Gefiltert und abgehört

In Sotschi ist der Geheimdienst flächendeckend bei der Kommunikation dabei

Der Moskauer Journalist Andrej Soldatow ist Experte für russische Sicherheitspolitik. Sein russisch- und englischsprachiges Nachrichtenportal Agenta.ru setzt sich kritisch mit dem Inlandsgeheimdienst FSB auseinander. Für die Veranstaltung „Sotschi und das Internet“ wurde er von Reporter ohne Grenzen nach Berlin eingeladen. Er spricht über Internetzzensur und die massive Überwachungs-Architektur im Vorfeld und während der Olympischen Spiele.

Wie frei ist das russische Internet?

Andrej Soldatow | Bis vor wenigen Jahren war es fast komplett frei. Die Regierung war stolz darauf, dass sie sich in punkto Netzzensur von Ländern wie China unterscheidet. Nach dem arabischen Frühling und den Protesten zur Präsidentschaftswahl in Moskau hat sich das aber grundlegend geändert. Im Jahr 2012 trat ein Gesetz in Kraft, dass sehr effektive Internetfilter eingeführt hat. Die Filterregeln wurden mit der Zeit immer wieder erweitert. Heute können Webseiten blockiert werden, weil sie angeblich für Drogenkonsum oder Suizid werben oder positiv über Homosexualität berichten. Seit Ende Dezember des letzten Jahres können auch Seiten gesperrt werden, die zur Teilnahme an ungenehmigten Demonstrationen aufrufen. Das führt nicht zuletzt zu Selbstzensur – aus Angst wird dieser Aktionsweg dann weniger genutzt. Außerdem dient das System als Druckmittel gegen globale Internetdienste wie Google, Facebook und Twitter. Sie müssen befürchten, dass ihre komplette Seite gesperrt wird, wenn sie sich weigern, Inhalte zu entfernen. Bei Beschwerden von russischen Behörden dauert es deswegen mittlerweile weniger als 24 Stunden, bis missliebige Inhalte gelöscht sind.

Wie wird das Filtersystem durchgesetzt?

Internet-Provider und Orte mit öffentlichem Netzzugang wie Schulen, Bibliotheken und Universitäten werden in regelmäßigen Abständen von regionalen Behörden kontrolliert. Wenn sie eine spezielle Filtersoftware nicht installiert haben, müssen sie Strafen zahlen. Das wirkt.

Im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen zieht der Staat die Kontrolle noch stärker an. Wie wird die Situation im Umfeld von Sotschi aussehen?

Die verwendeten Internetfilter werden so auch in anderen Teilen des Landes verwendet, aber in Sotschi wird es ein ganz neues Ausmaß an Überwachung geben, online wie offline. Es gibt überall Kameras und die Kommunikation wird flächendeckend abgehört. Wenn Sie sich in Sotschi und Umgebung ins Internet einloggen, zum Beispiel in einem öffentlichen WLan-Netz oder in Ihrem Hotel, wird sämtliche Kommunikation für die russischen Sicherheitsbehörden transparent. Von allen Journalisten, Sportlern und sogar den Juroren werden während der Olympischen Spiele die Metadaten ihrer Kommunikation gespeichert – für drei Jahre, mit wem sie telefonieren, oder an wen sie SMS oder Emails geschickt haben.

Was empfehlen Sie Journalisten, die nach Sotschi fahren?

Bei technischen Geräten wie Laptops oder Smartphones sollten sie darauf achten, dass die entweder neu sind oder dass sie alle Inhalte ihrer sonstigen Arbeit gelöscht haben. Werden die Geräte kontrolliert oder beschlagnahmt, können die Sicherheitsbehörden Zugriff auf alle Daten bekommen.

Welche Rolle spielt der Geheimdienst FSB während der Olympischen Spiele?

Der FSB organisiert das Überwachungssystem und ist für die Durchführung zuständig. Das Problem ist, dass der Geheimdienst in Russland praktisch keinerlei effektiver Kontrolle unterliegt, weder durch das Parlament noch durch die Medien.

Die Sicherheitsbehörden und der russische Staat inszenieren sich international als Hüter von Bürgerrechten. Der von der USA gejagte Whistleblower und Internetaktivist Edward Snowden lebt als politischer Flüchtling in Russland. Haben Sie eine Erklärung für diese paradoxe Konstellation?

Ich finde das ebenso seltsam. Es ist allgemein bekannt, dass auch die russischen Sicherheitsbehörden ihre Bürger auf einem sehr hohen Level ausspähen. So wie ich es verstehe, wollte Snowden einfach in ein Land gehen, dass ihn unter keinen Umständen an die USA ausliefert.

Das funktioniert im Moment ja auch …

Aber seine Glaubwürdigkeit und Integrität leidet. Er lebt in einer völlig kontrollierten Umgebung. Sein Anwalt Anatoli Kutscherena hat enge Beziehungen zum Geheimdienst. Niemand weiß, ob Snowden überhaupt noch frei entscheiden kann, was er macht und wohin er geht.

Hat seine Anwesenheit einen positiven Einfluss auf die Internetfreiheit in Russland?

Im Gegenteil. Snowdens Enthüllungen werden genutzt, um noch mehr Druck auszuüben. Mit dem Argument, russische Bürger vor der NSA zu schützen, soll Google beispielsweise dazu gebracht werden, einen Teil der Server und Datencenter nach Russland zu verlegen.

Haben russische Journalisten Kontakt mit Snowden?

Nein, das ist unmöglich. Wir haben ganz einfach keine Möglichkeit, an ihn heranzukommen.

Das Gespräch führte Stefan Mey

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »