Der Verlag Gruner und Jahr (G+J) sieht sich als Bollwerk des Qualitätsjournalismus. Die Einsendefrist für den prestigeträchtigen Nannen-Preis läuft gerade, der Mutterkonzern Bertelsmann ruft 2021 als “JAhr zur Wahrheit” aus. In der Qualitätsoffensive sollen auch G+J-Titel kräftig mitspielen. Dazu passt es schlecht, dass das G+J-Flaggschiff „Stern” und die Wirtschaftstitel „Capital” und „Business Punk” eine gemeinsame Politikredaktion bilden sollen – unter Führung des „Capital”-Chefredakteur Horst von Buttlar.
Der „Stern” ohne eigene Politikredaktion? Die Ankündigung der G+J-Verlagsleitung sorgt für Aufregung in der Branche. Dabei ist das Zusammenlegen der Büros von “Stern” und “Capital” in Berlin nur Teil einer Entwicklung, die auch bei G+J längst im Gange ist: Dem Ertrag zuliebe wird am journalistischen Produkt gespart. „Zwar können wir das, was bei Gruner + Jahr passiert, durchaus als eine Trendwende in der Kultur des Hauses betrachten. Aber die Pläne, das Politikressort des ‚Stern‘ aufzulösen, markieren kein singuläres Ereignis, sondern reihen sich in eine ganze Kette ein, die wohl noch länger werden wird”, sagt Tina Fritsche, als ver.di-Sekretärin im Landesbezirk Hamburg/Nord für Verlage und Journalismus zuständig.
Weitere Glieder dieser Kette sind das immer stärkere Verschmelzen der Redaktionen von „Brigitte” und „Gala” im Printbereich sowie die gemeinsame Online-Redaktion der beiden Titel mit „Eltern”. Oder das Outsourcen der verlagseigenen Versuchsküche, in der die Beiträge für die Food-Titel produziert wurden, an ein Social-Media Startup. Im Vergleich zur Fusion einer Politikredaktion mag das banal scheinen, doch geht es stets um das Gleiche: Es wird an journalistischen Kernkompetenzen von führenden Titeln gespart, bis sie keine Alleinstellungsmerkmale mehr haben. Mehr oder weniger offen, so hört man von G+J-Mitarbeiter*innen, werde auch schon über die Schaffung von Zentralredaktionen für die Ressorts Wissen und Reise gesprochen.
Prinzip Zentralisierung
Zentralredaktionen sind nichts Neues. Einer der Pioniere dieses Prinzips residiert keine zwei Kilometer von G+J entfernt in der Hamburger Altstadt: Die Bauer Media Group, die ihre Zeitschriften eher über den niedrigen Preis als über hohe Qualitätsstandards vermarktet. Nachahmer gibt es bereits viele. Bei G+J fällt ausgerechnet den Wirtschaftsmedien eine Vorreiterrolle zu. Dass von ursprünglich fünf Titeln nur zwei im Portfolio des Verlags blieben – „Financial Times Deutschland” wurde eingestellt, „Impulse” und „Börse Online” verkauft – macht die Mitarbeiter am Hamburger Baumwall misstrauisch gegenüber Zentralisierungsbemühungen.
Und dass mit Horst von Buttlar der Chefredakteur der Wirtschaftstitel das Politikressort des „Stern” mit übernehmen und dort auch in die Chefredaktion aufrücken soll, schürt bei den „Stern”-Mitarbeiter*innen zusätzlichen Missmut. Ob die Unruhe in spürbaren Widerstand umschlagen könnte, wie Medienjournalist*innen mutmaßen, bleibt offen. Die letzte Redaktionsrevolte beim „Stern” liegt 28 Jahre zurück. Horcht man momentan in den Verlag hinein, ergibt sich ein diverses Bild: Die einen loben die offensive Art, mit der die „Stern“-Chefredakteure Anna-Beeke Gretemeier und Florian Gless die am 19. Januar bekannt gegebenen Pläne zur Redaktionszusammenlegung kommunizieren: Mehrere Stunden täglich sollen beide in den vergangenen Wochen ihren Redakteur*innen Rede und Antwort gestanden haben. Andere kritisieren, dass die Entscheidung Knall auf Fall verkündet wurde. Der Redaktionsbeirat fühlt sich überrumpelt, und auch der Betriebsrat scheint nicht im Sinne des Gesetzes „rechtzeitig und umfassend” über die Pläne der Geschäftsführung informiert worden zu sein.
Vorne mitspielen?
Einige folgen dennoch der Argumentation von von Gless und Gretemeier, dass es nur Sinn mache, mit der Berliner Gemeinschaftsredaktion „die journalistische Kraft zweier starker – und befreundeter – Marken in der Hauptstadt zu ballen”, und „mit einem gestärkten Team in der Politik- und Wirtschaftsberichterstattung vorne mitzuspielen”. Gleichzeitung fürchten andere, dass der „Stern” ohne eigenständige Politikredaktion seinen Markenkern verliere und dass künftig Wirtschaft über Politik dominiere. Das passt womöglich zur politischen Agenda des Mutterkonzerns, entspricht aber keineswegs dem Selbstverständnis etlicher Stern-Redakteur*innen.
17 Politikredakteur*innen hat der “Stern” derzeit noch. Lediglich acht von ihnen sollen einen Platz in der fusionierten Redaktion bekommen, dagegen 30 von „Capital”. Wer mit darf, entscheidet Horst von Buttlar. Wer übrig bleibt, soll andere Aufgaben im Verlag übernehmen oder sanft in den Ruhestand gleiten. Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung” gelte das sogar für ein journalistisches Schwergewicht wie Investigativ-Reporter Hans-Martin Tillack. Ihm soll Altersteilzeit angeboten worden sein. Tillack gilt nicht nur bei Politikern und Behörden als unbequem, sondern auch Vorgesetzten gegenüber. Passt er nicht mehr zum gewünschten kostengünstigen Workflow? Ob man allerdings mit geschmeidigem Mainstream noch die eigenen Journalistenpreise wird gewinnen können, ist fraglich.