Harter (Wahl)Kampf für BBC und Co.

So wie hier in der Andrew Marr Show am 9. Dezember 2018 dürfte sich Boris Johnson auch diesmal über seine ausgiebige Redezeit in der Sonntagabend-BBC-Sendung gefreut haben.
Foto: Jeff Overs/BBC/Handout via REUTERS

Für die öffentlich finanzierten und geförderten Rundfunkanstalten Großbritanniens ist der jetzige Parlamentswahlkampf kein Vergnügen. Noch nie wurde ihre Rolle derart in Frage gestellt wie in den vergangenen Wochen. Während der BBC zunehmend Parteilichkeit vorgeworfen wird, sieht sich der Fernsehsender Channel 4 mit potentiell existenzgefährdenden Drohungen durch die Konservative Partei konfrontiert.

Die Spielregeln der Politik ändern sich. Das gilt auch für den öffentlich finanzierten Rundfunk in Großbritannien. Wo große Fernsehanstalten wie die BBC in vergangenen Jahrzehnten eine fast exklusive und weitgehend unumstrittene Plattform für die politische Auseinandersetzung für sich beanspruchen konnten, wird ihre Rolle heute zunehmend hinterfragt und hintertrieben. Die vergangenen Wochen haben in dieser Hinsicht viele denkwürdige Ereignisse geboten. Zwei sind jedoch besonders symptomatisch.

Am 28. November führte der durch staatliche Gelder teilfinanzierte Fernsehsender Channel 4 eine Live-Debatte zum Thema Klimawandel durch. Eingeladen waren die Vorsitzenden aller im britischen Parlament vertretenen Parteien, von denen jedoch Premierminister Boris Johnson von den Konservativen und Nigel Farage von der Brexit-Partei, ehemals UKIP, nicht erschienen sind. Der Fernsehsender ersetzte beide durch Eisskulpturen, welche im Verlauf der Sendung begonnen haben zu schmelzen. Dadurch sollte deutlich gemacht werden, dass die beiden Politiker sich der Debatte über die Klimakrise offensichtlich entziehen wollten. Die Reaktion der Tories folgte schnell. Schon am 29. November drohte Johnson, Channel 4 im Falle eines Wahlsiegs den öffentlichen Auftrag und somit die staatliche Finanzierung zu entziehen. Sollte Johnson in der Lage sein diese Drohung zu verwirklichen, könnte dies das Aus für den regierungskritischen Sender bedeuten – ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit im Vereinigten Königreich.

In schwierigem Fahrwasser befindet sich auch die BBC. Die durch Rundfunkgebühren finanzierte Anstalt wurde in den vergangenen Tagen von den Tories am Nasenring durch die Manege geführt. Im Zentrum der Kontroverse steht eine vom Politikjournalisten Andrew Neil geführte Interviewreihe mit den Vorsitzenden der verschiedenen wahlkämpfenden Parteien. Neil gilt einerseits als einer der besten und scharfsinnigsten Interviewer Großbritanniens. Andererseits sind seine konservativen Ansichten allgemein bekannt. Neben seiner Rolle als BBC-Redakteur ist er außerdem der Vorsitzende im Unternehmensvorstand des konservativen Printmagazins „Spectator“, dessen Chefredakteur noch bis vor einigen Jahren just der konservative Premierminister Boris Johnson war.

Man sollte meinen, dass Johnson die politische Nähe zu Neil positiv deutet. Das Gegenteil ist der Fall. Während alle anderen Parteichefs inklusive Oppositionsführer Jeremy Corbyn sich einer halbstündigen Befragung durch Andrew Neil unterzogen, weicht Johnson aus. Für die BBC ist das problematisch, denn Corbyn hat dem Interview nur unter der Bedingung zugesagt, dass alle anderen Mitbewerber im Wahlkampf ebenfalls von Andrew Neil interviewt werden. Diese Zusage wurde Corbyn seitens der BBC gemacht. Dazu ist sie auch rechtlich verpflichtet. Öffentlich finanzierte Fernsehsender sind speziellen Wahlkampfregeln unterworfen. Diese sollen sicherstellen, dass alle wahlkämpfenden Parteien eine gleichwertige Öffentlichkeit erhalten.

Doch Johnson scheut diese Öffentlichkeit. Am Tag nach der Ausstrahlung des Interviews mit Jeremy Corbyn musste die BBC zugeben, trotz angeblich gegenteiliger Behauptung noch keinen Interviewtermin mit Johnson zu haben. Am 28. November drohte die BBC Johnson deshalb mit Ausschluss von allen anderen BBC-Sendungen. Dann kam am 29. November der Anschlag auf mehrere Personen durch einen mutmaßlich dschihadistisch motivierten Attentäter in London. Er führte zu einem drastischen Positionswechsel bei der BBC. Aus „öffentlichem Interesse“ wurde Premierminister Johnson nun ein Interviewplatz bei der Andrew Marr Show am Sonntag eingeräumt. Dort konnte Johnson über rund zehn Minuten hinweg fast unwidersprochen Wahlkampf gegen die Labour-Partei betreiben und ihr die Alleinschuld an dem Anschlag zuweisen. Am 6. Dezember sagte Johnson seine Teilnahme an einem Interview mit Andrew Neil endgültig ab. Die Öffentlichkeit habe „von derlei Interviews sowieso die Schnauze voll“, ließ eine „führende konservative Quelle“ der BBC-Chefkorrespondentin Laura Kuenssberg ausrichten.

Ein Fernsehsender wird mit Schließung bedroht, der andere lässt sich von Boris Johnson verarschen. In einem Kommentar für die Tageszeitung „The Guardian“ schrieb Peter Orborne, der ehemalige Chefkommentator der konservativen Zeitung „Daily Telegraph“, dass die BBC zwar keine Verzerrung zugunsten der Tories an sich betreibe, jedoch immer die gerade amtierende Regierung begünstigen würde. So habe sich der Sender auch zu Zeiten der New-Labour-Regierung unter Tony Blair „mobben, manipulieren und vorführen“ lassen. Orborne hat inzwischen ein eigenes Internetportal eingerichtet um „Lügen und Desinformationen“ durch den Premierminister zu checken und richtigzustellen, weil er die BBC dazu nicht in der Lage sehe.

Die Labour-Partei hat ihrerseits am 6. Dezember einen Beschwerdebrief an BBC-Generaldirektor Tony Hall verfasst. Die Kernvorwürfe: Die BBC habe es Johnson gestattet, sich seine Interviewtermine auszusuchen und somit konfrontative Interviews umschifft. Außerdem beziehe sich die BBC in ihrer Programmgestaltung überwiegend auf Inhalte aus der konservativ dominierten Print-Presse.

Letzteres ist ein weiterer wunder Punkt. Schon unter der Regierung Blair begannen bei der BBC drastische Budgeteinschnitte. Sie wurden von Blairs Nachfolgern David Cameron und Theresa May fortgesetzt und verschärft. Eine Auswirkung dieser Einsparungen ist eine zunehmende Dominanz so genannter „Zeitungsbesprechungen“ durch Redakteur*innen und eingeladene Studiogäste im Livefernsehen. Dabei handelt es sich um die Kommentierung der aktuellen Tageszeitungen. 80 Prozent dieser Tageszeitungen befinden sich jedoch in den Händen konservativ orientierter Multimillionäre. Es entsteht somit ein konservatives Übergewicht in der Berichterstattung, was in Folge zu Misstrauen unter nicht konservativ orientierten Bevölkerungsschichten führt.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Negativrekord der Pressefreiheit

Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende. Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie. Das sind so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht.
mehr »

Medienhäuser müssen Journalisten schützen

„Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland zunehmend bedroht”, kritisiert die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Die dju in ver.di verzeichne mit großer Sorge eine wachsende Anzahl der Angriffe, die die Gewerkschaft für Medienschaffende in einem internen Monitoring festhält.
mehr »

Beitragsanpassung unter der Inflationsrate

Seit die aktuelle Empfehlung der KEF zur Beitragsanpassung vorliegt, gibt es mehrere Ministerpräsidenten, die eine Zustimmung zu einer Erhöhung kategorisch ausschließen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren bereits geurteilt, dass sich ein Bundesland dem Vorschlag der KEF im bislang gültigen Verfahren nicht einfach so widersetzen darf. M sprach mit dem KEF-Vorsitzenden Prof. Dr. Martin Detzel über die aktuelle Debatte um die Rundfunkfinanzierung.
mehr »

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »