Fast alle Sender und Verlage in Bulgarien gehören wenigen Großunternehmern, die ihre Medien als Werbeträger und Propaganda-Instrumente nutzen. Vor allem Politiker der regierenden rechts-konservativen Koalition und die Medien-Mogule bereichern sich zudem ungeniert an europäischen Fördergeldern. Investigative Journalisten, die ihnen dabei auf die Finger schauen, leben gefährlich. Unabhängige Medien können sich dagegen nur schwer finanzieren.
Assen Yordanow sieht nicht so aus, als ließe er sich leicht erschrecken: Durchtrainiert und hellwach ist der ehemalige Ausbilder einer Anti-Terroreinheit der bulgarischen Armee immer auf dem Sprung. Sein Job sei „gefährlicher als ein Einsatz in Afghanistan“, erzählt er und berichtet, wie ihn vier Männer mit Eisenstangen erschlagen wollten. Hinter dem Anschlag steckte „ein leitender Staatsanwalt“. Natürlich habe Yordanow den Fall bei der Polizei angezeigt. Passiert sei nichts, der Mann immer noch im Amt. Als investigativ recherchierender Journalist sieht sich der Chefredakteur und Herausgeber des Online-Magazins „Bivol“ „an der Front“. „Wenn dich jemand umbringen will oder deine Familie bedroht, kümmert sich hier niemand um Dich.“
Sein Reporter-Kollege Dimitar Stoyanov hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Einmal habe ihn die Frau eines Geschäftsmanns mitten im Interview mit Benzin übergossen. „Sie wollte mich anzünden.“ Im vergangenen September hat Stoyanov dann zusammen mit einem rumänischen Kollegen den jüngsten Skandal um den Baukonzern GP aufgedeckt. Seine Redaktion hatte den Tipp bekommen, dass Mitarbeiter des Unternehmens dabei seien, Dokumente und Datenträger auf einem Feld zu verbrennen. Mit einem Kollegen eilte er zur Feuerstelle. Die herbeigerufenen Polizisten verhafteten statt der Zündler die beiden Journalisten. Frei kamen sie nach Stoyanovs Darstellung, weil die bulgarische Regierung Ärger mit dem Nachbarland Rumänien vermeiden wollte.
Stoyanov und sein Kollege fuhren umgehend zurück an den Tatort und nahmen mit, was sie noch finden konnten. Das Material, angekokelte Dokumente und 70 Gigabyte Daten, brachten sie im November zu Anti-Korruptionsbehörde der EU nach Brüssel. „Von dort haben wir bisher nur eine Eingangsbestätigung bekommen“, erzählt Stoyanov enttäuscht. „Die bulgarische Korruption hat sich schon bis nach Brüssel ausgebreitet“, vermutet der Reporter. „Anders kann ich mir das nicht mehr erklären.“ Er schätzt, dass allein der Baukonzern GP rund 500 Millionen Euro europäische Steuergelder abgezweigt hat.
Unabhängig, aber mittellos
Ihren gefährlichen Job machen die beiden Journalisten, „weil ihn sonst niemand macht“. Geld verdienen sie mit ihren Enthüllungsgeschichten allerdings nicht. „Bivol“ finanziert sich vor allem aus Spenden. Die Einnahmen reichen, so Yordanov, nicht einmal, um die Serverkosten zu decken. Aus Sicherheitsgründen liegen die Daten von „Bivol“ auf Rechnern in Frankreich und Deutschland.
Dennoch versuchen immer wieder Mediengründer ihr Glück in Nischen. In Sofia startete unlängst das erste landesweite Online-Magazin „Uspélite“, auf deutsch: Erfolg. Es bringt nur positive Geschichten im Sinne eines konstruktiven Journalismus. Der erst 26jährige Yonko Chuklev schreibt – wie die anderen Autorinnen und Autoren auch – ehrenamtlich für „Uspélite“ und verdient sein Geld eigentlich als Finanzanalyst. Das Konzept des Magazins erklärt er an einem Beispiel: Roma kämen in Zeitungen und Fernsehen vor allem als Problem vor: arm, faul, schmutzig, unzuverlässig, nicht integrierbar. „Wir schreiben dagegen Geschichten über gute Nachbarschaft mit Roma“, so Chuklev und erzählt von einer jungen Roma, die ein Stipendium der US-Raumfahrtbehörde NASA bekommen hat und von einer Fabrik, deren englischer Besitzer ausschließlich Roma beschäftige und die schwarze Zahlen schreibe.
Aber auch „Uspélite“ verdient kein Geld. Das Online-Magazin finanziert sich wie „Bivol“ aus Spenden. Auf die Frage, wie man mit unabhängigem Journalismus Gewinne generieren könne, weiß auch Finanz-Fachmann Chuklev keine Antwort. Bulgarien sei zu klein und wirtschaftlich zu schwach, um eine Publikation aus Werbeeinnahmen zu finanzieren. Seine Idee: Ein internationales Magazin, das sich auf eine lukrative Nische zum Beispiel im Wirtschaftsjournalismus spezialisiert, Investoren von seinem Konzept überzeugt und über Crowdfunding Geld einwirbt.
Noch schwerer als spezialisierte überregionale Medien haben es Neugründungen in der Provinz. In Plowdiw, mit 360.000 Einwohner*innen zweitgrößte Stadt Bulgariens und derzeit Europäische Kulturhauptstadt, hat Ivo Dervnev mit ein paar Kollegen das Online-Stadtmagazin Pod Tepeto („Unter dem Hügel“) und den Stadtführer „Lost in Plovdiv“ gestartet, den sie laufend aktualisieren. Seinen Job beim größten Lokalblatt gab er auf, weil er dort nicht frei arbeiten konnte. Ein kritischer Bericht über die örtliche Kirche war nicht veröffentlicht worden, weil sich ein Kirchenfunktionär darüber beschwert hatte. Seine neue Online-Zeitung finanziert Dernev aus ein wenig Werbung und den Gewinnen seiner „Katz und Maus-Bar“ in bester Lage des angesagten Plowdiwer Ausgehviertels Kapana. Die Redaktion arbeitet in einem kleinen Raum über dem Café. Dank eines Zuschusses der US-Stiftung „Amerika für Plovdiv“ konnte Dernev für ein landesübliches Gehalt von jeweils etwa 650 Euro sechs Leute für Technik und Redaktion anstellen. Darunter Tanja Grosdanowa, die zuvor ebenfalls bei einer Lokalzeitung die Grenzen der Pressefreiheit in Bulgarien erfahren musste. Ein Minister sei angetrunken zu einer Podiumsdiskussion erschienen und habe Besucher dort beschimpft. Nachdem sie darüber berichtet hatte, kam ein Anruf aus dem Ministerium. „Ich musste mich beim Pressesprecher entschuldigen und den Artikel von der Webseite der Zeitung löschen.“ Dennoch sei die Presse in Bulgarien in den letzten Jahren insgesamt freier geworden. Zumindest bei unabhängigen Medien wie Pod Tepeto können sie Themen ungehindert recherchieren und schreiben.
In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Bulgarien Platz 111 und rangiert damit hinter allen anderen EU-Ländern.