Fachleute schlagen Alarm: Medien verbreiten vielerorts rassistisches Gedankengut
Der Genozid in Ruanda vor 20 Jahren und die Rolle von Journalistinnen und Journalisten lieferte den traurigen Anlass für eine Konferenz der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF) unter Beteiligung der UNESCO im Mai in Brüssel. Das erschreckende Fazit: Hass-Parolen sind weltweit im Vormarsch. Sie überschreiten die „rote Linie“ der Pressefreiheit und müssen aus den Medien verbannt werden.
Im Rundfunk von Ruanda wurden damals die Personen aufgelistet, die getötet werden sollten. Ergänzend lieferte der Sender Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) Hinweise, wo diese Personen gefunden werden könnten. „Die Tutsis sind Untermenschen“, lautete die Botschaft. Innerhalb von drei Monaten kostete 1994 die rassistische Hetze, die der Rundfunksender und die Printmedien unterstützten, tatsächlich rund eine Million Menschenleben.
Ruandas Botschafter bei der EU Robert Masozera berichtete: „Es begann nicht über Nacht. Die Medien griffen Parolen auf, die schon lange davor kursierten. Viele Fanatiker bezeichneten sich als Journalisten, obwohl sie die ethischen Grundsätze des Berufs nicht kannten“. So sei das Prinzip der Pressefreiheit missbraucht worden. Masozera erklärte auch, was in seinem Land heute anders ist als vor 20 Jahren: Statt einem staatlichen Sender gibt es jetzt sechs Fernsehkanäle, und die Zahl der Zeitungen stieg von fünf auf 15.
Wissenschaftler zeigten auf: Ein „Krieg der Worte“ tobt auch heute immer noch in vielen Teilen der Welt. Medien tragen sogar zunehmend zur Verbreitung von Vorurteilen und rassistischem Gedankengut bei. Sie tragen Hass in die Köpfe der Hörer und Leser und bereiten die öffentliche Meinung auf einen möglichen Krieg vor. UNESCO-Direktorin Sylvie Coudray: „Pressefreiheit ist ein universelles Gut, aber sie hat eine Ausnahme: Hassparolen.“ Professor Eric Heinze von der Londoner Universität: „Es ist notwendig, Hass zu verbannen – auch wenn das liberalen Prinzipien widerspricht.“
Forscher der Universität Brüssel sehen aktuell Hass-Parolen in Medien unter anderem in Burundi, in der Elfenbeinküste und in der Zentralafrikanischen Republik. Weitere alarmierende Beispiele gebe es in Kenia, Nigeria und im Sudan. Staatliche Sender und Zeitungen seien ebenso Akteure wie lokale Landfunkradios. So verbreitete eine Tageszeitung in Malaysia mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung im Aufmacher das Gerücht, dass die Oppositionspartei in Allianz mit Führern der christlichen Gemeinde planten, das Christentum als Staatsreligion einzuführen. Immer wieder zitiert werden Äußerungen israelischer Politiker, Palästinenser seien „Biester auf zwei Beinen“ oder „wie Krokodile“ – je mehr Fleisch man ihnen gebe, desto mehr wollten sie haben.
Ein „Krieg der Sprachregelungen und der Klischees“ war nach Feststellung von EJF-Generalsekretär Ricardo Gutiérrez zuletzt in Russland und in der Ukraine zu beobachten. Die führenden Medien bezeichneten die politischen Gegner der Regierung pauschal als Terroristen oder Faschisten. Gutiérrez: „Die Propagandaschlacht kam durch die Medien zu höchster Blüte“. In Bezug auf die Kriegsberichterstattung fand Gutiérrez heraus, dass dank der neuen Technik der Telegraphie Reporter erstmals während des Krimkrieges 1853–1856 aktuell von der Front berichteten. Die Militärs verschafften ihnen Zugang, weil sie eine Propagandawirkung erwarteten. Soldaten sollten in der öffentlichen Meinung zu Helden werden. Im Zweiten Weltkrieg erreichte diese Strategie ihren Höhepunkt. Die Gleichschaltung der deutschen Medien unter der Nazi-Diktatur war als warnendes Beispiel deshalb auch ein Thema auf der Konferenz. Beim Holocaust spielte die rassistische Hetze der nationalsozialistischen Presse und des Rundfunks eine unsägliche Rolle. Heute liefert das World Wide Web neue technische Möglichkeiten – eben auch für die Verbreitung von Hass und Hetze. Und der Kampf gegen Hassparolen wird durch nationale Gesetzgebung erschwert. Die USA zählen zu den Ländern, in denen der Holocaust geleugnet werden darf. In Griechenland sitzen Verleugner sogar als Abgeordnete im Parlament. Aber die Medien müssen sie bei der Auswahl der Nachrichten nicht zu Wort kommen lassen.
Die Feststellung von Liz Fekete, Geschäftsführerin des Londoner Institute of Race Relations, richtete sich an die gesamte Journalistengemeinschaft: „Hassparolen sind Ausdruck von Faschismus. Faschismus aber steht nicht still, er verändert ständig seine Form. Er versteckt sich in Formulierungen und Vokabeln, die die Mainstream-Presse übernimmt“. So ging die Aufforderung, Distanz zu rhetorischen Vorgaben von Politikern zu halten, in eine Brüsseler Abschlusserklärung zur Konferenz ein. Nachdrücklich wird Aufklärung und Schulung für Journalisten auf der ganzen Welt gefordert, um jeder Anstiftung zu Hass und Gewalt in den Medien vorzubeugen. Ausdrücklich wird in der Erklärung auf die Bedeutung von Medienvielfalt hingewiesen, um einer Gleichschaltung von Parolen entgegenzuwirken.