Öffentliche Medien in privaten Zeiten

Foto: screenshot www.boell.de

In der Corona-Krise erweist sich, wie stark die Gesellschaft auf Öffentlichkeit und transparenten Austausch angewiesen ist. Gleichzeitig zwingen die Hygiene-Auflagen den Menschen ein nicht gekanntes Maß an Privatheit auf. „Öffentliche Medien in privaten Zeiten“ – so der Titel einer Online-Konferenz, die die Heinrich-Böll-Stiftung am 30. September in Kooperation mit Reporter ohne Grenzen und Neue deutsche Medienmacher*innen veranstaltete.

Medien sind systemrelevant und gelten in der Pandemie als „kritische Infrastruktur“. Für Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales von ARD-aktuell, stellte die Erfüllung des Grundversorgungsauftrags die Redaktion vor enorme Anforderungen – auch jenseits der journalistischen Aufgaben. „Ein Studio lässt sich nicht ins Homeoffice verlagern, wir sind keine YouTuber“, sagte sie. Das bedeutete: Verkleinerung der Präsenzredaktion, Neuaufteilung von Teams, Reduzierung von Kontakten. Inhaltlich sei es der „Tagesschau“-Crew darum gegangen, täglich die essentiellen Informationen zu liefern, die die Nutzer*innen brauchten, „um informiert durch den Tag zu kommen“. Darüber hinaus habe man sich auf allen Ausspielwegen um eine „kanalgerechte Umsetzung“ der Inhalte bemüht – per App und über soziale Medien wie Facebook, Twitter und Instagram.

Über ähnliche Erfahrungen berichtete Ulrike Winkelmann, seit August Chefredakteurin der „tageszeitung“ (taz), bei Ausbruch von der Pandemie noch Redakteurin beim Deutschlandfunk. Die nicht nur gefühlte „Monothematik Corona“ habe monatelang das geltende Sendeschema gesprengt. Angesichts der Horrorbilder etwa von nächtlichen Leichentransporten in Bergamo habe sich allgemein die Überzeugung durchgesetzt: „Wir können jetzt kein gemütliches Kulturprogramm machen.“

Weder monothematisch noch unkritisch

Sheila Mysorekar, Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM), kritisierte die von vielen etablierten Medien zu Beginn der Krise eingesetzte Bildsprache. Sehr häufig seien Bilder asiatisch anmutender Menschen zur Illustration der Pandemie verwendet worden. Damit habe ein Teil der Branche das rassistische Framing des US-Präsidenten Trump übernommen. Cover wie etwa der “Spiegel“-Titel „Made in China“ hätten eindeutig Klischees von der „gelben Gefahr“ transportiert. Für viele NDM-Mitglieder habe die Corona-Krise zu einer dramatisch verschlechterten Auftragslage geführt.

Den gelegentlich geäußerten Vorwurf, gerade die öffentlich-rechtlichen Medien hätten über lange Zeit ungefiltert die staatliche Position zu Corona und den anschließenden Hygiene-Maßnahmen gespiegelt, wies Leopold zurück. Angesichts steigender Infektionszahlen, die auch nichtinfizierte Menschen betrafen, habe es die Pflicht zu umfassender gesundheitspolitischer Berichterstattung gegeben. Allerdings bedauerte sie, dass demgegenüber Themen wie die coronabedingte Zunahme häuslicher Gewalt oder die verschärfte digitale Spaltung in den Schulen meist „runtergefallen“ seien.

Die „taz“ dagegen habe mit speziellen Widerständen eines Teils ihrer linksalternativen Klientel zu kämpfen, berichtete Winkelmann. Dabei habe unter anderem der „Konflikt zwischen Schul- und Alternativmedizin“ eine Rolle gespielt. Von der „taz“ habe man „mehr Kritik an der Pharmaindustrie erwartet“, so die Kritik mancher Leser*innen. Das Blatt  habe darauf mit einer „provokativen Sonderausgabe“, der sogenannten „Entschwörungs-taz“ reagiert, ein Dossier, in dem die Redaktion sich mit verschwörungstheorie-nahen Positionen in der eigenen Leserschaft auseinandersetzte.

Verdeckte Missstände sichtbar gemacht

Corona habe verdeckte Missstände in vielen gesellschaftlichen Bereichen an die Oberfläche gespült, etwa die unzumutbaren Arbeits- und Lebensbedingungen in der Fleischindustrie, findet NdM-Vorsitzende Mysorekar. Sie vermisst jedoch eine nachhaltige Beschäftigung der Medien mit solchen punktuell aufblitzenden Themen. Durch die Pandemie sei auch die wachsende soziale Ungleichheit sichtbar geworden. Ein Thema, das in der Berichterstattung zum Dauerthema werden müsse.

Eines der anschließenden Foren beschäftigte sich mit der „Zukunft der lokalen Medien“. Für Ex-ARD-Sprecher Steffen Grimberg ist die Lokalzeitung längst noch „kein Auslaufmodell“, sondern nach wie vor „das zentrale Medium für lokale Information“. Zwar gebe es vereinzelt verdienstvolle Blogs wie etwa „Wir in NRW“, als ein „Correctiv für manchmal etwas verschnarchte Lokalblätter“. Die meisten dieser Blogs seien aber nur „anlassgetrieben“, könnten daher eine kontinuierliche kritische Öffentlichkeit nicht ersetzen.

Als mögliches Instrument gegen die fortschreitende Pressekonzentration sieht Grimberg die Förderung von Non-Profit-Journalismus. Hebel dafür könne die vom Bundesfinanzministerium geplante Reform des Gemeinnützigkeitsrechts sein. In diesem Kontext könne der Katalog der gemeinnützigen Zwecke auch auf nichtkommerziellen Journalismus ausgedehnt werden. Dass dieses Modell funktioniere, bewiesen internationale Erfahrungen. „Selbst die erzkapitalistischen USA sind uns hier um Lichtjahre voraus“, sagte Grimberg.

Lanze für Pressefreiheit und Lokalberichterstattung

Nach der vom Zeitungsverlegerverband BDZV publizierten Schickler-Studie rechneten die Verlage damit, dass bis zu 40 Prozent der existierenden Lokalblätter in den nächsten fünf Jahren aus Kostengründen verschwinden könnten. Schnelles Handeln sei daher erforderlich. Grimberg: „Wir brauchen die Lokalzeitungen – und wir brauchen gemeinnützigen Journalismus.“

„Corona bündelt bestehende Tendenzen wie in einem Brennglas“, konstatierte Christian Mihr, Geschäftsführer von Mitveranstalter Reporter ohne Grenzen in der Abschlussdebatte über „Pressefreiheit – Europas politischer Auftrag“. Die Pandemie sei vielfach ein willkommener Vorwand für autoritäre Regime, die Pressefreiheit weiter einzuschränken. Dabei würden unterschiedliche Instrumente eingesetzt. In Ländern wie zum Beispiel Ungarn, Bulgarien und Rumänien verhinderten verschlungene Geschäftsmodelle und Mittlerfirmen Klarheit über die Besitzverhältnisse. Die Regierung erkaufe sich über staatliche Zuschüsse, finanziert vor allem aus EU-Mitteln, loyale Berichterstattung. Recherchen zu heiklen Themen wie Korruption seien deshalb selten. Unabhängige Medien würden durch Justizschikanen wie Steuerverfahren, Verleumdungsklagen oder horrende Bußgelder drangsaliert, kritische Medienschaffende auch durch Schmutzkampagnen und Gewalt.

Als positiv bewertete Mihr, wie gewissenhaft in der Corona-Krise hierzulande zwischen der vorübergehend notwendigen Einschränkung von Freiheitsrechten und grundgesetzlichen Garantien abgewogen werde. „Eine unabhängige Justiz und rechtstaatliche Verhältnisse“, so Mihr, „sind die Pfeiler der Pressefreiheit“.

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