Eine fremde Stadt, eine andere Redaktion, unbekannte Themen – dieser Herausforderung stellten sich 55 Reporter*innen vom 20. bis 26. Mai im Rahmen des #ReporterTausch2019. An der vom Zeitungsverleger-Verband initiierten zweiten Auflage dieser Aktion beteiligten sich 30 Zeitungen aus dem gesamten Bundesgebiet, von Flensburg im hohen Norden bis Backnang im Südwesten. Das Ziel: Reportagen und Berichte „mit dem besonderen Blick von außen“.
„Ost-West-Ding“ kein Thema mehr
Zum Beispiel Manuel Lauterborn. Der 29jährige Lokalredakteur der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung begab sich für eine Woche in den Landkreis Oberspreewald, Lokalredaktion Senftenberg der Lausitzer Rundschau. 25.000 Einwohner, ehemaliger Braunkohletagebau – ein Ort, „an dem die Energiewende gerade stattfindet“ und die „Transformation vom Bergbau zur Tourismusregion“ in vollem Gange sei. Am Ufer des künstlich angelegten Senftenberger Sees, kurz hinter dem Schloss- und Tierpark, lasse sich erahnen, wohin die Reise gehen soll, sagt der junge Journalist.
Am Schwarzbrot des Lokalen führt allerdings kein Weg vorbei: Treffen des Landesbauernverbands Südbrandenburg, die Feuerwehrübung an einer Schule – Manuel kennt diese Themen. Er stammt aus einem 1300-Seelen-Ort, hat überdies schon vor dem Volontariat in Hildesheim Erfahrungen als freier Mitarbeiter beim Trierischen Volksfreund sammeln können. „Ich mag das Ländliche, bin in den Tagen hier auch über die kleinen Dörfer gefahren.“ Dabei sei er auf „sehr viel Offenheit und Neugier“ gestoßen. Irgendwelche Mentalitätsunterschiede zum Westen? Er winkt ab: „Dieses Ost-West-Ding“ sei gar kein Thema mehr. Schon gar nicht in der Redaktion. Schließlich unterscheide sich die Arbeitsweise im Lokalen kaum. Sicher, beim Redaktionssystem gebe es Unterschiede. Und in einer Außenredaktion, die mit der Zentrale in Cottbus kommunizieren müsse, werde halt die Arbeit anders organisiert als in seiner Hildesheimer Zentralredaktion.
Ein spezielles Erlebnis? Bei der Vorbereitung einer Reportage über den Kommunalwahlkampf sei er auf einen gebürtigen Österreicher getroffen, der sich anschickt, in Guteborn eine Käserei aufzumachen. Fragen nach einem der Kandidaten für den Posten des Ortsvorstehers habe dieser trocken abgewehrt: als Österreicher habe man ja derzeit andere Probleme als die Kür eines brandenburgischen Ortsbürgermeisters.
Die Woche in Senftenberg habe ihn durchaus bereichert, findet Manuel Lauterborn. Nur sei die Zeit doch reichlich knapp gewesen. Eine geplante Reise durch das Lausitzer Seenland sei daher leider ins Wasser gefallen, bedauert er. Lokalchef Jan Augustin indes ist des Lobes voll für seinen Teilzeit-Mitarbeiter: „Er arbeitet extrem schnell, recherchiert super, macht schöne Fotos. Wir würden ihn, wenn wir könnten, gern übernehmen und hierbehalten.“
Ost-West-Vorurteile nur im Westen
Zum Beispiel Nicolas Ottersbach. 30 Jahre alt, Volontariat bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle an der Saale, seit 2017 Redakteur beim Bonner General-Anzeiger. Er entschied sich für eine Woche Lokalredaktion Bernau bei der Märkischen Oderzeitung (MOZ), Landkreis Barnim. Der erste Termin: eine Dorfplatzeinweihung in Klosterfelde. Tags darauf die Stadtverordnetenversammlung in Danewitz. Im Festzelt, „da tagen die einmal im Jahr wegen des Backofenfestes“. Auf der Tagesordnung: „Eine Hundepension, eine Schulsozialarbeiterin, die eingestellt werden soll – halt die üblichen lokalen Themen“.
Statt mit dem Zug sei er im PKW angereist, denn „auf dem platten Land müssen schon ein paar Kilometer abgerissen werden“. Im Gegensatz zu Senftenberg ist Bernau geradezu Boomtown: Wohnten hier zur Zeit der Wende um die 20.000 Einwohner, peilt die Gemeinde im Speckgürtel Berlins jetzt die 40.000er Marke an. Was entsprechende Probleme bei der Versorgung mit preiswertem Wohnraum verursacht.
Ost-West-Vorurteile? Interessanterweise gebe es die vor allem bei Otterbachs Freunden im Westen: „Was, du gehst in den Osten? Und auch noch freiwillig?“ Die dächten immer noch, hier sei alles „irgendwie noch rückständig, sozialistisch geprägt, heruntergekommene Platte“. Fehlurteile aufgrund mangelnder Information, bedauert er. „Die Wenigsten kommen doch mal her und kucken sich die neuen Bundesländer und ihre Städte an.“
Für Nicolas Ottersbach ist der Reportertausch „eine Supersache“. Aber auch er beklagt die knappe Zeit. „Innerhalb von nur fünf Tagen ist es schwierig, sich ein bisschen einzugrooven.“ Beim nächsten Mal, so regt er an, sollte man das „vielleicht doch auf zwei Wochen ausweiten“.
Überwundener Ost-West-Gegensatz
Zum Beispiel Sabine Rakitin, 58 Jahre alt, gebürtige Ost-Berlinerin, Diplom an der Karl-Marx-Uni Leipzig, Volontariat bei der Jungen Welt, kurz nach der Wende zur MOZ, seit 2009 Lokalchefin in Bernau. Jetzt vertiefte sie ihre „West-Erfahrungen“ beim Flensburger Tageblatt. Erfahrungen, die sie bereits vor 15 Jahren bei einer ersten Stippvisite in der dortigen Redaktion gesammelt hat. Ähnlich wie Bernau wachse auch Flensburg. Auch dort, so stellt sie fest, werde bezahlbarer Wohnraum allmählich rar. Praktischerweise habe die größte Wohnungsgenossenschaft der Stadt während ihres Aufenthalts ihren Geschäftsbericht präsentiert. Natürlich sei sie hingegangen, wolle ihre Recherche demnächst im Tageblatt gründlich aufbereiten.
Unterschiede? „Die sind weiter mit der Digitalisierung.“ In Bernau sei man gerade dabei, sich den Umgang mit Videokamera und sozialen Netzwerken wie Facebook anzueignen. Das Prinzip „online zuerst, die Zeitung ganz zum Schluss“ – auch das habe sie sich genauer angekuckt. Drei lokale Seiten für eine 88.000-Einwohner-Stadt wie Flensburg erscheinen ihr „zu wenig“. Die MOZ in Bernau habe täglich fünf Seiten, allerdings brutto, inklusive Anzeigen. Eine Bezahlschranke habe man auch gerade eingeführt, ähnlich wie die Schleswig-Holsteiner. Aber die lasse sich über Google leicht umgehen. Was die Sache mit den Online-Umsätzen auch nicht einfacher mache.
Ost-West-Gegensatz? Gehört für Rakitin der Vergangenheit an. In Bernau sei die Redaktion überdies schon seit geraumer Zeit „durchmischt“: von sieben Redakteur*innen stammten drei aus den alten Bundesländern. Ein Detail möchte sie aber noch loswerden: Als sie 2004 das erste Mal nach Flensburg gekommen sei, habe die Redaktion noch mitten in der Stadt gesessen, in einer Einkaufspassage. Jetzt residiere sie im neuen Verlagsgebäude, fünf Kilometer vom Zentrum entfernt. „Wer die Redaktion besuchen will, wird von einer Empfangsdame abgeholt“, sagt sie. Ohne Zugangschip lasse sich nicht einmal der Fahrstuhl benutzen. Für eine Stadtredaktion keine gute Lösung, findet sie: „Der direkte Kontakt zum Leser bleibt dabei ein bisschen auf der Strecke.“