neue Erfolge der Antikrebsforschung – das hielten die Leser nicht aus. Die „Substanz”-Gründer wollen solche Themen zwar ebenfalls aufgreifen, aber gründlicher. Ganz ohne pädagogischen Anspruch geht es nicht: „Wir wollen auch erziehen, aber auf unterhaltsame Weise”, bekennt Dilba. Zielgruppe sind nicht nur Schüler, Lehrer, Akademiker im weitesten Sinne, sondern „alle, die derzeit im Netz nach Niveau suchen”.
Nach der Rekrutierungsphase sei jetzt „der erste Schwung Geschichten in Arbeit”. Unter anderem aus den Disziplinen Luftfahrt, Astronomie, Hirnforschung, Archäologie, Teilchenphysik, Naturschutz, Toxikologie und Medizin – „Die Themenliste wächst ständig.” Auch personell stehen die Zeichen auf Expansion. Die Layout-Abteilung wurde unlängst erweitert, ein Pauschalisten-Trio an Bord geholt, „mit dem wir jetzt den Redaktionsalltag einüben”. Gesucht werden weiterhin „experimentierfreudige Autoren mit Rückgrat, Fachwissen und feinem Magazinhandwerk für große Wissenschaftsgeschichten, die mit Leidenschaft und Faktentiefe erzählt werden”. Geboten werden neben „fairen Tagessätzen, Reisespesen und Umsatzbeteiligung” auch „Offenheit für Abseitiges”. Nicht zu vergessen „Freigetränke ab dem dritten Beitrag”.
Unterstützung gab es per Existenzgründungszuschuss der Bundesagentur für Arbeit sowie der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das Geld reicht allenfalls für den Start des Online-Magazins, danach müssen Abos her. Kein leichtes Unterfangen angesichts der bekannten Schnorrermentalität im Netz. Schon die 4,50 Euro, die der New Scientist pro Woche verlangte, mochten viele junge Leser nicht berappen. Mal sehen, was für „Substanz” geht.

www.failbetter.biz

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »

Die Medienwende nach dem Mauerfall

35 Jahre nach dem Mauerfall bietet die Medienlandschaft im Osten Deutschlands ein zwiespältiges Bild. Nach wie vor verlieren die von westdeutschen Großverlagen kontrollierten ehemaligen DDR-Traditionstitel überdurchschnittlich an Auflage und Anzeigenvolumen. Der aufgelöste staatliche DDR-Rundfunk ist nach anfänglichem Hickhack erfolgreich in ARD und ZDF integriert. Gescheitert ist indes früh der Traum der Ex-Bürgerrechtler von einem „Dritten“ Medienweg.
mehr »