Welches Medium möchte sie nicht gern haben, diese tollen Geschichten im Heft? Die, die einen so richtig mitnehmen, begeistern, emotionalisieren. Gleichzeitig natürlich alles Fakten, harte News im Mantel der mitreißenden Erzählung. Bewegende Geschichten und ihre Wirkung, und die Frage, was die Medien von erfolgreichen YouTuber*innen lernen können – zwei Themen des Deutschen Medienkongresses (DMK) 2020 am 29. und 30. Januar in Frankfurt.
Geschichten können ermutigen und verbinden: Die Friedensbewegung, die Umweltbewegung, der Kampf gegen den Rassismus, die ‚Fridays For Future‘-Bewegung bis hin zur Revolution in der Gesellschaft. Nichts von all dem sei denkbar gewesen ohne die Sinnzufuhr, ohne Stories, erklärte Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, in seinem Impulsvortrag „Wow! Von der Macht bewegender Geschichten.“
Eine gute Story ist für Pörksen die wohl kürzeste Geschichte aller Zeiten, die von Ernest Hemingway stammen soll: „For sale: baby shoes, never worn.“ Eine perfekte Geschichte deshalb, weil die fehlenden Inhalte von der Phantasie des Lesers selbst befüllt würden. Mit der Tragik eines unerfüllten Kinderwunsches etwa. Eine gute Geschichte erzähle eben nicht alles, meint Pörksen, sie lasse offene Räume.
Der Mensch denke, liebe, lebe in Geschichten. Geschichten seien eine Ordnungsform der Wirklichkeit. Der Mensch als Lebewesen, das Geschichten erzählt. Klingt gut. Doch ein einfacher Praxistest belegt eine Zunahme der negativen Seiten von Stories im Journalismus. Auch darauf geht Pörksen ein. „Da draußen ist etwas entstanden, was man postmoderne Erregungsindustrie nennen könnte.“ Dieser Erregungsindustrie gehe es nicht um Wahrheit, sondern um den Effekt. Sie recycle Geschichten, die irgendwie seit 20 Jahren funktionieren – sie müssten nicht mal stimmen – in unendlicher Wiederholung, nur weil sie geklickt, geteilt und geliked würden. „Boulevardiserung der Öffentlichkeit und Kommerzialisierung des Storytellings“, bringt es der Medienwissenschaftler auf den Punkt. Dies wiederum Journalist*innen vor ein Problem, denn sie müssten in der öffentlichen Wahrnehmung gegen Superlative und Gefühlsbefehle antreten („Du wirst nicht glauben, was passiert, wenn Du diese Geschichte liest…“). Dieses völlig überreizte Storytelling, wie Pörksen es nennt, schaffe aus rein kommerziellen Gründen Rahmenbedingungen, die das Behutsamere, Freundlichere, Verbindende in den Hintergrund stellten.
All das führe schnell zu einer Hysterisierung, einem weiteren Problem im aktuellen Journalismus. Erregung eskaliere heute blitzschnell, Stichwort „Oma-Gate“. Missglückte Satire und ein fragwürdiger Umgang mit der Reaktion darauf seien dabei die harmlosen Beispiele. Schlimmer sei, dass immer mehr Menschen schamlosen Horrorgeschichten Glauben schenkten. Vor allem in der „Berichterstattung“ auf diversen Plattformen, die sich selbst gern als alternative Medien bezeichnen, tummelten sich derartige Grotesken. „Denken Sie an die Geschichten in der digitalen Öffentlichkeit, deren Überschriften da heißen ‚Flüchtlinge braten sich Schwäne von unseren wunderschönen Parkteichen‘ oder ‚Sie klauen Kaninchen aus den Streichelzoos und braten sie auf ihren Feuern‘. Alles bösartige Geschichten, die uns trennen, die uns aufhetzen, die uns spalten“, so Pörksen.
Doch auch die klassischen, eigentlich seriösen Medien müssten auf die Tiefe achten, warnt er. Medien beschäftigten sich etwa viel zu intensiv mit Fragen wie der, warum Greta Thunberg blass aussehe, warum sie in diesem und jenem Monat zu energisch mit dem Kopf geschüttelt habe und ob es ihr heute gut gehe. Thunberg selbst habe inzwischen verstanden, dass sie durch diese Berichterstattung zu einer Gefahr für ihr eigentliches Thema geworden ist, das hinter solch irrelevante Fragen zurücktrete. Das sei ein Kommunikationsdilemma.
Etwas weniger seriöse Antworten auf die Frage nach der richtigen Verpackung für relevante Inhalte gab ein Talk auf der Verleihung der „Horizont Awards“ am Abend zuvor. Hier gaben sich Jochen Wegner, Chefredakteur von „Zeit Online“, und Influencer Rezo ein Stelldichein. Eigentlich, um über die Lehren eines Videos zu sprechen, dass über 16 Millionen mal gesehen wurde. Kein zweites YouTube-Video hatte im letzten Jahr für mehr Diskussionen gesorgt als „Die Zerstörung der CDU“. Ob ZDF, RTL, „Faz“ oder „Bild“, sie alle können von einem solchen Erfolg zu solch niedrigen Produktionskosten nur träumen. Die Frage, was Medien und der Journalismus daraus aber lernen können, blieb an jenem Abend leider unbeantwortet.
Ob sich inzwischen das Verhältnis zu Journalisten verändert habe, jetzt, wo Rezo selbst Journalist sei, wollte der Interviewer wissen. Rezo kichert. „Ich hasse sie mehr, ich mag sie mehr.“ Sein Verhältnis zu den traditionellen Medien an sich scheint jedenfalls weiter angespannt. „Nur, weil es in der Presse steht, muss es nicht wichtig sein. Das weiß jeder, außer der Presse“, klärt der YouTube-Star auf. Die „Zeit“ setzt offenbar große Erwartungen in den jungen Mann, von dem man sich neue junge Leser*innen auf der eigenen Webseite erhofft. Dort schreibt Rezo inzwischen gesellschaftspolitische Kolumnen.
M – Der Medienpodcast: einzigartig anders, denn wir fragen genauer nach
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