Der steinige Weg vom Deutschen Fernsehfunk zu RBB und MDR
Überlebende? Das Sandmännchen. Polizeiruf 110 und vielleicht noch Carmen Nebel. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall ist nicht viel vom Deutschen Fernsehfunk (DFF) und dem „Rundfunk der DDR“ übriggeblieben. Oder doch? Vor allem zwei Konzepte konkurrierten nach der Auflösung des Staatsfunks auf dessen ehemaligem Sendegebiet. Während im Norden alle Verbindungen zum DDR-Fernsehen gekappt wurden, sendete der „Kessel Buntes“ im Süden fröhlich weiter. Doch der MDR wurde unterschätzt, konnte nicht nur Ost-algie. Er brachte mehr Boulevard und leichte Unterhaltung in die ARD.
„Erhaltet den Deutschen Fernsehfunk, sonst macht das Volk Euch wieder Stunk!“. So lautete eine der Parolen, als die DFF-Mitarbeiter am 28. Juni 1990 auf dem Berliner Alexanderplatz für den Erhalt ihrer Sender und ihre Arbeitsplätze demonstrierten. Es kam anders. „Keiner der Mitarbeiter wurde von den neu gegründeten Anstalten übernommen“, erinnert sich Gerd Nies, damals stellvertretender Bundesvorsitzender der IG Medien. Dabei fühlten sich die meisten Mitarbeiter*innen für das SED-Regime zu Unrecht bestraft. Vor allem der große Bereich Technik und Verwaltung sah sich für die politische Ausrichtung der Sender nicht verantwortlich. Alle Mitarbeiter*innen konnten sich nach ihrer Entlassung jedoch neu bewerben und ein Teil von ihnen erhielt einen „neuen“ Job. 13.000 Mitarbeiter*innen waren betroffen. DFF 1, DFF 2, Radio DDR 1, DDR 2, „Stimme der DDR“ und „Radio Berlin international“ wurden Stück für Stück geschleift. Einzig der „Berliner Rundfunk“ wurde privatisiert.
Dabei war noch in der ersten Jahreshälfte 1990, nur wenige Monate vor der ersten Abschaltungswelle, völlig offen, welche neuen Anbieter DDR-Radio und Fernsehen folgen würden. „Damals gab es die unterschiedlichsten Vorstellungen, wie man den Osten rundfunkpolitisch aufgliedern sollte“, erinnerte sich Udo Reiter, 1991 Gründungsintendant des MDR, in einem seiner letzten Interviews. „Hessen und Thüringen sollten zusammen gehen, es gab die Idee der „Nora“, als Nord-Anstalt mit Berlin und die Idee eines Gesamtostdeutschen Senders“.
Abwicklung nicht verhindert
Ein „linker“ dritter gesamtdeutscher Sender neben ARD und ZDF, ein Albtraum für das damalige Bonn. Das galt es politisch zu verhindern. Damit beauftragt war „der Abwickler“, Rudolf Mühlfenzl, offiziell Rundfunkbeauftragter der neuen Bundesländer. „Wir hatten versucht, Einfluss darauf zu nehmen, dass Rundfunk und Fernsehen der DDR nicht vollständig ab-gewickelt werden“, so Gerd Nies. Zwar sei man mit einer Eingliederung in die Strukturen der ARD grundsätzlich einverstanden gewesen, nicht aber mit einem völligen Neuaufbau.
Die Neuaufgebauten, das waren fortan der „Mitteldeutsche Rundfunk“ (MDR) in Leipzig und der „Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg“ (ORB) in Potsdam. Der Norden der Ex-DDR, inzwischen Mecklenburg-Vorpommern, fiel an den „Norddeutschen Rundfunk“ (NDR), Ost-Berlin an den „Sender Freies Berlin“ (SFB). Kurt Biedenkopf, CDU-Westexport und Ministerpräsident des neugegründeten Freistaates Sachsen soll es gewesen sein, der sich mit seinem Wunsch nach einem starken Programm der drei Südost-Länder durchgesetzt haben soll. Zur Vollständigkeit: Nur so konnte Biedenkopf die Ansiedlung einer neuen großen TV- und Radioanstalt nach Sachsen (Leipzig) holen, was bei einer Beteiligung der Region Berlin nicht möglich gewesen wäre. Potsdam bekam mit dem ORB seinen eigenen kleinen Landesfunk, der Sender richtete sich auf dem ehemaligen DEFA-Gelände in Potsdam-Babelsberg ein.
Kooperationen zwischen ORB und MDR gab es in der Aufbauphase auffällig wenige. Gemeinsame Hörfunkprogramme machte der ORB lieber mit SFB und NDR, auch die Übernahme des Berliner DDR-Fernsehballetts überließ der ORB dem MDR. Der Grund, so erinnerte sich Udo Reiter, waren zwei völlig unterschiedliche Programmkonzepte. „Ich war damals der Auffassung, dass die Leute hier im Osten genug Neuerungen verkraften mussten. Darum habe ich nicht eingesehen, warum wir auf einzelne, lieb gewordene Produktionen im Osten verzichten sollten“, so Reiter. Beim ORB sei das Konzept völlig anders gewesen. „Dort wollte man mit dem Vorgänger DFF überhaupt nichts mehr zu tun haben, man entschied sich für ein Tabula rasa“. Und schiebt hinterher: „Das ist natürlich ein Konzept, aber den Menschen dort ist damit Hören und Sehen vergangen, die haben dann lieber den MDR gesehen.“
Tatsächlich konnte der MDR in seinem Sendegebiet die höhere Akzeptanz aufweisen, bestätigt auch der Ex-IG Medien-Mann Nies. Allerdings sei der ORB auch in einer viel schwierigeren Lage gewesen. Als Programm für ein einwohnerschwaches Bundesland hatte man nicht nur weniger Geld, die Zuschauer hatten mit SFB, NDR und MDR auch gleich drei Alternativen im ORB-Sendegebiet.
Auch DT64, das beliebte Jugendradio im Osten, hätte ein Erfolgsprojekt von ORB und MDR werden können. Wurde es aber nicht. Zunächst versuchte sich die DDR-Jugendwelle mit dem neuen Label „Power from the eastside“ ein neues Image zu erkämpfen, ging eine enge Kooperation mit seinem damaligen West-Pendant SDR3 ein. Nach der Deutschen Einheit 1990 wurde das Jugendradio als Programm gemäß Artikel 36 des Einigungsvertrages (Rundfunküberleitungsgesetz) zunächst weitergeführt. Das Programm hätte demnach aber bis Ende 1991 in eine öffentlich-rechtliche Einrichtung überführt oder abgewickelt werden müssen. Im Frühjahr 1991 zeichnete sich das Ende des Senders ab, was vor allem im Süden der neuen Bundesländer zu Protesten führte. Am 16. November 1991 gingen allein in Dresden 10.000 Demonstrant*innen für den Erhalt „ihres Senders“ auf die Straße. Auch im Bonner Bundestag wurde im Dezember 1991 über den Erhalt von DT64 beraten – erfolglos. Der MDR sprang ein, machte DT64 zu MDR Sputnik, sehr zum Ärger der neuen Privaten in Mitteldeutschland.
Als sich Ende der 90er Jahre ARD-intern die Entscheidung abzeichnete, einen Kinderkanal gemeinsam mit dem ZDF ins Leben zu rufen, stand schnell fest, diesen im Osten anzusiedeln, um Strukturnachteile auszugleichen. Erneut schlugen die Wogen zwischen Potsdam und Leipzig hoch. „Entweder der ORB bekommt den „KIKA“ oder der MDR kauft ihn“, soll ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer gesagt haben. Das Ende vom Lied: Er ging an den MDR. Berlin/Potsdam sei als Medienstandort schon besser dran gewesen, als der Süden der ehemaligen DDR, so der damalige MDR-Intendant Reiter. „Daher war es eine kluge Entscheidung, diesen nach Erfurt zu geben.“ Auch sonst saß der ORB zumeist am kürzeren Hebel. Die überschaubaren Mittel machten es den Potsdamern schwer, die Produktion eines Fernsehsenders und mehrerer Radiokanäle dauerhaft zu finanzieren. Radio blieb lange das Sorgenkind, ständige Programmwechsel sorgten für Hörerirritationen. Statt DT64 sendete der ORB ein „Rockradio B“, das später durch „Fritz“ ersetzt wurde. Mit seinem „Radio B Zwei“, einer Kooperation mit dem SFB, war der ORB wenig erfolgreich. Anstelle dessen folgte „Radioeins“, ebenfalls zusammen mit dem SFB, wofür der ORB wiederum sein „Radio Brandenburg“ opfern musste. „Radio3“, ein Kulturprogramm zusammen mit dem NDR, mussten die Potsdamer 2002 beerdigen. Schnell wurde deutlich, dass es ohne dauerhafte Partnerschaft nicht weiter gehen würde. Auch nicht für den SFB.
Fusion von ORB und SFB
Am 1. Mai 2003 ging der neue „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ (RBB) auf Sendung. „Ich glaube, die Fusion von ORB und SFB war notwendig. Auch ein Berliner Inselsender wäre nicht länger möglich und nötig gewesen“, sagt Nies. Bei der Fusion trafen dann „zwei Mannschaften aufeinander, die nicht immer miteinander konnten“. Es folgte ein jahrelanger Prozess der Angleichung der ORB-Gehälter an das SFB-Niveau, in dem SFB-Mitarbeiter*innen häufig Einbußen, vor allem im Vergleich zu anderen ARD-Anstalten, hinnehmen mussten. Es galt zudem, den Anschluss an die ARD zu schaffen. Kein Abschluss wurde den Beschäftigten geschenkt. Alle Tarifverhandlungen wurden von Protesten und Streikaktionen begleitet. Erst mit dem Tarifabschluss im Februar 2010 konnte M (01-02) vermelden, dass die Gehälter der festangestellten Beschäftigten dem durchschnittlichen ARD-Niveau angeglichen wurden. Aber erst im Mai dieses Jahres konnten nach 14 Jahren Verhandlung für die Freien im Programm des RBB „endlich einheitliche und faire Honorare vereinbart werden“. Sie sollen jedoch, so der Arbeitgeber RBB, nur schrittweise angehoben werden – Zeitraum unbestimmt. Aber damit sich das nicht „bis zum Sankt-Nimmerleinstag hinzieht, müssen wir weiter Druck machen“, zeigt sich das Verhandlungsteam kämpferisch.
Auch das Verhältnis der neuen Ost-Anstalten zu den ARD-Partnern galt lange Zeit als problematisch, so Udo Reiter. Ost hatte keinen guten Ruf. Gerade wenn es um Korrespondentenplätze, aber auch um Sendeplätze oder ums Geld ging. „In den Sonntagsreden wurden wir ja sehr begrüßt. Alle haben sich gefreut, dass es die ARD auch im Osten gibt. Wenn es aber ans Eingemachte ging, sah das schnell anders aus.“ Ein Grund der Skepsis war u.a. auch das „besondere“ Programm des MDR. Schlagersendungen, Volksmusik, einfache Unterhaltung à la „Alles Gute!“. Alles, wovon sich die ARD in den Jahren zuvor trotz guter Quoten aus Imagegründen mühsam getrennt hatte, der MDR legte es neu auf und setzte eine gehörige Portion Heimattümelei obendrauf – und kam damit gut an, zumindest im eigenen Sendgebiet. „Außerhalb wurde der MDR aber immer belächelt, die Qualität des MDR galt als etwas fragwürdig“, erinnert sich Nies. Der Spiegel warf dem MDR vor, für das Bild des minderbemittelten Ossis im Westen mitverantwortlich zu sein.
Doch der MDR beeinflusste mit seiner Interpretation des Programmauftrags letztlich auch die ARD. So wurde Boxen von Reiter ARD-tauglich gemacht. Die Sportart galt lange als verpönt im Öffentlich-Recht-lichen als „Hinterhofprügelei“. Doch da die Quoten stimmten, gaben die anderen ARD-Sender ihren Widerstand auf. Mehr noch. Der MDR hat die ARD nachhaltig boulevardisiert, brachte mit „Brisant“ aus Leipzig das erste Boulevardmagazin in die ARD, und auch das erfolgreich. „Visitenkarte der Unterhaltung“ nannte Reiter seine Rolle im Ersten. „In aller Freundschaft“, „Tierärztin Dr. Mertens“ oder „Um Himmels Willen“ sind die Sterne, die der MDR an den großen Himmel der ARD heften konnte.
Der RBB konnte in dieser Liga nie mitspielen. Auch die neu geschaffene Gemeinschaftsanstalt konnte die Defizite von SFB und ORB nicht ausbügeln. Den Vorwurf, dass der RBB als Anstalt gescheitert sei, wies Intendantin Dagmar Reim stets weit von ich. Doch das Programmsterben ging weiter. „Radio multikulti“ musste aus Kostengründen ebenso verschwinden wie „Polylux“, das RBB-Aushängeschild im Ersten. Unter der neuen Führung von Patricia Schlesinger scheint sich das Blatt zugunsten des RBB aktuell zu wenden mit neuen Infomagazinen und neuen Unterhaltungsformaten. Auch traut man dem RBB innerhalb der ARD inzwischen mehr zu. Im letzten Jahr übernahmen die Berliner das renommierte „ARD-Mittagsmagazin“ vom Bayrischen Rundfunk.
Zur Vier-Länder-Anstalt NDR
Im Norden ging Mecklenburg-Vorpommern ganz im NDR, inzwischen Vier-Länder-Anstalt, auf. Von einer „Übernahme“ sprechen die einen, von der einzig gelungenen Integration zwischen Ost und West die anderen. Radio und Fernsehen des NDR belegen jedenfalls eine stabile Akzeptanz der Programme auch im Nordosten.
Dreißig Jahre nach dem Mauerfall sehen sich die Öffentlich-Rechtlichen im Osten neuer Kritik ausgesetzt. Einer nicht unerheblichen Minderheit von AfD-Anhängern missfällt Berichterstattung und Gebührenmodell. Die Mehrheit vertraut aber auch im Osten „ihren“ ARD-Angeboten, wie Studien, vor allem aber Zuschauer- und Hörerzahlen belegen. Und, die Anstalten haben Identitäten geschaffen. Der NDR hatte es damit nicht schwer, die Mecklenburger in „Das Beste am Norden“ zu integrieren. Der RBB sucht zwar noch nach seiner Identität zwischen frechem Hauptstadtprogramm und brandenburgischem Lokalfernsehen, hat aber Berliner und Brandenburger erheblich einander nähergebracht. Und ein mitteldeutsches Gemeinschaftsbewusstsein hätte es ohne den MDR und „Mr. Mitteldeutschland“ Udo Reiter kaum gegeben.