Als „alarmierend“ hat die dju in ver.di die Ergebnisse der aktuellen Studie zur „Prekarisierung im Journalismus“ bezeichnet. Erste Ergebnisse einer zugehörigen Befragung – zur Teilnahme hatten die dju und andere journalistische Verbände aufgerufen – legten Wissenschaftler der Münchener Universität jetzt vor. Vor allem die „dramatische Situation der freien Journalist*innen“ verlange gesetzgeberisches Handeln, so die Gewerkschaft.
Arbeitssituation „prekär“ (43 Prozent), Arbeitsverhältnis „eher unsicher“ (58 Prozent), Bedingungen durch Corona verschlechtert (61,5 Prozent): Das sind die Antworten zur Prekarisierungsstudie, für die mehr als 1000 Fragebögen von Journalist*innen aus dem Herbst 2020 ausgewertet wurden. Der Einkommensunterschied zwischen Festen und Freien (880 Euro) und Männern und Frauen (645 Euro) ist danach weiter vorhanden und wird mit höherer Position größer.
Das sind die ersten Befunde von Professor Dr. Thomas Hanitzsch und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Jana Rick am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, die mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Prekarisierungstrend im deutschen Journalismus untersuchen. Die Studie entstand im Kontext des internationalen Forschungsverbunds „Worlds of Journalism“.
Teilgenommen an der Befragung haben ganz überwiegend hauptberuflich tätige Journalist*innen (983 von 1055), darunter 58 aus Neugründungen. Die Hauptberufler*innen sind zu rund 61 Prozent Männer und im Schnitt fast 50 Jahre alt, die Frauen rund sechs Jahre jünger. Nur ein Viertel der Hauptberuflichen versorgt minderjährige Kinder, kein Wunder, denn mehr als die Hälfte gehört zur Altersgruppe 50+. Da im Fragebogen nur nach Kindern unter 18 Jahren gefragt wurde, entsteht durch das Tortendiagramm (Seite 4) der Eindruck, 75 Prozent der Befragten seien „kinderlos“. Diesen falschen Eindruck wolle man sprachlich künftig korrigieren, denn das Ziel der Frage sei es nur gewesen, die „Familienverantwortung“ abzubilden, erklärt Jana Rick im Austausch mit M.
Vollzeitstellen, am häufigsten bei Tageszeitungen zu finden, haben 34 Prozent der Männer und nur rund 28 Prozent der Frauen, bei den Teilzeitbeschäftigten liegen Frauen mit 60 Prozent vorne. Dreiviertel der Freiberufler*innen arbeitet für mehr als drei Arbeitgeber. Zwar wünschen sich über 64 Prozent der Befragten keinen festen Arbeitgeber, allerdings sind auch rund 40 Prozent nur „unfreiwillig frei“.
Hauptberufliche verdienen im Durchschnitt knapp über 2330 Euro netto im Monat. Damit ist das Einkommen im Vergleich zu einer von Hanitzsch, Josef Seethaler und Vinzenz Wyss herausgegebenen Studie von 2014/15 um rund 560 Euro gesunken. An der Studie vor sechs Jahren, bei der die Journalist*innen direkt angesprochen wurden, haben allerdings nur rund 18 Prozent Freie, feste Freie und Pauschalist*innen teilgenommen, jetzt sind es mehr als 44 Prozent Freie und fast 17 Prozent feste Freie und Pauschalist*innen, die sich auf Anregung der Berufsverbände beteiligt haben. Und der Einkommensunterschied zwischen fest und frei liegt bei rund 880 Euro netto zuungunsten der Freien.
„Gender Pay Gap“, der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen, ist nach wie vor ein Thema im Journalismus: Vollzeitbeschäftigte Männer verdienen rund 645 Euro im Monat mehr als ihre Kolleginnen, die im Durchschnitt nur 82,7 Prozent des männlichen Einkommens erreichen. In der Studie von 2014/16 lag der Einkommensunterschied zwischen Männer und Frauen bei rund 800 Euro, prozentual verdienten Frauen 25 Prozent weniger, wie schon in der Untersuchung von Siegfried Weischenberg im Jahr 2006.
Leitungspositionen im Journalismus sind zu fast 70 Prozent mit Männern besetzt. Innerhalb der Führungsriege ist der Einkommensunterschied sogar noch größer: Während Männer im Durchschnitt mit 3580 Euro nach Hause gehen, sind es bei Führungsfrauen durchschnittlich 2470 Euro. „Die geschlechterabhängigen Einkommensunterschiede können u.a. dadurch begründet sein, dass der Anteil der Journalisten, die für das Top-Verdiener-Medium Fernsehen tätig sind (12,3%), doppelt so hoch ist wie der entsprechende Anteil unter Journalistinnen (6%)“, meinen Rick und Hanitzsch. Die geringsten Einkommen haben Beschäftigte bei Anzeigenblättern.
Insgesamt ist eine Verschiebung zum Journalismus als Nebenberuf zu beobachten. Mehr als ein Viertel der freiberuflichen Befragten hat eine Nebentätigkeit in Lehre und Forschung (23,3%), im künstlerischen (rund 16 %) oder im PR-Bereich (8,7%). Gut ein Drittel ist der Meinung, dass man vom Journalismus allein nicht mehr leben kann. Das Gefühl dürfte sich in den vergangenen Monaten der Pandemie noch verstärkt haben, denn schon bis Dezember 2020, mitten im zweiten Lockdown, gaben fast 80 Prozent der freiberuflichen Journalist*innen Honorareinbußen durch die Corona-Krise an.
Bei den Konsequenzen aus den Prekarisierungstendenzen im Journalismus sind sich die Befragten ziemlich einig: Fast zwei Drittel schätzen, dass der journalistische Beruf für junge Menschen nicht mehr attraktiv ist. Die schon länger beobachteten Probleme bei der Suche nach Volontär*innen bestätigen dies. Dass die schlechte Einkommenssituation letztlich die Qualität im Journalismus bedroht, dem stimmen ganz oder teilweise über 95 Prozent aller Befragten zu. Der Qualitätsjournalismus liegt ihnen offenbar am Herzen: Denn obwohl rund 43 Prozent der Hauptberuflichen ihre Arbeitssituation als „prekär“ und ihr Arbeitsverhältnis zu 58 Prozent als „eher unsicher“ einstufen, sind mehr als zwei Drittel mit ihrem Beruf zufrieden. Hier überwiegen wohl inhaltliche Gründe, denn nach den Zahlen kann es kaum am finanziellen Erfolg liegen.
Als „alarmierend“ hat die dju in ver.di die Ergebnisse der Studie bezeichnet, zu deren Teilnahme die dju wie andere journalistische Verbände aufgerufen hatte. Vor allem die „dramatische Situation der freien Journalist*innen“ verlange gesetzgeberisches Handeln. Das zeige etwa die Situation der im Urheberrechtsgesetz angemahnten Gemeinsamen Vergütungsregeln, die von Verlegerseite vor in gekündigt wurden, bevor sie in Kraft traten, als Orientierung aber von Richtern gerade bekräftigt wurden. Auch die Wissenschaft lassen die Antworten nicht kalt: „Wir hoffen, mit den Ergebnissen der Studie auch in der Medienpraxis etwas bewirken zu können“, schreiben Rick und Hanitzsch in ihrem Vorwort.