Live-Berichte als Ticker und Tweets, auf Blogs oder anderen Kanälen können nur ein Zusatzangebot sein. Für die journalistische Qualität der Gesamtberichterstattung sei Einordnung, Analyse und Hintergrund notwendig. Darin war sich die Runde im Berliner Mediensalon zum Thema „Wie ‚live‘ kann Journalismus mit Qualitätsanspruch sein“ einig. Dass immer mehr Leserinnen und Leser ein Interesse an der „Gatekeeper“-Funktion durch ausgebildete Journalist_innen haben, zeige die Renaissance der Newsletter, die eine Auswahl nach professioneller Gewichtung bieten.
Bei der Veranstaltung von dju in ver.di, DJV Berlin und meko factory mit rund 30 Teilnehmer_innen in der taz-Kantine diskutierten vier freie Journalist_innen: Egon Huschitt, der unter anderem den Newsletter „Tagesspiegel Morgenlage“ macht, Claudia Kleine, die Live-Berichte von Parteitagen für den Tagesspiegel verfasst, Christoph Nitz (meko factory) und Petra Sorge, die sich bereits vor Jahren über den „Echtzeit-Journalismus“ Gedanken gemacht hat. Inzwischen sei das Tempo laut Sorge noch einmal „enorm beschleunigt“ worden, auch durch Plattformen wie BuzzFeed oder die Huffington Post. Die eigentlichen „Live-Berichte“ hätten aber schon in den 1920er Jahren mit dem Radio begonnen.
Mehr Tipp-Fehler seien in Live-Blogs sicherlich zu finden als in gegengelesenen Artikeln, gab Kleine zu, wies aber darauf hin, dass bei Live-Schalten in Radio und Fernsehen die Sätze auch eher von der Aktualität als der ausgeklügelten Formulierung lebten. Dass bei den Nutzer_innen parallel zu Live-Berichten immer noch die ausführlichen Hintergrundartikel geschätzt werden, zeigten die Klickzahlen, die abends mehr bei längeren Texten lägen, der Erfolg der „Zeit“ oder die Verlagerung von Printausgaben auf das Wochenende. „Es gibt Platz für Papier“ und für den Fortbestand der Tageszeitungen, zeigte sich Sorge überzeugt. Der Nutzen von Live-Berichten hänge stark vom Interesse der Leser_innen ab, ob „Politik-Junkie“, Sportfan oder Journalistenkolleg_innnen, die Live-Blogs zum schnellen Überblick für eigene Berichte nutzen.
Die Renaissance der Newsletter von vertrauenswürdigen Herausgebern wie eingeführten Medienmarken zeige laut Huschitt, dass viele Leser_innen die „Gatekeeper“-Rolle von gut ausgebildeten Journalist_innen zu schätzen wissen. Sie bevorzugten eine „entschleunigte“, an Relevanz orientierte Zusammenstellung, statt sich die Informationen aus allen Medien selbst zusammenzusuchen, ist sich das Podium sicher. Denn gerade bei den nicht-journalistisch kuratierten Angeboten sei die Gefahr groß, so Sorge und Huschitt, auf Fake-Twitter-Accounts oder dubiose, journalistisch aussehende Plattformen hereinzufallen, auch bei medienkompetenten Nutzer_innen. So stoße Huschitt bei der Zusammenstellung seiner Newsletter immer wieder auf sehr zweifelhafte, aber gut getarnte Falschinformationen. Den „Tratsch von Tante Erna“ habe es früher doch auch gegeben, warf Nitz ein. „Tante Erna war aber nicht bösartig, sondern hat sich vielleicht geirrt. Heute wird teilweise mit voller Absicht diskreditiert“, entgegnete Huschitt.
Die Qualität im Journalismus sei insgesamt besser geworden, meinten Sorge und Huschitt. Auf die Frage nach der Finanzierung verwiesen Sorge auf Paywalls, Nitz auf Erlösmodelle wie bei der taz. Der „Werbeträger Medien“ sei zwar abhandengekommen, erklärte Sorge, aber Verlage wie Springer machten inzwischen mit Anzeigen-Plattformen Gewinne. Huschitt blickt jedenfalls voller Optimismus in die Zukunft für den Qualitätsjournalismus, in der auch neue Format-Experimente möglich seien. Denn Werbewirtschaft und Unternehmen hätten erkannt, wie wichtig ein respektables Umfeld für ihre Produkte sei. Dafür seien sie auch bereit, mehr zu zahlen. Der Werbemarkt bewege sich wieder zu den großen „Brands“, den Qualitätsmedien, zurück.