Darf ein Journalist Haltung zeigen? Er muss, sagt Georg Restle, Chef der „Monitor“-Redaktion. Verstößt das nicht gegen die Regeln des Handwerks? Keineswegs, sagt Restle. Mehr noch: Ohne die handwerkliche Grundlage sei die Haltung nichts wert. Restle sprach in Hamburg auf Einladung der dju in ver.di vor etwa 100 Zuhörern. Der Abend lieferte den Auftakt einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe des dju-Landesbezirks Nord zum Thema Pressefreiheit im Rahmen von „Lesen ohne Atomstrom“.
Haltung – das Wertesystem, das einen dazu bringt, eine Meinung zu entwickeln, gesellschaftlich zu handeln und Zusammenhänge einzuschätzen – lässt sich gar nicht aus der journalistischen Arbeit heraushalten, erklärte Georg Restle. Wichtig sei es jedoch, seine Haltung deutlich zu machen und nicht so zu tun, als sei man neutral. „Das berühmte Zitat von Hans-Joachim Friedrichs, ein guter Journalist solle sich mit keiner Sache gemein machen, auch keiner guten, gehört gründlich hinterfragt“, sagte Restle. „Es gibt so viele Entwicklungen in Deutschland, bei denen man nicht einfach nur hinsehen und die man nicht einfach hinnehmen darf!“
„Wer Journalismus mit Haltung betreibt, muss das handwerklich ordentlich machen“, sagt Restle, „sonst wird er angreifbar. Die Fakten müssen korrekt recherchiert und die Schlussfolgerungen müssen nachvollziehbar sein. Ohne Handwerk nützt die Haltung nichts!“
Früher sei Haltung im Fernsehjournalismus eher der Normalfall gewesen: „Klaus Bednarz, Gerd Ruge und Fritz Pleitgen haben sich nicht als neutrale Beobachter gesehen, sondern als Teilnehmer der Debatte“, sagte Restle, „und ich finde, wir sollten im öffentlichen Rundfunk wieder klar machen, dass wir Haltung haben! Wenn wir uns von Haltungen wie dem Schutz der Grundrechte oder der Ablehnung von Faschismus und Krieg schon verabschieden, läuft etwas schief!“
Nicht in die Falle gehen
Dennoch habe es in den letzten Jahrzehnten einen Trend zur Entpolitisierung der Berichterstattung gegeben, sagte Restle. Selbst innerhalb der Redaktionen gebe es keinen politischen Schlagabtausch mehr – und diese Nicht-Haltung würde mittlerweile sogar exportiert: Nathalie Wappler, die ehemalige Programmdirektorin des MDR, habe sich als neue Direktorin des Schweizer Fernsehens gleich daran gemacht, das eidgenössische Polit-Magazin „Rundschau“ so umzugestalten, dass es sich in die trügerische Rolle des „neutralen Beobachters“ zurückzieht.
Diese Rolle des neutralen Beobachters sei eine Falle, meint Restle. Dadurch würde es beispielsweise rechten Akteuren leicht gemacht, den gesellschaftlichen Diskurs zu verschieben. „Grundwerte der Demokratie werden immer mehr in Frage gestellt. Die reinen Beobachter stehen wie das Kaninchen vor der Schlange mit weit aufgerissenen Augen vor der AfD und lassen sich vorführen!“
Aber es gebe Hoffnung: So wie es eine Repolitisierung der Gesellschaft gibt – als Beispiele nannte Restle die „Wir-sind-mehr“-Demonstrationen oder die 50.000 Demonstranten im Hambacher Forst – kämen in letzter Zeit auch wieder mehr Volontäre in die Sender, die politische Haltung mitbrächten. Und das sei gut so – nicht nur, um sich dem Rechtsruck im öffentlichen Diskurs entgegenzustemmen: „Wir müssen den Kampf um die eigenen Positionen wieder aufnehmen und uns nicht die Debatte von rechts aufdrängen lassen“, sagte Restle. „Es läuft derzeit so viel schief in Deutschland. Die Auseinandersetzung damit darf kein Privileg der Rechten sein!“
Alternative Hamburger Lesetage
Die Diskussion mit Georg Restle bildete den Auftakt einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe des dju-Bezirks Nord zum Thema #Pressefreiheit im Rahmen der alternativen Hamburger Lesetage „Lesen ohne Atomstrom“. Der Name wurde in Abgrenzung zu den offiziellen Hamburger Lesetagen gewählt, die vom Energiekonzern Vattenfall gesponsert sind. Am 27. November wird die Reihe fortgesetzt. Marie Bröckling von netzpolitik.org und Marcus Engert (buzzfeed) geben unter dem Titel „Zwischen Demos und Polizeiberichten – wie kann man unabhängig und kritisch über die Polizei berichten?“ Tipps, wie man sich vor, während und nach Demonstrationen Informationen beschaffen kann und muss. Am 4. Dezember heißt es „Journalist_innen im Fokus von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten“. Rechtsanwalt Nico Haerting (Berlin), dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Berger (Berlin) und der Kriminologe Nils Zurawski (Hamburg) analysieren dann schwerpunktmäßig die Ereignisse rund um den G20-Gipfel in Hamburg 2016, aber auch die Großereignisse und Polizeigesetze, die danach kamen. Eingebettet ist die Diskussionsreihe in die Fotoausstellung „Die Diskreditierten“ im Museum des FC St. Pauli. Die Fotos stammen von Journalisten, denen beim Hamburger G20-Gipfel die Akkreditierung entzogen worden war.
Die Diskussionen beginnen jeweils um 18.30 Uhr.
Die Ausstellung ist donnerstags bis sonnabends von 15 bis 20 Uhr und noch bis zum 29. Dezember geöffnet. Das FC-St.Pauli-Museum befindet sich in der Gegengeraden des Millerntor-Stadions, Heiligengeistfeld 1, 20359 Hamburg; U-Bahn St. Pauli, S-Bahn Reeperbahn oder Bushaltestelle St. Pauli. Der Eintritt ist frei, eine Spende Ehrensache.