Die vom Grundgesetz gewollte Tarifautonomie funktioniert nicht mehr. Auch immer mehr Medienhäuser entziehen sich verbindlichen Konditionen für die Arbeit ihrer Journalist*innen. Die Politik ist zum Handeln aufgerufen. Der Landesverband Bayern der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di hat sich deshalb an die bayerischen Politiker gewandt.
Wir rufen die im Landtag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der AfD – sowie Die Linke und die Ökologisch-Demokratische Partei auf, eine Bundesratsinitiative der Länder Bremen, Brandenburg, Thüringen, Berlin und Hamburg zur Stärkung der Tarifautonomie zu unterstützen.
Wir erinnern an den 70. Geburtstag des Grundgesetzes. Darin ist auch die Soziale Marktwirtschaft verankert. Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und daraus folgend die Tarifautonomie sind dafür wichtige Grundpfeiler. Der Staat soll sich überall dort mit der Regelung von Arbeitsbedingungen zurückhalten, wo sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf Augenhöhe treffen, um die Konditionen für Arbeitsverhältnisse auszuhandeln. Funktioniert das, tragen Tarifbedingungen erfolgreich zur Ordnung und Befriedung des Arbeits- und Wirtschaftslebens bei.
Doch ist gerade im Medienbereich ein dramatischer Bedeutungsverlust tarifvertraglicher oder ähnlicher Regelungen zu erleben. Über Jahre hinweg werden zwischen den Verlegern und den Gewerkschaften ausgehandelte Vereinbarungen für freiberufliche Journalist*innen, die so genannten „Vergütungsregeln“, konsequent ignoriert. Im reichen Freistaat Bayern gibt es viele negative Beispiele im Angestelltenbereich: Bei der Passauer Neuen Presse wurde der gewerkschaftliche Einsatz für eine Rückkehr in die Tarifbindung abgeblockt, in den aufgekauften Häusern dieses Medienkonzerns mit seinen 7800 Mitarbeitern und 320 Millionen Euro Jahresumsatz herrscht das Prinzip des Arbeitgeber-Diktats von Konditionen.
Die Mittelbayerische Zeitung hat sich auf den Pfad der Tariflosigkeit begeben. Die Konditionen für die Mitarbeiter*innen der Abendzeitung München würden vom Verleger in Landshut festgelegt, der Tarifverträge ganz offen als Sozialromantik bezeichnet. Der frühere Verlag Fränkischer Tag in Bamberg ist in viele kleine Gesellschaften zerlegt worden; dort wird 15 Prozent unter Tarif oder schlechter gezahlt.
Die Südwestdeutsche Medienholding entscheidet von Fall zu Fall, ob und auf welchen Berufsfeldern die von ihr in Bayern herausgegebenen Zeitungen tarifgebunden oder tariflos sind. Onliner oder Verlagsangestellte der Süddeutschen Zeitung haben schlechte Bedingungen.
Hinzu kommt beträchtliche Tarifflucht im Druckbereich. So unterhält die Augsburger Allgemeine einen kleinen tarifgebundenen Betrieb neben einer großen tariflosen Druckerei und sichert sich somit gar das Recht, in Tarifkonflikten als eine Verhandlungsführerin aufzutreten. Das ist, so betonen wir in unserem Brief an die Parteien, eine Perversion der Gedanken unseres Grundgesetzes: Tarifflüchtlinge bestimmten die Verhandlungen mit den Gewerkschaften.
Zu viele Arbeitsverhältnisse sind zum Gegenstand wettbewerblicher Auseinandersetzung geworden. Die Politik muss einschreiten. Der Staat soll Konditionen der Arbeit nicht selbst regeln. Wir Gewerkschafter stehen zum Grundgesetz und dessen Vorgaben. Notwendig ist aber ein gesetzlicher Rahmen, der Tarifautonomie bejaht und befördert. Sie wird in Zeiten der Digitalisierung mehr denn je gebraucht.
Ein sinnvolles Ziel wäre vor allem, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen zu erleichtern. Dass Arbeitgeber diese in den Tarifausschüssen durch ein schlichtes Nein blockieren können, indem sie ein Patt herbeiführen, gehört abgeschafft. Auch steuerliche Anreize für tarifgebundene Betriebe und Nachteile für tariflose Unternehmen könnten ein Beitrag zu mehr Fairness im Wirtschaftsleben sein. Geschehen muss etwas. Es geht um nicht weniger als den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft.