Seit fast zwei Jahren arbeitet die Vertrauensstelle Themis in Berlin
Die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt berät Beschäftigte aus der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche. Ihre neue Interviewstudie verdeutlicht die Dringlichkeit eines Kulturwandels. „Es ist ein bisschen so wie auf Klassenfahrt gehen …. Da arbeiten Kollegen viel enger zusammen, als in anderen Branchen, wo man dann nach Hause geht. Da ist man viel unterwegs und viel in Hotels, was es dann manchmal vielleicht komplizierter macht“, berichtet eine Beschäftigte aus dem Kulturbereich. Es ist eine besondere Arbeit, die unter besonderen Bedingungen stattfindet. In der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche herrschen zumeist prekäre Arbeitsbedingungen und eine ausgeprägte Nähe im Team. Wie sich dies auf sexualisierte Gewalt auswirkt, beschreibt die anonymisierte Interviewstudie „Grenzen der Grenzenlosigkeit. Machtstrukturen, sexuelle Belästigung und Gewalt in der Film-, Fernseh- und Bühnenbranche” der Vertrauensstelle Themis in Berlin. Insgesamt 16 qualitative Interviews mit Vertreter*innen verschiedener Gewerke, darunter Produzent*innen, Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Regieassistent*innen sowie Beschäftigte aus den Bereichen Ton, Schnitt und Szenenbild, eröffnen einen Blick auf die Besonderheiten der Branche.
Man habe es in der Branche noch immer mit einer Kultur des Schweigens zu tun, sagt Horst Brendel, Vorstand der Themis Vertrauensstelle. Mit den Interviews wolle man auch eine Wissenslücke schließen: „Um uns ein besseres Bild zu verschaffen, wollten wir daher mit Menschen aus möglichst vielen Bereichen reden.“ Die Interviewten berichten von ihrer Unsicherheit im Umgang mit ihren Erfahrungen und der Tendenz, eigene Grenzen massiv zu überschreiten. Die Betroffenen empfinden dies als typisch für ihre Berufe. Häufig berichtet wird auch von Ängsten, sich gegen Grenzverletzungen zu wehren, um nicht als „schwierig“ stigmatisiert zu werden. Viele fürchten Nachteile für die eigene Karriere.
Seit dem 1. Oktober 2018 engagiert sich die Vertrauensstelle Themis gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Film-, Fernseh- und Theaterbranche. Sie bietet juristische und psychologische Beratung für Betroffene an und wird von 17 Brancheneinrichtungen der Film-, Fernseh- und Theaterbranche getragen und unterstützt. Nun zeigt eine erste Evaluation die Ergebnisse. In der Zeit vom 1. Oktober 2018 bis zum 31. März 2020 wurden Themis 255 Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz mitgeteilt. Die Beraterinnen, eine Psychologin und eine Juristin führten in der Zeit über 500 Beratungsgespräche. „Bei Themis werden diese Fälle dann aufgearbeitet, die Betroffenen werden beraten und wir versuchen auch darauf hinzuwirken, dass es keine neuen Fälle mehr gibt. Denn auch die Unternehmen müssen für ein Umfeld sorgen, das frei ist von sexueller Belästigung und Gewalt“, sagt Brendel. Dabei berufen sich die Beraterinnen auf das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), das in seiner Definition von sexueller Belästigung eindeutig ist. Darunter fallen alle unerwünschten Verhaltensweisen, die einen sexualisierten oder geschlechtsbezogenen Hintergrund haben. Das gilt für alle Branchen und Arbeitsplätze.
„Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellte im vergangenen Herbst ihre Zahlen vor. Die waren nur um 10 Fälle höher als unsere. Es scheint also in der Kulturbranche eine besondere Betroffenheit zu geben“, sagt Brendel. In der überwiegenden Mehrheit sind es Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren. So auch im Kulturbereich. Die Anzahl der bei der Themis gemeldeten Übergriffe an Frauen überwog mit über 85 Prozent deutlich. Umgekehrt gingen Belästigungen oder Missbräuche fast immer von Männern und in fast 80 Prozent der geschilderten Situationen von Vorgesetzten oder höhergestellten Personen aus. Die Mehrzahl der Fälle, mit denen Themis sich beschäftigt, sind verbale und nonverbale sexuelle Belästigungen, wie dauerhafte sexualisierte Anmachen, Beleidigungen mit sexuellem Inhalt, taxierende Blicke, zweideutige Gesten oder Posen, sexistische Bilder am Arbeitsplatz oder auch Androhungen beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung. In etwa zwei Fünftel der Fälle geht es um körperliche sexuelle Belästigungen, wie unerwünschte Berührungen, sexuelle Nötigung und körperliche Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen.
„Neben den konkreten Fällen wollen wir eine Änderung in der Branchenkultur erwirken. Dafür braucht es aber auch Präventionsarbeit und Bildungsarbeit. Das wird Themis aber nicht alleine leisten können. Und dafür wäre auch eine weitere finanzielle Anstrengung von Nöten, die bisher im Etat nicht vorgesehen ist.“ Für die Zukunft hofft Brendel auf das weitere Engagement der Gründungsmitglieder, zu denen auch ver.di gehört. Sie stellen bisher die Hälfte des Haushaltes. Denn die Anschubfinanzierung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien Monika Grütters läuft Mitte 2021 aus.
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Die Studie steht als Pdf im Internet bereit