Eine seit Jahren im Lokalressort tätige freie Journalistin hat in der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Nürnberg mehr als 66.000 Euro Nachhonorierung für kleine Texte und Bildunterschriften erstritten. Sie berief sich dabei auf die Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR) für Journalist*innen an Tageszeitungen, die das Gericht trotz deren Kündigung als Orientierungshilfe anerkannte. Auch in weiteren Punkten weist das Urteil über den Einzelfall hinaus.
Zum Sachverhalt: Die klagende Journalistin hatte der „Landauer Zeitung“, einem Lokalblatt im niederbayerischen Landkreis Dingolfing-Landau, seit 2004 regelmäßig Texte und Bilder zur Veröffentlichung geliefert. Von 2014 bis 2016 arbeitete sie zudem auf 450-Euro-Basis in der Geschäftsstelle der Zeitung, wo sie typische Sekretariats- und Assistenzaufgaben erledigte. 2016 nahm sie ein journalistisches Fernstudium auf. Sie besaß seit 2013 einen Presseausweis und ist über die Künstlersozialkasse versichert.
Für die Textberichte erhielt die Freie gemäß mündlicher Vereinbarung eine pauschale Vergütung von 0,14 Euro pro Zeile für Texte und 5,00 Euro für Fotos. Erstmals im Januar 2017 machte die Journalistin gegenüber dem Verlag Nachforderungen geltend, für den Zeitraum von Juni 2016 bis September 2018 erneuerte sie diese Forderung Ende Oktober 2018, da ihr eine über das Gezahlte hinausgehende „angemessene Vergütung“ zustehe. Sie begründete dies mit §§ 32, 36 UrhG, die auf die Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR) für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen verweisen.
Tätigkeitsstatus und Beitragsqualität bestritten
Die Lokalzeitung wies die Forderungen zurück. Zur Begründung wurde angeführt, dass die gelieferten Beiträge oft ein gewisses „qualitatives Moment“ vermissen ließen. Vielfach hätten sie lediglich aus der Mitteilung von Namen, Fakten und Sportresultaten oder aus Bildunterschriften von wenigen Zeilen Umfang bestanden. Solche Texte unterlägen nicht dem Urheberrechtsschutz.
Zudem würde der Frau der für eine Vergütung nach dem Urheberrechtsgesetz und der GVR-Tageszeitungen erforderliche Status einer hauptberuflichen Journalistin fehlen. Schließlich habe sie neben ihrer redaktionellen Tätigkeit auf geringfügiger Basis im Büro der Zeitung gearbeitet. Ihr fehle eine spezifisch journalistische Ausbildung.
Argumentiert wurde auch gegen die Anwendung der Gemeinsamen Vergütungsregeln. Für den Zeitraum seit März 2017 befänden sie sich in „gekündigtem Zustand“ und könnten keine Grundlage für einen Nachvergütungsanspruch mehr bilden. Gerade für kleinere Verlage seien die dort aufgeführten Vergütungssätze nicht mehr zu erwirtschaften. Unangemessen sei auch ein Mindesthonorar für kleine Textbeiträge unter 20 Zeilen.
Zudem verstießen die GVR gegen Art. 4 Abs. 3 sowie gegen Art. 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union und damit gegen höherrangiges EU-Kartellrecht. Eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung liege vor, da es der Zeitung deshalb verwehrt sei, aus dem nur rund 50 Kilometer entfernten Österreich journalistische Leistungen preisgünstiger einzukaufen.
Richter sahen das anders
Schon das Landgericht Nürnberg-Fürth als erste Instanz hatte die Forderungen der Klägerin prinzipiell als gerechtfertigt angesehen und ihr die geforderte Summe nebst Zinsen im Januar 2020 fast vollständig zugesprochen (Az: 19 O 8247/18).
In der schriftlichen Urteilsbegründung hieß es: „Im streitgegenständlichen Zeitraum fertigte die Klägerin mehr als 1.600 Text- und 1.700 Bildbeiträge an. Durchschnittlich arbeitete sie 20 Arbeitstage pro Monat“ für die beklagte Zeitung, „im Schnitt wurden 3 Bilder und 3 Zeitungsartikel pro Tag von ihr veröffentlicht. Die Klägerin hat den überwiegenden Teil ihres Einkommens aus ihrer journalistischen Tätigkeit erzielt“ und sei dabei im Umfang einer Vollzeittätigkeit ausgelastet gewesen.
Doch ging die „Landauer Zeitung“ dagegen in Berufung. Die juristische Argumentation wurde im Wesentlichen aufrechterhalten, ergänzend wurden einige Honorarforderungen konkret bestritten. Den Gang vor das Oberlandesgericht Nürnberg hätte man sich jedoch sparen können. Denn auch die zweite Instanz bestätigte mit Urteil vom 29. Dezember 2020 die Nachforderung auf eine angemessene Vergütung nach dem Urheberrechtsgesetz und gemäß den Gemeinsamen Vergütungsregeln.
Schöpfungshöhe und Urheberrecht
Die ausführliche Begründung geht zunächst auf die „Schöpfungshöhe“ von kurzen Lokalzeitungstexten ein. Zwar sei bei sehr simpel gehaltenen Berichten über lokale Ereignisse Urheberrechtsschutz nicht selbstverständlich. Doch die Anforderungen an einen urheberrechtlichen Schutz wären eher gering anzusetzen: Erforderlich sei lediglich ein Mindestmaß an „individueller Prägung“ des fraglichen Werkes. Einen solchen Grad wiesen – bis auf wenige Ausnahmen – alle von der Journalistin eingereichten Werke auf. Davon habe sich der Senat nach Durchsicht überzeugen können. Auch die Bildunterschriften, die lediglich in knapper Form Lichtbilder beschreiben, einordnen und kommentieren, würden die relevante Schöpfungshöhe erreichen. Die dafür erforderliche individuelle Prägung sei dadurch gegeben, dass die Klägerin Situationen und Eindrücke des Tagesgeschehens individuell eingefangen habe.
Hauptberufliche Tätigkeit als Journalistin
Auch die Eigenschaft als hauptberufliche Journalistin sahen die Nürnberger Richter für die Klägerin gegeben. Angesichts der Menge gelieferten Text- und Bildmaterials und des geringen Umfangs ihrer Büroarbeit seien keine anderen Tätigkeiten beruflicher Art in einem gleichgewichtigen Umfang anzunehmen.
Schließlich gebe es in den GVR-Tageszeitungen keinen Hinweis darauf, dass diese nur für Personen gelten sollten, die eine journalistische Ausbildung in Form eines Hochschulstudiums oder eines Volontariats absolviert haben. Der für sie ausgestellte Presseausweis und ihre Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse würden zudem für eine hauptberufliche Tätigkeit als Journalistin sprechen.
Zum Wert Gemeinsamer Vergütungsregeln Tageszeitungen
Von allgemeinerer Bedeutung sind die Ausführungen, die das Gericht zum Verhältnis der Vergütungsregeln Tageszeitungen zum EU-Recht machte: Danach beeinträchtigen die GRV den Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten nicht.
Zeitungsartikel und Bildberichte – zumal lokalbezogene – stellten Leistungen dar, „bei denen aufgrund ihrer Art und der an sie zu stellenden Anforderungen ein innergemeinschaftlicher Markt und Wettbewerb bereits weitgehend fehlt“. Zudem, so wird im Urteil zur möglichen Beauftragung österreichischer Journalist*innen ausgeführt, könne „nahezu ausgeschlossen werden, dass sich Personen, die ihren Wohn- oder Geschäftssitz in größerer Entfernung von dem Gebiet, das den Einzugsbereich eines Lokalteils bildet, haben, um entsprechende Aufträge bemühen würden, weil dies wirtschaftlich keinen Sinn macht“.
Schließlich setzte sich das Gericht mit dem Einwand auseinander, die Gemeinsamen Vergütungsregeln könnten nach der einseitigen Kündigung durch die Verleger nicht mehr als Grundlage für die Berechnung angemessener Vergütung gelten. Nach ausführlicher rechtlicher Würdigung kommt die Kammer kommt zu dem Schluss, dass die Verlegerkündigung „einer Heranziehung als Orientierungshilfe bei Berücksichtigung der Einzelfallumstände, insbesondere auch der strukturellen Veränderungen auf dem Markt der Tageszeitungen, nicht entgegen“ stehe. Es seien im maßgeblichen Zeitraum auch keine Entwicklungen „eingetreten, die einer Anwendung entgegenstünden oder eine Modifikation z.B. in Form gewisser Abschläge gebieten würden“.
Abzüglich einiger Zeilenhonorare und von anteiligen Verzugszinsen hat das Oberlandesgericht Nürnberg der klagenden Journalistin 66.186,30 Euro Nachhonorar zuzüglich Umsatzsteuer plus Zinsen zugesprochen. Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen. (Az: 3 U 761/20)