Um das Jahr 2000 weckte YouTube noch Hoffnungen auf mehr Partizipation im offenen Internet. Doch durch den Verwertungsdruck, den die Plattform zunehmend schafft, werden Ungleichheiten und Geschlechterstereotype verfestigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die eine Videoanalyse mit der Befragung von populären YouTuberinnen kombiniert. Eine Antwort trifft den Kernbefund: „Je plakativer das Klischee, umso besser wird es geklickt.“
Im Januar 2018 untersuchten Christine Linke und Elizabeth Prommer von der Universität Rostock zusammen mit Claudia Wegener (Filmuniversität Babelsberg), wie auf YouTube Geschlechtervielfalt in Darstellung und Produktion sichtbar wird. Sie analysierten 2000 Videos und befragten 14 YouTuberinnen mit jeweils rund 800.000 Abonnent*innen zu ihren Motiven und Arbeitsbedingungen auf der Video-Plattform. Linke verortet die Studie im Kontext des „großen Themas“ Audiovisuelle Diversität, das sie zusammen mit Prommer in einem viel beachteten Projekt zum deutschen Film und Fernsehen an der Universität Rostock erforschte. Die Ergebnisse zeigen in der Tat zahlreiche Parallelen.
Genauso wie in Kino und TV sind Frauen auch bei YouTube stark unterrepräsentiert. Bei den Top 100 der erfolgreichsten Kanäle machen sie nur 29 Prozent der Hauptakteur*innen aus, während Männer auf 69 Prozent kommen. Immerhin zwei Prozent können unter „divers“ einem weiteren Geschlecht zugeordnet werden. Die YouTuberinnen erscheinen überwiegend im Zusammenhang mit traditionell weiblichen Themen wie Beauty, Haushalt, Food, Beziehungen oder Mode und serviceorientierten Formaten wie DIY (Do It Yourself). Dieses Ergebnis wird gestützt durch die Kontexte, in denen die Geschlechter auftauchen: 64 Prozent der Frauen auf YouTube werden im privaten Raum und mit Hobbies dargestellt, während man 61 Prozent der Männer in der Öffentlichkeit und im Beruf sieht (Themen z.B. Musik, Politik und Gesellschaft).
Die Interviews zeigten, so die Studie, dass die Youtuberinnen „Beauty“ als einen geschützten Raum erleben, in dem man „relativ sicher vor Hate Speech“ sei, da mit diesem Thema gesellschaftliche Erwartungen bedient würden und viele hier auch Erfahrungen hätten: „Also ich glaube, bei den Mädels ist es immer so, die meisten fangen mit Beauty an, weil es sich sicher anfühlt.“ Aber es gebe auch einige, die nach einem Jahr Beauty keinen Spaß mehr hätten, lieber Comedy machen wollten und „sich dann da raustrauen.“
Die Forscherinnen stellten fest, dass Aussehen und Alter der Akteurinnen im Web den stereotypen Frauenbildern in TV und Kino gleichen: jung und schön. Eine befragte YouTuberin erklärt zur Wahl der „Beauty“-Schiene: „Das ist der einfachere Weg, auf jeden Fall. Je mehr du einem gewissen Schönheitsideal entsprichst oder einer gewissen Erwartung, desto eher verdienst du natürlich besseres Geld. Die jungen Zuschauer sind unglaublich in Klischeerollen behaftet.“ Dabei sei Aussehen „mega-wichtig. Und wenn man dann älter ist – man weiß das ja auch selber – das sind Kinder, die das gucken, streckenweise, für die ist jemand mit 35 tierisch alt, mit 45 ist man fast tot.“
„Die Strukturen und Zwänge der Plattform bedingen die Inhalte“, resümieren die Forscherinnen. Wenn YouTuber*innen keine Klischees bedienen, sondern diverse Geschlechterrollen sichtbar machen und gleichzeitig auf ihren Kanälen Geld verdienen wollen, dann bräuchten sie Unterstützung. In den Interviews wünschten sie sich eine gesicherte Grundfinanzierung unabhängig von Werbung, technischen Support und Grundlagenwissen, etwa im Storytelling, Vernetzung und Überblick über Fördermöglichkeiten.
Als Christine Linke die Studie auf der DGPuK- Jahrestagung vorstellte, zeigten sich in der Diskussion auch andere Perspektiven auf YouTube: „Es gibt dort auch tolle Rollenbilder, wenn auch nicht im kommerziellen Bereich!“ – „Dieses YouTube ist eine Randerscheinung“, entgegnete Linke. Statt zu einer Erweiterung führe YouTube zu einer Einengung digitaler Räume. Die interviewten Frauen sähen zwar Alternativen der Geschlechterdarstellung, erlebten aber einen starken Existenzdruck. Und je mehr Druck, desto stereotyper die Geschlechterbilder. Deshalb müsse der Blick stärker auf die Medieninhalte und die Produktionsbedingungen in der Medienindustrie gerichtet werden.