Hohe Klickzahlen und Kurzarbeit

Löchrige Schirme – Symbol ungesicherter Arbeitsverhältnisse für Solo-Selbstständige – auch, aber nicht nur bei Corona.
Foto: Angelika Osthues

Selbstständige in „existenziell bedrohlicher Lage“

Die Medienbranche boomt in Zeiten der Corona-Krise. Aber diese Blüte bezieht sich fast ausschließlich auf wachsen-de Reichweiten und Klickzahlen im Netz, weniger auf die Monetarisierung von Inhalten. Werbefinanzierten Medien geht das Geld aus, trotz sprunghaft gestiegener Nachfrage nach journalistischen Angeboten. Die Folgen: Kurzarbeit und erste Entlassungen. Viele Selbstständige stehen vor dem beruflichen Aus.

Für Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) hat das Virus auch gute Seiten: „Aus der Perspektive digitaler Medienmacher gesehen ist die Corona-Krise eine riesige Chance“, sagte er in einem via Messenger auf der virtuellen Digitalkonferenz „beBeta – journalism in progress“ eingespielten Interview am 27. Mai. Ohne die Krise verklären zu wollen, sei es schon praktisch gewesen, „Journalismus digital konsumieren zu können“. Digi-tale Zeitungsangebote seien „buchstäblich durch die Decke gegangen“. Eine Erfahrung, die viele Verlage und Redaktionen von Beginn des shutdown bis Ende Mai machten. Überregionale und regionale Medien registrierten nie für möglich gehaltene Klickrekorde. Bei der Süddeutschen Zeitung stiegen die Klicks allein im März um fast 80 Prozent. Mehr als 150.000 Digitalabos wurden neu abgeschlossen – so viele wie eigentlich bis zum Jahresende angepeilt waren. Im selben Zeitraum sanken allerdings auch die Anzeigenumsätze der meisten Verlage um bis zu 80 Prozent.

Das Erlösmodell „Advertising only“ gehöre nun definitiv der Vergangenheit an, schlussfolgerte BDZV-Präsident Döpfner. Und präzisierte: „Die Ära, in der man glaubte, dass Quali-tätsjournalismus nur durch Werbeerlöse finanziert werden kann“, sei „endgültig zu Ende“. In seinem eigenen Haus – Döpfner ist bekanntlich hauptberuflich Vorstandschef des Axel Springer Verlags – wird dieser Erkenntnis seit Jahren Rechnung getragen. Vor allem durch den sukzessiven Abschied von publizistischer Tätigkeit. Außer der defizitären Welt-Gruppe und der schrumpfenden Bild-Familie verfügt Europas einst größtes Zeitungshaus kaum noch über relevante Objekte, die etwas mit Journalismus zu tun haben.

Kurzarbeitergeld trotz höherer Anforderungen

Wo der Informationshunger der Menschen im Zeichen der Pandemie wächst, wachsen auch die Aufgaben und Anforderungen an die Redaktionen. Paradoxerweise antworteten viele Verlage auf diese Herausforderung, indem sie ihre Redakteur*innen in Kurzarbeit schickten. So geschehen bei der Hamburger Morgenpost, dem Weser Kurier, der Neuen Westfälischen in Bielefeld, dem Berliner Tagesspiegel, der Leipziger Volkszeitung, der Stuttgarter Zeitung, der Süddeutschen Zeitung … . Ende April hatten laut BDZV etwa 80 Prozent der Verlage Kurzarbeit geplant oder bereits veranlasst. Vorwiegend in den Abteilungen Anzeigen und Marketing, aber bei „mehr als 30 Prozent der Unternehmen“ auch in den Redaktionen.

Wenn schon Kurzarbeit, dann aber oberhalb des gesetzlich vorgesehenen Kurzarbeitergelds, forderte ver.di seit Beginn der Krise. „Viele Arbeitgeber wollen die Erstattung der Sozialbeiträge für sich einstreichen und nichts an die Beschäftigten weitergeben“, kritisierte ver.di-Vorsitzender Frank Werneke. Umso mehr, seit die Große Koalition das Kurzarbeitergeld angehoben hat. Nur wenige Verlage waren bereit, ihren Mitarbeiter*innen auf die 60- bzw. 67-Prozent-Gehälter was drauf zu legen. So hat zum Beispiel die Ippen-Gruppe beim Münchner Merkur den Kurzarbeiter*innen 90 Prozent des bisherigen Nettoentgelt zu gesichert. Die Madsack-Verlagsgesellschaft hatte in ihren Häusern immerhin bis Ende April zu 100 Prozent aufgestockt.

Die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit belegen, dass diese Praxis weitergeht. Von März bis Mai tauchten demnach rund 76.000 Beschäftigte und 58.000 Selbstständige mehr in der Statistik von Hartz-IV auf. Ein Vielfaches der üblicherweise gemeldeten Neuzugänge. Bei einem Großteil dieser neuen Harz-IV-Empfänger dürfte es sich um Menschen auf Kurzarbeit handeln. Hauptbetroffene Branchen sind Beschäftigte und Selbstständige aus der Gastronomie sowie aus Kunst und Kultur. Differenzierte Zahlen für die Medienbranche sind schwer zu ermitteln.

Dass „ganze Redaktionen in Kurzarbeit geschickt und Freien keine Aufträge mehr erteilt werden“, findet Cornelia Berger, Bereichsleiterin Medien und Publizistik bei ver.di, “nicht nachvollziehbar“. Zur Bewältigung von aktuellen Finanzierungsengpässen stünden auch Verlagen KfW-Darlehen zur Verfügung. Das Sparen „an der falschen Stelle, nämlich am journalistischen Inhalt“ sei jedenfalls der falsche Weg. Denn es gebe derzeit „eher mehr Arbeit, um die Corona-Krise journalistisch zu begleiten und einzuordnen“.

In der Zeitschriftenbranche produziert die Krise inzwischen erste Opfer. Vier Jahre nach der Erstausgabe erscheint das Magazin Frankfurter Allgemeine Woche Ende Juni zum letzten Mal. Die Auflage schwächelte von Beginn an, die Corona-Krise und damit einhergehende Anzeigenschwäche gaben dem Projekt den Rest. Im ersten Quartal 2020 lag die Verkaufsauflage inklusive gut 15.000 e-paper-Abos nur noch bei 48.000 Exemplaren. Die zehn Mitglieder der Redaktion sollen in ihre jeweiligen Ressorts innerhalb der FAZ zurückkehren.

Im Schatten der Pandemie verkündet die Funke-Mediengruppe Tabula Rasa bei ihren Programmzeitschriften. Ende Mai erfuhr die Belegschaft, dass fast drei Viertel der 38 Mitarbeiter*innen gehen müssen. Die Produktion soll stattdessen an Fremdfirmen verlagert werden. Zu den von Funke verlegten Programmies gehören unter anderem TV Digital, HörZu und Gong.

Unter dem Motto „Mein Betrieb bin ich“ protestierten am 4. Juni in Düsseldorf Betroffene gegen unzu­reichende „Soforthilfe“ für Solo-Selbstständige. Innerhalb weniger Tage hatten 300 Kolleg*innen ihre aktuellen Situationsschilderungen an ver.di NRW gesandt. Sie wurden auf riesigen Würfeln dokumentiert.
Foto: Angelika Osthues

Keine wirksame Hilfe für Solo-Selbstständige

Lobenswert war zunächst, dass schon früh 50 Milliarden Euro von der Bundesregierung als „Soforthilfe für Solo-Selbstständige und Kleinstbetriebe“ locker gemacht wurden. In der Praxis geht dieses Programm, das Ende Mai auslief, aber an den Bedürfnissen und der Lebensrealität der meisten Solo-Selbstständigen, zum Beispiel Künstler*innen und Journalist*innen vorbei. Die Gleichsetzung mit „normalen“ Betrieben und die damit verbundene Auflage, bei Antragstellung nur die laufenden Betriebsausgaben geltend machen zu können, verhindern eine wirksame Hilfe für eine ohnehin nicht auf Rosen gebettete Berufsgruppe.

Ergänzt wurde das Bundesprogramm durch diverse Ländermaßnahmen. Die aber fielen je nach Region recht unterschiedlich aus, was auch von ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz kritisiert wird. „Eine Einkommenshilfe für Solo-Selbstständige muss sich zukünftig viel passgenauer an ihrer Lebens- und Arbeitsrealität ausrichten“, fordert er von den Wirtschafts- und Finanzministerien im Bund und in den Ländern. Entsprechende Programme sollten die Besonderheiten der Arbeit der Selbstständigen berücksichtigen. Zugleich müssten die Hilfen „unbürokratisch, bedarfsgerecht und schnell fließen“.

Leider findet sich auch im Anfang Juni beschlossenen milliardenschweren Konjunkturprogramm der Bundesregierung keine derartige Unterstützung für Solo-Selbstständige, die für die Lebenshaltungskosten genutzt werden kann. Dennoch sind Hilfen für Kultur und Medieneinrichtungen vorgesehen. Unter anderem werden 20 Millionen Euro für private Hörfunkveranstalter bereitgestellt, hauptsächlich als Ausgleich für den Corona-bedingten Einbruch der Werbeeinnahmen. Die im Grunde gleichermaßen betroffenen privaten TV-Sender gehen dagegen rätselhafterweise leer aus. Dennoch nannte Hans Demmel, Vorsitzender des Privatfunkverbands Vaunet, die Maßnahme einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“.

Auch die Bayerische Regierung hat am 5. Juni nachgelegt. Danach erhalten Bayerns Wochenzeitungen sowie private Radio- und Fernsehanbieter eine Sonderförderung. Die vom Anzeigenrückgang besonders betroffenen kostenlosen lokalen Wochenzeitungenbekommen eine Million Euro für Zustellung, innovative technische Verbreitungsmethoden sowie Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Für private Hörfunk-Anbieter sind 500.000 Euro Sonderförderung vorgesehen, für Lokal-TV-Anbieter ebenfalls. Neben einer zusätzlichen Entlastung bei den Verbreitungskosten DAB+ wird auch die Verbreitung über UKW ge-fördert.

Dramatische Folgen für die Filmbranche

Besonders dramatische Folgen hat die Virus-krise für die Filmbranche und ihre Beschäftigten. Darauf deuteten bereits Mitte April die Ergebnisse einer Kurzumfrage, die mit Unterstützung der AG Dok und vier weiteren Branchenorganisationen durchgeführt wurde. Knapp 4.000 Kolleg*innen antworteten, davon waren 44,1 Prozent auf Produktionsdauer beschäftigt, 42,7 Prozent selbstständig. Zwei Drittel der Befragten erwarteten für 2020 ein beträchtliches Sinken ihrer Einkommen, weitere 12,6 Prozent befürchteten, in diesem Jahr überhaupt kein Einkommen mehr zu haben. 38,5 Prozent hatten da schon Hilfe beantragt. Rund 26 Prozent waren sich noch unsicher, knapp 6 Prozent wollten noch oder wollten weitere Hilfe beantragen. Das erste Fazit der Umfrage: Zuschüsse zu Betriebskosten und Kredite sind auch für die Filmbranche nutzlos, weil ein großer Anteil Selbstständiger – wie freie Journalisten auch – ohne Infrastruktur und Angestellte sind. Sie benötigen Zuschüsse, die die Lebenshaltungskosten decken, analog zum ALG1.

Die Lage in der Filmindustrie sei „existentiell bedrohlich“, klagte Ende Mai Produzentin Regina Ziegler im Interview mit der Berliner Zeitung. „Katastrophal und absolut neu für uns ist: Wir können mit dem Drehen erst gar nicht anfangen.“ Corona am Set bedeute Unterbrechung der Produktion. Gegen eine Pandemie könne man sich nicht versichern. Die Auf-hebung des Shutdowns werde neue Probleme schaffen. „Wenn alle zur selben Zeit anfangen zu drehen, herrscht Stau“, so Ziegler. Dann werde es einen „Mangel an kompetenten Mitarbeitern“ geben.

Nicht viel besser ist die Lage in der Fernsehwirtschaft. Mitte Mai trafen sich die TV-Sender bzw. Sendergruppen ARD, ZDF und ProSiebenSat.1 auf Initiative von RTL Deutschland zu einem digitalen „Runden Tisch Fernsehen“. Gemeinsam mit Verantwortlichen aus Produktions- und Kreativwirtschaft, Filmförderung und Medienpolitik wurden die Konsequenzen der Krise und die Möglichkeiten eines flächendeckenden Neustarts der Produktion diskutiert. Seit dem Ausbruch der Krise, so die Zwischenbilanz von Branchenvertretern, wurden mehr als 400 Drehabbrüche, Unterbrechungen oder Verschiebungen registriert – in Höhe eines Investi-tionsvolumens von ca. einer halben Milliarde Euro. Davon waren vor allem auch kleine und unabhängige Produzenten betroffen. Als wesentliche Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Produktion sahen die Beteiligten die Auflage eines Ausfallfonds an, mit dessen Hilfe die wirtschaftlichen Schäden möglicher neuer Produktions-Stopps oder Ausfälle aufgefangen werden.

Ausreichende Finanzierung von ARD und ZDF notwendig

Immerhin haben sich ARD und ZDF bereit erklärt, 50 Prozent der durch Abbruch ent-stehenden Kosten zu tragen. Die öffentlich-rechtlichen Sender seien als größte Auftraggeber ein „existentiell wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Film- und Medienbranche“, konstatiert Produzentin Regina Ziegler. Gerade in der aktuellen Krise wäre es „fatal, wenn sie wegen geringerer Mittel weniger Aufträge vergeben könnten“. Die Folge wäre eine „massive zusätzliche Arbeitslosigkeit in der gesamten Medienbranche“. Schließlich seien rund 50.000 Arbeitsplätze von Kreativen und Filmschaffenden von entsprechenden neuen Produktionsaufträgen abhängig. Ziegler: „Da die einzig verfügbare Manövriermasse die Produktionsetats der Sender sind, bedarf es einer ausreichenden Finanzierung von ARD und ZDF.“

Und offenbar zeigte die Klage der Filmbranche gegenüber der Politik Wirkung. Im Rahmen des Programms „Neustart Kultur“ der Bundesregierung bekommt der Filmbereich 120 Millionen Euro. Damit sollen einerseits die monatelang geschlossenen Kinos gestützt, aber auch Mehrbedarfe bei der Produktion finanziert werden.

 

 

 

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