Die bekannte Menschenrechtsanwältin Eren Keskin ist heute im Hauptverfahren gegen die Zeitung „Özgür Gündem“ von einem Gericht in Istanbul zu sechs Jahren und drei Monaten Haft wegen der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ verurteilt worden. Amnesty International kritisiert das politisch motivierte Urteil und bezeichnet die Vorwürfe als „absurd“. Die Zermürbungstaktik der türkischen Justiz im Prozess gegen die Journalistin Mesale Tolu wegen Terrorvorwürfen fand am 11. Februar seine Fortsetzung. Der Prozess wurde erneut um mehrere Monate vertagt.
Aus Solidarität mit der kurdischen Zeitung, die immer wieder behördlichen Repressionen ausgesetzt war und nach dem Putschversuch 2016 verboten wurde, hatte Eren Keskin zeitweise symbolisch den Posten der Chefredakteurin der „Özgür Gündem“ übernommen. Dieses Urteil sei ein deutliches Signal der anhaltenden katastrophalen Menschenrechtslage in der Türkei, erklärte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. „Hier soll eine unerschrockene Stimme im Einsatz für die Menschenrechte durch willkürliche juristische Schikanen zum Schweigen gebracht werden. Die türkische Justiz ist hier erneut zum politischen Werkzeug geworden, mit dem die Regierung gegen die unabhängige Zivilgesellschaft vorgeht. Amnesty International fordert ein Ende der Repressionen gegen Eren Keskin und die vielen Menschen, die in der Türkei allein wegen ihres Einsatzes für die Rechte und Freiheiten anderer verfolgt werden.“ EU und Bundesregierung sollten gegenüber der türkischen Regierung „beharrlich und unmissverständlich“ auf die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention drängen, betonte N. Beeko.
Amnesty International setzt sich im Rahmen der Kampagne „Mut Braucht Schutz“ für die seit Jahren verfolgte Menschenrechtlerin ein. Es wurden über 140 Strafverfahren gegen sie eröffnet. Sie wurde bereits zu hohen Geldstrafen und erstinstanzlich zu langen Haftstrafen verurteilt – mit dem heutigen Urteil auf insgesamt 24 Jahre. Über 55.000 Appelle wurden bereits über eine Onlineaktion von Amnesty International an den türkischen Justizminister geschickt, die ein Ende der juristischen Schikanen gegen Eren Keskin fordern.
Prozess gegen die Journalistin Mesale Tolu erneut vertagt
Der Prozess gegen die deutsche Journalistin Mesale Tolu wegen Terrorvorwürfen in der Türkei ist am 11. Februar ein weiteres Mal bis zum 16. September vertagt worden. Während Tolu und ihr Mann bereits 2018 und 2019 nach Deutschland zurückkehren konnten, wird die Ausreisesperre gegen Tolus Mitangeklagte weiter aufrechterhalten. Sollte der Staatsanwalt bis September sein Plädoyer fertig stellen, könne möglicherweise ein Urteil fallen, sagte Tolus Anwalt, Keles Öztürk, gegenüber dpa.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ehepaar und einer Gruppe weiterer Angeklagter unter anderem Mitgliedschaft in der linksextremen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei MLKP vor, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Dazu kommen Vorwürfe wegen Propaganda. Insgesamt drohten ihr 35 Jahre Haft, so Öztürk.
Auch gegen den „Welt“-Reporter Deniz Yücel laufen weitere Ermittlungen in der Türkei. Er durfte zwar nach Deutschland ausreisen, war aber im Juli 2020 wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt worden. Ein Prozess wegen Beamtenbeleidigung gegen ihn soll am 9. September fortgesetzt werden.